Agra, Mumbai, Schiff & Flug.

Eine Weltreise ist wie ein Dauerurlaub, oder? Manchmal ja, manchmal nein. Die Fahrt durch Indien verlangte uns jedenfalls so viel ab, dass wir nach fünf Monaten in diesem wunderschönen, aufregenden aber auch kräftezehrenden Land dringend eine Auszeit brauchten. Und was wäre da naheliegender als einfach mal eine Woche Hotelurlaub zu machen? Also buchten wir uns eine Woche lang ins Taj View Hotel ein und genossen Frühstücksbüffet, Klimaanlage, Fitnessraum, Swimmingpool, Hundfreilauf im Garten, Hotelrestaurants am Abend und eine klassische Cocktailauswahl an der Hotelbar. Marco arbeitete und ich kümmerte mich um Struppi und unseren Reiseblog. Und dann durften wir in dieser Hotelwoche noch eine wichtige Entscheidung treffen. Nämlich wie die Reise weitergeht. Das war leider ganz schön kompliziert. Da wir über den Landweg vorerst nicht weiter bzw. nach Hause kommen sollten (Krieg in Myanmar, Grenzen dicht nach China, Proteste im Iran) und die Verschiffungspreise nach Europa zu dem Zeitpunkt einfach unbezahlbar waren, skizzierten wir folgende Möglichkeiten: 1) Fahrt nach Mumbai, Verschiffung nach Malaysia und dann die Wintermonate durch Südostasien reisen. 2) Fahrt zurück nach Pakistan, Verschiffung nach Europa (weil von dort aus eventuell günstiger) und dann im Winter in der Türkei Klettern gehen. 3) Fahrt zurück nach Nepal, neues Visum beantragen, den Winter im Süden von Indien verbringen und ein paar Monate später gucken, ob es dann vielleicht über den Landweg weitergeht. Wir hatten zwar Zweifel, ob die Verschiffung von Mumbai aus überhaupt klappen würde, aber dennoch entschieden wir am Ende der Hotelwoche bei einem Cocktail in der Lobby: Wenn schon, denn schon! Lass uns noch mehr erleben und nach Südostasien verschiffen. Ob es klappen wird? Wer weiß das schon, aber lass es uns doch einfach ausprobieren!

An unserem Abreisetag wollten wir natürlich noch die Attraktion sehen, für die wohl die meisten Touristen in die Stadt Agra kommen. Auch wir wollten uns einen Besuch vom Taj Mahal nicht entgehen lassen. Das palastartige Marmor-Mausoleum gilt als Symbol unsterblicher Liebe und bekam wegen seiner Schönheit und Größe einen Platz auf der Liste der sieben neuen Weltwunder. Das muslimische Bauwerk, dessen Bau 1632 begann und über zwanzig Jahre dauerte, gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe und ist wohl eines der imposantesten Gebäude der Welt, weshalb dieser prächtige Palast aus weißem Mamor zu den Wahrzeichen Indiens zählt. Im Morgengrauen (für Marco viel zu früh am Morgen) spazierten wir durch die dunklen Gassen von Agra zu den Eingangstoren vom Taj Mahal und waren natürlich nicht die einzigen, die das Grabmal bewundern wollten. Eine Stunde später hätten wir wahrscheinlich nicht so lange anstehen müssen, dennoch war die Stimmung zum Sonnenaufgang eine ganz besondere und zumindest ich war zufrieden mit unserer morgendlichen Aktion (Marco würde jetzt sagen, dass sich ein Besuch vom Taj Mahal überhaupt nicht lohnt, aber das ist ja – wie so vieles im Leben – Ansichtssache).

Wir hatten nun also die Entscheidung getroffen, nach Mumbai zu fahren und tatsächlich den Plan mit der Verschiffung anzugehen. Auf dem Weg schauten wir uns Höhlen mit Buddha Figuren an und besichtigten ein mit Tiermotiven verziertes Fort. Einer unserer Stellplätze inmitten einer Buschlandschaft lud zum Beobachten von echten Tieren ein (tagsüber kam eine Borstenschweinfamilie vorbei und zur Abenddämmerung heulte ein wilder Hund so eigenartig, dass er fast mit einem Wolf zu verwechseln war). Marco war immer noch regelmäßig am Joggen und erweiterte sein Trainingsprogramm sogar noch mit dem Kauf von Hanteln, die er seitdem für sein Krafttraining nutzt. 

Die Fahrt führte uns durch mit Blumengirlanden festlich geschmückte Ortschaften. Es standen Feiertage bevor und das sah man nicht nur den Leuten und den Häusern an, es wurden auch viele der herumlaufenden Kühe und Wasserbüffel verziert und angemalt. Überall gab es Stände, an denen man Festtagsschmuck kaufen konnte. Die Menschen feierten das Lichtfest Diwali (das in Indien einen vergleichbaren Stellenwert hat wie bei uns die Weihnachtsfeiertage) und auch wir stellten in der Festnacht im Cockpit ein paar Kerzen auf. Beim Erwachen standen wir mal wieder etliche Besucher um unseren Bus herum und guckten neugierig ins Fenster rein. Auf der Suche nach Joghurt kümmerte sich der Supermarktchef persönlich darum, dass uns das fehlende Produkt von seinem Mitarbeiter innerhalb von zwei Stunden (ja, ich wartete solange höflich) geliefert wurde. Und beim Übernachten neben einem Food Court (wo wir eine magische Sonnenfinsternis miterleben durften) bekam ich nachts Durchfall und Fieber, weshalb wir mich am nächsten Tag mit Verdacht auf Malaria ins Krankenhaus brachten. Was man halt alles so erlebt, wenn man einmal quer durch Indien fährt. Die Blutuntersuchung auf Malaria fiel glücklicherweise negativ aus. Unglücklicherweise hielt ich ein paar Tage später einen positiven Covid-Schnelltest in der Hand. Ich hatte mir im Krankenhaus tatsächlich Corona eingefangen (vermutlich weil einer der Mitarbeiter permanent hustete, wobei der Chefarzt auf unsere kritische Nachfrage bloß beteuerte: „This hospital is 100 percent covid free!“). 

Ende Oktober 2022 erreichten wir Mumbai. Wir kamen an einem Freitag kurz vor Feierabend im Büro von der Verschiffungsfirma NMT an, mit der wir zwar schon wochenlang in E-Mail-Kontakt standen, es jedoch so schien als würden sie keinen Finger rühren bis wir tatsächlich mit dem zu verschiffenden Fahrzeug vor Ort wären. Und so war es dann auch. Auf einmal machte alles einen halbwegs professionellen Eindruck, wir wurden in einem Meetingraum mit Getränken versorgt, lernten unsere Ansprechpersonen kennen und konnten die nächsten Schritte persönlich miteinander besprechen. Puh, waren wir erleichtert! Überhaupt fiel uns in Mumbai ein riesiger Stein vom Herzen. An der Hafenpromenade, wo wir uns in der ersten Nacht hinstellten, beobachtete ich morgens bei einem kühlen Lüftchen das sportliche Treiben und war zu Tränen gerührt endlich auch wieder Hundebesitzer*innen und Frauen in kurzen Sportklamotten zu sehen. Indien ist nicht gleich Indien und die Fahrt durch Uttar Pradesh hatte uns doch einiges abverlangt. Was für ein gutes Gefühl, nach so langer Zeit wieder in einer Metropole angekommen zu sein. Über die iOverlander App fanden wir eine nostalgische Tankstelle, die als Treffpunkt für Reisende diente. Der nette Tankstellenbesitzer Daniel ließ uns dort ein paar Tage lang stehen, damit wir den Bus für die bevorstehende Verschiffung fertig machen konnten. Alle Kisten raus, Inventurliste machen, den Innenraum von oben bis unten entstauben, Außenwäsche vom Dach bis zum Unterboden, zwischendurch Klamotten waschen lassen und im Café nebenan Pizza bestellen. Daniel war mega hilfreich und stellte den Kontakt zu einem Agenten her, der – wie sich herausstellte – auch für unsere Verschiffung zuständig war. Dieser Direktkontakt war Gold wert, denn von NMT als unseren eigentlichen Vertragspartner bekamen wir in den kommenden Tagen leider viel zu wenig Informationen. Der Agent hingegen lieferte ab und dank seiner Hilfe konnte die Containerbeladung mittels hölzerner Plattform überhaupt durchgeführt werden. Für Unterhaltung auf dem Tankstellenhof sorgte eine solo-reisende Influencer Mom, die ihr Offraod Fahrzeug zur WM nach Qatar verschiffen wollte (warum auch immer) und alle Details ihrer Reise social-media-wirksam auf YouTube und Instagram veröffentlichte. Als wir nach drei Tagen mit der Busputzaktion fertig waren wurde ich mit einer fetten Erkältung krank. Wir hatten am Fahrzeug zum Glück alles soweit vorbereitet und stellten uns wieder an die Hafenpromenade, wo ich mich ein bisschen auskurieren konnte. Irgendwann fing auch Marco an zu kränkeln. Trotzdem gab es noch einiges zu erledigen. Um es mal stichpunktartig abzukürzen: Online-Flugtickets, Flughafenschalter, Hotline-Warteschlange, 50 Dollar Extrakosten, Tierarzt, Rollboxtraining, Landstrom, Parkplatzwächter, Augenentzündung, Augenarzt, Antibiotika, Bank, NMT, Papiere unterschreiben, Kofferkauf, Bus auf die Waage, AQCS, Export Zertifikat, Tierdokumente für die Airline. Zwischendurch probierten wir in der Apotheke an Schnelltests zu kommen, doch die gab es nirgends zu kaufen. Wir bestellten uns irgendwann welche zum Bus und siehe da… die Erkältung entpuppte sich als Corona Infektion (ihr erinnert euch an meinen Krankenhausaufenthalt mit dem hustenden Pfleger). Ein paar Tage schlossen wir uns also noch mit Essen vom Lieferdienst im Bus ein. Dann stand eine neue Woche voller Drama bevor: Die Hotelsuche mit Hund wurde zum Drama, das Loading am Hafen wurde zum Drama und als ob das noch nicht genug war landete Marco auch noch (selbstverschuldet) mit einer Koffein-Überdosis im Krankenhaus. Das war überhaupt nicht lustig, aber eine gewisse Ironie hatte die Szene als uns ein Tuktuk-Fahrer in rasender Geschwindigkeit den Berg hinab zur Klinik fuhr und Marco theatralisch aus dem Tuktuk kotzend in der Notaufnahme mit einer rollenden Liege empfangen wurde. Am Ende wurde alles gut. Marco hat den Krankenhausaufenthalt überlebt. Wir haben Corona überstanden. Unser Bus wurde abenteuerlich, aber erfolgreich auf den Flat Rack Container geladen. In letzter Minuten haben wir am Tag unseres Abfluges die Zolldokumente von NMT zurückbekommen und in allerletzter Minute den Flughafen erreicht, nachdem mehrere Taxifahrer unseren Hund nicht mitnehmen wollten. Ach ja, ein letztes kleines (selbstverschuldetes) Drama ereignete sich noch am Flughafen, weil Marco versehentlich eine Gas-Kartusche dabeihatte, die er vor dem Security Check abgeben wollte. Das sorgte für Zuständigkeitsverwirrungen am Einlass des Flughafens und kostete uns einiges an Wartezeit. Doch den Hund konnten wir glücklicherweise noch rechtzeitig beim Checkin abgeben. Tja, und dann konnten wir es selbst nicht glauben als wir am 12. November 2022 pünktlich im Flugzeug saßen – auf dem geplanten Nachtflug von Mumbai nach Bangkok. Thailand, wir kommen!

Varanasi am heiligen Ganges

Mit mulmigem Gefühl näherten wir uns der Grenze von Nepal nach Indien. Wir waren nicht sicher, ob unsere zweite Einreise problemlos klappen würde, denn auf unserem indischen Visum stand die nepalesische Landgrenze nicht drauf. Außerdem war da noch der Hund. Wir hatten uns zwar bemüht, ein tierärztliches Attest für Struppi zu bekommen, doch weder das Pet Hospital noch die Quarantäne Station in der Grenzstadt konnten mit unserer Anfrage etwas anfangen und so wurden wir ohne Attest weggeschickt. Na gut. Let’s try! Die Ausreise dauerte eine kleine Ewigkeit. Marco wurde irgendwann in ein Wohngebiet geführt, um den zuständigen Zollbeamte zu suchen, aber der Rest klappte reibungslos. Das Immigrationsbüro war gut besucht und glich einem Polizeipausenraum. Auf indischer Seite verlief es ähnlich chaotisch symphatisch. Die Zollabfertigung war diesmal schnell gemacht (niemand wollte den Hund sehen), dafür verbrachten wir etliche Zeit im Immigration Office. Es war mega nett und wir waren hauptsächlich mit Small Talk beschäftigt, denn aufgrund eines Systemabsturzes mussten wir zusammen mit den Beamten warten bis die Computer wieder betriebsbereit waren. Rückfragen gab es nur zu unserer Hoteladresse (wir wollten natürlich im Bus übernachten, aber eine konkrete Adresse anzugeben hatte sich in der Vergangenheit bei Grenzübergängen als nützlich erwiesen) und somit wurde der „fehlende“ Einreiseort auf unserem Visum zum Glück nicht hinterfragt. Es lief also alles glatt und wir durften mit neuem Einreisestempel ins Land. In den folgenden Tagen fuhren wir gefühlt durch eine „Saunalandschaft“. Nicht nur wegen des Wetters, auch die Kleidung der Landsleute veränderte sich und bestand nun zu großen Teilen aus Tüchern, die locker um die Hüfte gebunden oder lässig über die Schultern getragen wurden. Die Region Uttar Pradesh sah an vielen Stellen idyllisch aus. Durch das Busleben wurde uns aber deutlich bewusst, wie unglaublich viele Menschen dort lebten. Es wurde immer schwieriger, einen ruhigen Übernachtungsplatz zu finden. Manchmal suchten wir unsere Stellplätze nach potenziellen Laufrouten aus. Hatte ich erwähnt, dass Marco trotz der Hitze immer noch regelmäßig Laufen ging und dafür teilweise frühmorgens aufstand? Ich bewunderte seine Disziplin. Einer dieser Plätze war echt hübsch an einem Teich mit angrenzendem Friedhof gelegen. Klingt makaber, doch die stupaförmigen Grabsteine waren bunt angemalt und versprühten eine positive und sehr friedliche Stimmung. Ich stand dort beim Abendspaziergang unter Bäumen und blickte auf unendlich weite Felder. Am Horizont sah ich den Mond. Es war so kitschig schön und doch konnte ich nicht den Klangteppich im Hintergrund ausblenden, der von der angrenzenden kleinen Landstraße zu uns herüber schwappte. Automotoren, Mopedgeräusche, ständiges Gehupe und Gepfeife (egal wo du bist, in Indien ist immer irgendwo eine Trillerpfeife zu hören). 

An einem anderen Tag suchten wir spätnachmittags nach einem abgelegenen Wildcamping-Spot und wurden auf einem Feldweg zwischen Reisfeldern fündig. Natur pur. Denkste, nur 20 Minuten später hatte sich das halbe Dorf von nebenan um unseren Bus versammelt. Jeder wollte mal gucken. Verständlich, dort ist ja sonst wahrscheinlich nicht viel los. Als es schon dunkel war, wurden wir aus dem Bett geklopft. Einer der Männer meinte es gut und erklärte mit Händen und Füßen, dass wir besser im Dorf neben dem Hanuman Tempel stehen sollten. Tatsächlich blitzte die Stromleitung neben uns auf beunruhigende Weise, sodass wir seinen Rat befolgten. Am nächsten Morgen (eine laute Glocke weckte uns um 5:30 Uhr) standen die Dorfleute Schlange, um einen Blick in unseren Bus zu werfen. Ich kam gerade mit Struppi vom Morgenspaziergang, da beobachtete ich, wie Marco immer zwei Personen auf einmal in den Bus ließ. Danach waren die nächsten dran. Herrlich, wie locker Marco mit solchen Situationen umgehen kann. Über einen schnellen Highway erreichten wir die Stadt Varanasi, die als spirituelle Hauptstadt Indiens gilt. Unzählige Menschen pilgern nach Varanasi, um ihre Angehörigen zu bestatten und im heiligen Wasser des Ganges zu baden. Nach alter Tradition werden im Hinduismus die Toten auf öffentlichen Scheiterhaufen verbrannt. Diese Art der Feuerbestattung findet täglich in den Krematorien am Flussufer statt. Der Fluss Ganges hat eine besondere Bedeutung für Hindus: Wer am Fluss stirbt und sich dort bestatten lässt, entkommt dem ewigen Kreislauf des Lebens, Sterbens und Wiedergeborenwerdens. Den Kreislauf (Samsara) zu durchbrechen bedeutet ewige Glückseligkeit zu erreichen. Diese Erlösung wird Moksha genannt. Kein Wunder also, dass am „Mutter Ganga“, dem heiligsten aller Flüsse, jeden Tag fast rund um die Uhr Leichenverbrennungen stattfinden. Die vielen Feuerstellen können auf einem Boot vom Wasser aus beobachtet werden. An den weitläufigen Ufertreppen, den Ghats, werden mehrmals täglich Zeremonien durchgeführt und man sieht viele Hindus ins Wasser steigen, denn im heiligen Ganges zu baden, befreit sie laut ihrem Glauben von allen Sünden. Da waren wir also, in dieser wuseligen Stadt voller Leben und Tod. Es war das erste Mal auf unserer bisherigen Reise, dass wir uns ein Hotelzimmer gegönnt haben. Einen Stellplatz mitten in Varanasi zu finden, wo wir Struppi hätten im Bus allein lassen können, wäre unmöglich gewesen. Dafür war es viel zu heiß und die Stadt viel zu dicht bevölkert, als dass wir mit gutem Gewissen die Fenster hätten einen Spalt auflassen können, um mit unseren beiden Ventilatoren für Durchzug zu sorgen (was sonst immer unsere Taktik war, wenn wir den Hund mal für einen Einkauf oder Restaurantbesuch allein lassen mussten). Drei Nächte lang sind wir im Hotel „Temple on Ganges“ in der Nähe vom Assi Ghat untergekommen. Tatsächlich konnte man vom Rooftop aus den Fluss sehen und das Treiben in den anliegenden Gassen beobachten. Die Brachfläche nebenan wurde als Müllkippe genutzt. Auf dem Dach des Hotels befand sich ein kleiner Rasenabschnitt, auf dem ich notdürftig mit Struppi gassigehen und spielen konnte. Vor den indischen Straßenhunden hatte ich zu dieser Zeit echt Respekt. Wir wurden mehrmals am Tag Zeugen davon, wie die Hundegang im Hof ihr Revier verteidigte und selbst im Hotelzimmer hörten wir oft grausame Heul- und Jaulgeräusche von Artgenossen, die wohl nicht so glimpflich davongekommen sind. Auch wenn wir unser Hotel niemandem weiterempfehlen würden (die Ausführungen dazu erspare ich euch), so waren die Hoteltage wie ein kleiner Urlaub vom Busleben für uns. Purer Luxus, einfach die Zimmertür schließen zu können und Ruhe zu haben. Marco ging zum Laufen in „Bob’s Gym“ und wir aßen häufig in einem Restaurant namens „Roma’s“. Neben diesen Bequemlichkeiten war eines unserer größten Highlights in Varanasi eine Bootstour, die am frühen Abend vom Dashashvamedh Ghat aus startete. Schon die Tuktuk-Fahrt zum Ghat war ein Erlebnis. Das Boot teilten wir hauptsächlich mit indischen Gruppen und Familien. Alle trugen Schwimmwesten. Nach der Fahrt auf dem Ganges blieben wir noch einige Zeit sitzen, um uns die Zeremonie vom Wasser aus anzugucken. Plötzlich breitete sich eine ganz besondere Stimmung aus, denn trotz der Menschenmassen trat auf einmal eine Ruhe ein, die ich so in Indien noch nie erlebt hatte. Alle Leute um uns herum wurden ganz still und verfolgten die Zeremonie oder waren mit sich selbst und ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Eine Frau zerpflückte Blumengirlanden am Uferrand. Meditativ ließ sie Blütenblatt für Blütenblatt ins Wasser gleiten. Ein Moment der Stille, des Innehaltens, des Loslassens.

An unserem letzten Abend in Varanasi besuchten wir ein Fort, spazierten nach Sonnenuntergang rüber zur Feuerzeremonie am Assi Ghat und zogen danach weiter auf ein Straßenfest in Lanka. Dort aßen wir Streetfood und drängten uns durch die Menge auf einen der Schauplätze, wo in dieser Nacht riesige Figuren verbrannt werden sollten. Das Feuer warteten wir allerdings nicht ab, denn einen besonders sicheren Eindruck machte dieses feierliche Vorhaben nicht auf uns. Stattdessen freuten wir uns über die Straßenumzüge und Festwägen, auf denen gutgelaunte Menschen tanzten. Eine wirklich lustige Stimmung war das. Tja, und dann passierte noch etwas an diesem Wochenende. Während meiner Recherche nach alternativen Reiserouten (wir wollten ja auf meinen Wunsch hin die Verschiffung nach Südostasien noch einmal überdenken), musste ich leider feststellen, dass die Arabische Halbinsel mit Hund nichts wird. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman wären schon schwierig geworden, aber Saudi Arabien verweigert beim Touristen-Visum die Einreise mit Haustier komplett. So sehr wir unseren Hund lieben, auf einer Weltreise stößt man mit Vierbeiner so manches Mal auf Grenzen, die es ohne Tier nicht gegeben hätte. Als wir Struppi in Armenien adoptiert haben, bin ich auf Social Media Kanälen einigen Reisenden gefolgt, die mit Hund unterwegs waren. In Europa überhaupt kein Problem. Dass uns die Mitnahme eines Haustiers in anderen Teilen der Welt an der Weiterreise hindern würde, hätte ich überhaupt nicht gedacht. Und dennoch bin ich sehr glücklich darüber, dass wir diese kleine Hündin mit im Gepäck haben!

Struppi hatte sich bereits prima an ihre Flugbox gewöhnt. Das wichtigste ist, dem Hund in ganz kleinen Schritten die Kiste „schmackhaft“ zu machen, um sie als Rückzugsort positiv zu besetzen. Seit Nepal stellten wir die Box (zunächst ohne Gittertür) während der Fahrt zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, so hatte Struppi ihren neuen gepolsterten Fahrplatz (und uns dabei noch im Blick). Wenn wir dann einen Übernachtungsort gefunden haben, gingen Struppi und ich oft einem gemeinsamen Hobby nach: Straßenhunde und andere Tiere beobachten (auf dem Foto jagt ein Hunderudel einem frechen Affen hinterher)! Auf dem Weg nach Agra machten wir einen dreitägigen Halt in Lucknow. Die Hauptstadt des Bundesstaates Uttar Pradesh gefiel uns auf Anhieb. Irgendwie haben wir es mit größeren Städten, wenngleich die Gegend drumherum auch Brandenburg hätte sein können (oder vielleicht gefiel es uns genau deshalb so gut dort). Wäschewaschen, Wasserauffüllen, Laufengehen und ein bisschen Sightseeing (z.B. die Begum Kothi Moschee und das Stadttor Rumi Darwaza). Am letzten Tag stand unser Übernachtungsparkplatz nach einem Dauerregen komplett unter Wasser. Ein Zeichen, dass es für uns weitergehen sollte. Also: Auf nach Agra!

Es war Mitte Oktober 2022 und das Thema Rückreise wurde immer präsenter, schließlich sollte unser Indien-Visum in gut einem Monat ablaufen. Da unser Plan B (die Arabische Halbinsel) mit Hund nicht möglich war, brauchten wir einen Plan C als Alternative zur Verschiffung. Wir gingen nochmal alle Himmelsrichtungen durch: China (Norden) war immer noch geschlossen (seit Beginn der Corona Pandemie, d.h. bereits 3 Jahre lang). Die Grenzen zu Myanmar (Osten) waren ebenfalls dicht und das würde auch bis auf Weiteres so bleiben. Somit war es zum Zeitpunkt unserer Weltreise ein Ding der Unmöglichkeit über den Landweg nach Südostasien zu kommen (was ursprünglich mal unser Ziel gewesen ist). Nach Sri Lanka (Süden) wollten wir nicht, dort herrschten zu der Zeit schwierige Umstände und das tropische Klima lockte uns auch nicht gerade dorthin. Außerdem hätte es meinen damaligen Wunsch, eine Verschiffung zu umgehen, nicht gelöst – sondern die Rückreise bloß nach hinten verschoben (und dafür hatten wir keine Geduld mehr, weshalb auch eine zweite Einreise nach Nepal nicht mehr wirklich in Frage kam). Blieb auf dem Landweg also „nur“ noch die Heimfahrt Richtung Westen. Und wisst ihr was? Dieser Gedanke hat sich auf einmal richtig gut angefühlt. Einmal schnell Pakistan durchqueren, noch einmal ganz bewusst Iran genießen und unsere iranischen Freunde wiedersehen, in der Region Kurdistan im Norden von Irak ein neues Reiseland entdecken und schließlich im Süden der Türkei klettern gehen. Wir sind immer davon ausgegangen, dass es langweilig wäre „einfach umzudrehen“. Aber als wir die Entscheidung getroffen hatten, bekamen wir richtig Lust darauf, einige dieser Länder ein zweites Mal (und damit irgendwie neu) kennenzulernen. Tja, und dann folgten wir – fassungslos und traurig – den Nachrichten. Der Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 hatte eine Protestwelle gegen die autoritäre Regierung des Staates ausgelöst. Sie wurde von der islamischen Sittenpolizei festgenommen, weil angeblich ihr Kopftuch nicht richtig saß. Nach ihrer Festnahme wurde sie misshandelt und durch Polizeigewalt getötet. Im Oktober 2022 wurden die landesweiten Proteste immer heftiger und es kam zu zahlreichen Verhaftungen sowohl von Einheimischen als auch von Reisenden. Auch wenn wir den Menschen im Iran gerne beigestanden und am liebsten selbst mit auf die Straße gegangen wären, war uns die Rückreise durch Iran vor diesem Hintergrund zu risikoreich. Das bedeutete, wir kamen über den Landweg nicht mehr nach Hause und somit um eine Verschiffung nicht herum. Mit dieser Erkenntnis erreichten wir Agra, die Stadt mit dem Taj Mahal, der zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten von Indien zählt. Doch bevor es auf große Sightseeing-Tour gehen sollte, verbrachten wir einige Tage in einer ruhigen Gegend der Stadt (wo nur wenige Menschen, dafür umso mehr Affen vorbeikamen), schauten uns „zum Aufwärmen“ das Itmad-ud-Daula-Mausoleum an und bewunderten den Taj Mahal zunächst aus der Ferne von einem View Point aus. 

Nepal in zwei Wochen

Normalerweise berechnen wir unsere Reisedauer pro Land in Monaten. Für Nepal haben wir nur zwei Wochen kalkuliert. Warum? Das fragen wir uns im Nachhinein auch 🙂 Aber natürlich hatten wir unsere Gründe, es war eine Mischung aus Termindruck, Ungeduld und Größenwahn. Nach zwei Jahren Weltreise hatten wir im Norden Indiens beschlossen uns auf den Heimweg zu machen. Einfach nur umdrehen kam für uns jedoch nicht in Frage. Wir wollten auf dem Rückweg noch mehr Länder sehen und verfolgten den Plan, vor Ablauf unseres Indien-Visums von Mumbai nach Südostasien zu verschiffen. Wie es von dort aus weitergehen würde? Kein Plan, viele Wege führen nach Hause. Trotz Zeitdruck wollten wir uns Nepal auf der aktuellen Route nicht entgehen lassen. Und so drehten wir von Mitte bis Ende September 2022 eine „schnelle“ Runde durch das nepalesische Land. 

Wir reisten im Westen des Landes nach Nepal ein. Den Grenzübergang erreicht man über eine ganz schmale Brücke. Für Autos ist das eine Einbahnstraße, d.h. man kann von Indien nach Nepal fahren, aber nicht zurück. Es war mit Abstand die entspannteste Grenze, die wir bis dahin erlebt hatten. Eigentlich war es auf nepalesischer Seite eher ein ganz normales Dorf, wo zufällig auch Zoll- und Grenzgebäude waren. Das Immigrationsbüro sah aus wie ein Wohnhaus mit Vorgarten und auch der Beamte schien bei unserer Ankunft am frühen Nachmittag mit ganz anderen Dingen als seiner Arbeit beschäftigt zu sein. Wir warteten einige Stunden bis wir unser „Visa on arrival“ beantragen konnten, übernachteten in unserem Bus vor dem Büro am Straßenrand und fuhren am nächsten Morgen auf einer Landstraße (und gleichzeitig die Hauptverkehrsstraße des Landes), die das blühende Leben war. Schulkinder, Fahrradfahrer, Fußgänger, Wasserbüffel, Tuktuk’s, Busse, LKW’s – und kaum ein Auto unterwegs. Die Natur erschien uns sehr viel grüner als in Indien und weil wir richtig Lust auf Natur und Tiere bekamen, wollten wir in den Bardia Nationalpark. Witzigerweise lernten wir bei unserem ersten Übernachtungsstop im Restaurant einen Kellner kennen, den wir am nächsten Tag auf halber Strecke mitnahmen. Er zeigte uns, wie wir in den 40km/h Zonen („Wildlife Crossing“) ein Zeit-Ticket bekamen. Man muss auf der Straße dann vorsichtig fahren und mit Rückgabe des Tickets zeigen, dass man das Gebiet wieder verlassen hat (vermutlich um das illegale Jagen von Wildtieren zu unterbinden). Tatsächlich liefen uns auf dieser Straße ein paar Füchse und Echsen über den Weg. Dann erreichten wir Bardia. Wir hatten uns diesen Nationalpark ausgesucht, weil es dort mit etwas größerer Wahrscheinlichkeit Tiger zu sehen geben sollte und unternahmen eine vierstündige Jeep-Tour. Wir sahen Rehe, Hirsche, Wildschweine, Affen, Vögel, Adler und an einem Baum sogar frische Kratzspuren eines Tigers zur Reviermarkierung – doch die Raubkatzen blieben gut versteckt. Am Schluss führte uns der Guide noch durch eine Krokodil-Aufzuchtstation, zeigte uns ein Pflege-Nashorn und wir erblickten ein paar – leider an Ketten gefesselte – Elefanten. Da war uns der freilaufende, gut versteckte Tiger dann doch lieber. 

Das Wetter war zu dieser Jahreszeit ziemlich schwül. Einmal regnete es so stark, dass wir eine Fahrpause einlegten. Zwei Mopedfahrer, die anhielten um sich schützend unter einen Baum zu stellten, luden wir zu uns in den Bus ein. Bei dieser Begegnung lernten wir, dass der typisch nepalesische Hut eine Bedeutung hatte: Die Hutspitze symbolisiert die Spitze des Himalayas. Abends gingen wir oft ins Restaurant (selber kochen im heißen Bus macht einfach keinen Spaß) und suchten unsere Stellplätze bevorzugt nach Essensmöglichkeiten aus. Eines dieser Restaurants war besonders lustig, dort stand auf einmal die ganze Großfamilie lachend um Struppi und mich herum und alle Frauen wollten mit mir ein Foto machen (ich vergaß bei dem Trubel leider selbst zu fotografieren), dann begleiteten mich zwei Jungs auf der Gassirunde durchs Dorf und nach dem anschließenden Abendessen (es gab ein leckeres Thali und im Restaurant waren wir die einzigen – es wurde glaube ich extra für uns geöffnet) kam noch ein junges Mädchen aus der Küche, freute sich über unsere Komplimente und bat mich zum Abschied ganz schüchtern und niedlich zuerst um ein „Hug me!“ und dann um ein „Kiss me!“. Eine Umarmung und ein Küsschen auf die Wange bekam sie natürlich gern von mir. Die weitere Fahrt führte uns über Butwal nach Pokhara durch grüne und hügelige Natur. An einem Wasserfall machten wir eine kurze Duschpause. In Pokhara schlemmten wir echten Käse (immer wieder eine Rarität auf Reisen) und aßen in einem veganen Café gleich zweimal (einmal abends und einmal zum Frühstück). Oh ja, das sind die Vorzüge einer Touristenstadt. Wenngleich solche Städte immer eine Hass-Liebe in uns auslösen, denn als Overlander bevorzugen wir das Reisen durch einsame Naturlandschaften oder das waschechte Leben in Nähe zu Einheimischen – ohne den Touristenstempel auf die Stirn gedrückt zu bekommen. In Pokhara gab es leider einige solcher „Touristenstempel-Situationen“ und noch dazu fühlten wir einen inneren Zeitdruck aufkommen, weshalb wir entschieden direkt Richtung Kathmandu weiterzufahren. Im Nachhinein würde ich Überlandreisenden allerdings empfehlen viel mehr Zeit für Nepal einzuplanen und unbedingt solche Möglichkeiten wie den mehrtägigen Annapurna Trek wahrzunehmen. Wir haben es in den zwei Wochen gerade mal geschafft die Runde (über meist holprige Straßen) durch das Land zu fahren, konnten (und wollten) es uns aber nicht erlauben mehrere Tage an einem Ort zu verbringen, was rückblickend echt schade war. Zwischen Pokhara und Kathmandu übernachteten wir in dem Bergstädtchen Bandipur. Dort gefiel es uns ziemlich gut und von da stammen auch die nachfolgenden Fotos. Wir wanderten morgens im Nebel hinauf zum Thani Mani Viewpoint, schauten uns mittags die Altstadt an und gaben den Kindern vom Gasthaus gegenüber eine kleine Führung durch unseren Bus, bevor es auch schon wieder weiterging. 

Ich hatte vermutet, dass die Straßen besser werden würden, je näher wir Kathmandu kamen. Aber das Gegenteil war der Fall. Die Hauptverkehrsstraße des Landes glich einer schlaglöchrigen Huckelpiste. Die LKW-Dichte nahm stetig zu, genau wie die waghalsigen Überholmanöver. Ganz zu Schweigen von den ständig laut kreischenden Hupen. Es tut mir wirklich leid, aber ich habe Nepal als das Land mit den schlimmsten Verkehrsbedingungen in Erinnerung. Langsam, laut und mit den Nerven am Ende schraubten wir uns den Weg in Richtung Hauptstadt hoch. Und da wir inzwischen wieder auf 1.000 Höhenmetern oben waren, wurde zumindest das Wetter etwas erträglicher. In Kathmandu angekommen erwarteten uns dann Smog und sehr viele Autos. Ich weiß noch wie mir die Augen während der Fahrt von den ganzen Abgasen brannten. Wir holten nur schnell unser neues Carnet (ein internationales Zolldokument, das für das Reisen mit eigenem Fahrzeug in vielen Ländern notwendig ist) von der Post ab und fuhren sofort aus der Innenstadt raus an den Stadtrand. Dort fanden wir einen angenehmen Übernachtungsplatz neben einem kleinen Shiva Schrein, von wo aus wir fußläufig in die Altstadt von Bhaktapur gelangten. Mit ihren Tempelanlagen und mit Holzreliefs verzierten Wohnhäusern gehört Bhaktapurs Architektur zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es gab so viel zu entdecken und in den Gassen zwischen den Steinhäusern herrschte eine magische Atmosphäre. Zur Feier eines 100-Jährigen zog eine Parade mit Pferdekutsche an uns vorbei. Dann erreichten wir ein Tor und stellten fest, dass man in den großen Tempelbereich der Stadt nur mit Eintrittskarte reinkam. Weil wir jedoch bloß ein bisschen Schlendern wollten und den Kopf nicht frei hatten für eine ausgiebige Tempeltour, entschieden wir uns dagegen, denn der Eintritt war ganz schön teuer. Eigentlich schade, aber das zeigt sehr deutlich wie reisemüde wir zu dem Zeitpunkt schon gewesen sind. Einerseits wollten wir Nepal schon immer gern bereisen und deshalb unbedingt die Chance nutzen, dieses Land auf unserer Reise durch Zentralasien im eigenen Fahrzeug zu entdecken. Andererseits kostete ein normaler Fahrtag zu diesem Zeitpunkt so unglaublich viel Kraft, dass wir die Schönheit des Landes gar nicht so richtig wertschätzen konnten. Das sind die Kehrseiten einer Weltreise. Am Ende gibt es beim Langzeitreisen – genau wie in anderen Lebensphasen – Zeiten, in denen alles glatt und leicht verläuft, und ebenso Zeiten, in denen einem der Alltag etwas schwerer vorkommt. Gut zu wissen, dass auch das vorrüber geht.

Bevor es für uns auch schon wieder nach Indien zurück gehen sollte, wartete noch ein selbstgemachtes Problem darauf gelöst zu werden. Selbstgemacht deshalb, weil wir uns rückblickend den Stress komplett hätten sparen können (schon interessant wie oft ich in diesem Beitrag das Wort „rückblickend“ benutze). Aber unser Gehirn ist nunmal eine Problemlösemaschine und wir waren einfach zu verkopft statt auf unser Glück zu vertrauen. Für die Rückkehr nach Indien hatten wir ein Visum mit Double-Entry im Pass. Soweit, so gut. Jedoch standen als Entry-Ports nur die Landgrenze zu Pakistan und der Flughafen Delhi in unseren Pässen. Deshalb fuhren wir zur indischen Botschaft nach Kathmandu und baten darum, die nepalesische Landgrenze in unser Visum hinzuzufügen. Denn sonst würden wir womöglich Probleme bei der Einreise nach Indien bekommen. Leider wurden wir von der indischen Botschadt zum Visa-Service nebenan geschickt und vom Visa-Service nach stundenlanger Warterei in brütender Hitze ebenfalls wieder weggeschickt mit der Aussage, das ginge nicht und wir müssten ein komplett neues Visum beantragen (was mindestens 3 Wochen dauern würde). Diese Info eskalierten wir dann erneut in die Botschaft, gerieten jedoch an einen Diplomaten, der das Gespräch (das übrigens im Eingangsbereich telefonisch stattfand, weil man uns nicht ins Gebäude lassen wollte) mit einem ins Telefon schreienden „You won’t get a visa!“ beendete und einfach auflegte. Okay, das war nicht besonders diplomatisch. Wir beschlossen daraufhin, einfach zur Grenze zu fahren und es zu probieren. Diesmal erwischten wir sogar eine echt schöne und wenig befahrene Bergstraße, machten eine Badepause bei einem Fluss und genossen tibetisches Essen. Kaum verloren wir an Höhe, war das Wetter sofort wieder schwül. Mich machte die Gesamtsituation ganz schön fertig und in der folgenden Nacht brachen enorme Zweifel über mich ein. Hatten wir uns übernommen? War der selbstauferlegte Zeitdruck zu krass? Waren die Pläne unser Fahrzeug zu verschiffen und mit Hund zu fliegen nicht absurd? Marco reagierte lieb und verständnisvoll. Wir einigten uns darauf, die Verschiffungsfrage noch einmal zu überdenken. Da auch die Unsicherheit des bevorstehenden Grenzübergangs an uns nagte, setzten wir die Reise aber zunächst fort wie geplant und fuhren zur Grenzstadt, um unser Glück bei der Einreise nach Indien auf die Probe zu stellen. 

Unbelievable – is not it?

Nach den vielen Passfahrten auf ungemütlichen Schotterstraßen kam uns unser bisher höchster Pass, der Taglangla mit 5.300 Höhenmetern („You are passing through twelfth highest pass of the world – Unbelievable is not it?“), fast wie eine Spazierfahrt vor, denn der größte Streckenabschnitt zwischen Leh und Manali ist gut asphaltiert. Um dann doch noch ein kleines Abenteuer draus zu machen (und weil die Sonne bald unterging) haben wir uns entschieden auf der Passhöhe zu übernachten. Was soll ich sagen, die Nacht war ziemlich mies, denn so richtig gut Luft bekommt man in der Höhe dann doch nicht. Immerhin hat unsere Heizung den Höhentest bestanden, wir mussten also nicht frieren. 

Am nächsten Tag fuhren wir auf ein erträglicheres Level hinab und machten einen Übernachtungshalt in dem kleinen Örtchen Sarchu, wo wir uns Paratha und Dal schmecken ließen. Der Morgenlauf von Marco fand dort auf seiner bisher höchsten Laufhöhe mit 4.200 Metern statt. Kein Problem für ihn, sein Training in Leh (wo wir uns wochenlang auf 3.500 Höhenmetern befanden) hatte bereits Früchte getragen.

Ein weiterer Fahrtag über unseren vorerst letzten Pass (4.900 Höhenmeter) brachte uns zurück in die Region Himachal Pradesh, wo wir zunächst in Keylong übernachteten und schließlich in der Touristen-Stadt Manali ankamen. Wir standen mitten in der Altstadt (auf dem sehr teuren Parkplatz vom Moustache-Hostel) und futterten uns abends und morgens durch das kulinarische Angebot. Nach den vielen Wochen (nein, Monaten!) in entlegenen Bergregionen hatten wir einiges aufzuholen und gönnten uns Cocktails und Co. Dann ging es auch schon weiter Richtung Delhi und zwei oder drei Fahrtage später, in denen uns auf den Straßen immer wieder Festumzüge begegneten, erreichten wir die Hauptstadt Indiens. Das Wetter wurde wieder heiß und schwül und wir vermissten bereits die kühlen Berge. Doch an Siesta war nicht zu denken, denn trotz der Temperaturen mussten wir ein paar organisatorische Dinge erledigen, die für unsere Weiterreise unumgänglich waren: Struppis Impfungen mussten aufgefrischt werden und wir kauften die Flugbox, an die unser Hund in den kommenden Wochen gewöhnt werden sollte. In einer Wohnsiedlung in Gurugram, am Stadtrand von Delhi, ließen wir uns fußläufig zur Tierpraxis ein paar Tage nieder und lernten in dieser Zeit viele nette Nachbarn kennen. Darunter auch Joe und seine zauberhafte Frau, die mit ihren Hunden vorbeispazierten und mit denen wir in ein längeres Gespräch kamen. Die beiden luden uns für den nächsten Tag zu sich nach Hause ein und es wurde ein richtig schönes Treffen voller gastfreundlicher Gesten, an das wir sehr gern zurückdenken. Dann stand auch schon der Kurzaufenthalt in einem neuen Reiseland bevor und wir fuhren ostwärts. 

Der Wendepunkt unserer Reise

Manchmal muss man etwas wagen, um ans Ziel zu kommen. Das war unser Motto als wir das Zanskar Tal in Nordindien verließen und eine Schotterstraße erreichten, die uns über die beiden Gebirgspässe Singe La (knapp 5.000 Höhenmeter) und Sirsir La (ca. 4.800 Höhenmeter) nach Lamayuru bringen sollte. Diese Straße war in früherer Zeit nur ein Wanderweg, wurde inzwischen jedoch so weit ausgebaut, dass sie kurz vor unserer Fahrt als durchgängige Bergstraße für den motorisierten Verkehr passierbar geworden ist. Nun ist „passierbar“ ein sehr dehnbarer Begriff und wir konnten uns nicht sicher sein, ob unser Bus diese Route meistern würde. Aber einen Versuch war es Wert! Im schlimmsten Fall müssten wir umdrehen und die Strecke über Kargil zurückfahren, von der wir gekommen sind. Das heißt, drei bis fünf Tage mehr Fahrzeit einplanen. Ein kalkulierbares Risiko. Na gut, den Spritverbrauch konnten wir auch noch nicht ganz vorhersehen. Unterwegs wären wir komplett abgeschnitten und eine Tankstelle würde es im Gebirge nicht geben. Außerdem müsste das Wetter mitspielen, denn in den Bergen ist es schnell mal wechselhaft und starker Regen kann zu Erdrutschen führen, die zu einer echten Gefahr werden könnten. Das alles im Hinterkopf machte die Fahrt dann doch zu einem aufregenden Unterfangen. Aber schon mal vorab: Es ist (fast) alles gut gegangen! Besonders das erste Drittel der Strecke ist dann allerdings doch ganz schön gruselig gewesen. Auf der rechten Seite überhängende Felsen, auf der linken Seite eine tiefe Schlucht und die Schotterstraße war gerade mal breit genug für ein Fahrzeug.

Rückblickend betrachtet war es eine steile Passage noch vor (!) den beiden fünftausender Pässen, die unseren Motor beinahe ans Limit brachte. Aber eben nur beinahe. Im sogenannten „Kriechgang“ bewältigten wir den steilen Straßenteil langsam – aber unaufhaltsam! Die Fahrt über den Singe La war dagegen schon fast ein Klacks und wir fassten beim Frühstück mit anschließender Meditation auf der Passhöhe neuen Mut, dass sicherlich auch der zweite Pass so gut befahrbar sein würde. Die atemberaubende Gebirgsstraße führte uns in das süße Örtchen Photoskar, wo wir durch grüne Wiese spazierten und die Nacht verbrachten. 

Auch die Passhöhe vom Sirsir La erreichten wir am nächsten Tag problemlos, wie es zunächst schien. Jedoch fiel uns kurze Zeit später – noch mitten im Gebirge – ein fieses Geräusch in der Bremstrommel auf. Nach einer ersten Inspektion durch Marco entschieden wir uns aber, mit dem Auseinanderbauen zu warten bis wir wieder zurück in der Zivilisation sein würden und fuhren vorsichtig weiter. Die steinige Landschaft war wunderschön und so vielseitig. Bald tauchten wir in eine Schlucht aus pastellfarbenen Steinen ein, machten einen erfrischenden Zwischenstop bei einer Hot Spring Shower und erreichten schließlich den malerischen Ort Lamayuru, wo wir uns für zwei Nächte niederließen und von der aufregenden Fahrt erholten. 

Dann ging es weiter nach Leh. Dort nahm Marco im Werkstattviertel die Bremse auseinander, denn falls wir Hilfe benötigten, wären wir dort schon mal an der richtigen Adresse. Wir dachten bis zu dem Zeitpunkt, dass während der Passfahrt ein kleines Steinchen in die Bremstrommel geraten ist und die Geräusche verursacht hat. Es stellte sich jedoch heraus, dass eine Feder gerissen war, die lose herumflog und tiefe Schlieren in die Trommel gekratzt hatte (oder um es in Marcos Worten zu sagen: „Furchen in der Größe des Himalayas!“). Nachgebaut werden konnte die Feder im Werkstattviertel leider nicht und da wir uns mit Leh bereits in der Hauptstadt der Region Ladakh befanden, blieb nach einiger Recherche keine andere Lösung übrig als die Nachbestellung des Ersatzteils aus Deutschland. Wir machten uns also auf etwas Wartezeit gefasst und stellten unseren Bus im Hof vom Goba Guesthouse ab. Um die nachfolgende Geschichte ein wenig abzukürzen: Wir wissen jetzt, dass der Versand eines UPS-Expresspaketes von Deutschland nach Indien ganze 4 Wochen dauert – davon steckte das Päckchen sage und schreibe 3 Wochen beim Zoll in Indien fest! 

Von August bis September 2022 war das Goba Guesthouse (bzw. der Stellplatz im Hof des Gasthauses) aufgrund der langen Paketwartezeit einen ganzen Monat lang unser Zuhause. Und um ehrlich zu sein habe ich diesen Stillstand wirklich sehr genossen, wenn nicht sogar dringend benötigt. Ich will jetzt gar nicht so viel über unseren Nicht-Reise-Alltag in Leh schreiben. Erwähnenswert ist vielleicht, dass dort die Podcast-Folgen („Auf Weltreise mit dem Bus“ Teil 2 und Teil 3) vom Podcast „Jessi’s Heldenreise“ entstanden sind, die ich unten im Artikel verlinkt habe. Im dritten Teil sprechen Jessi und ich über den Alltag, der auch beim Reisen einkehrt. Thematisch also ziemlich passend. Außerdem fuhr eines Tages der Dalai Lama auf dem Weg zu einem Termin in Leh gleich zweimal an unserem Gasthaus vorbei. Mit Blumenschmuck und weißen Tüchern warteten wir am Straßenrand zusammen mit der ganzen Gasthausfamilie auf sein Erscheinen und ich war erstaunt mit welcher Präsenz uns „his holiness“ – natürlich abgesichert durch Militär und Polizeiautos – aus dem Autofenster zuwinkte und anlächelte. Ein ganz rührender Augenblick. Tja, und dann ist in dieser Zeit noch etwas passiert. Ich habe festgestellt (oder mir vielmehr eingestanden), dass ich die Rückreise antreten will. Mehr als zwei Jahre auf Weltreise unterwegs zu sein ist schon eine verdammt lange Zeit und wir können ja nicht einfach einen Flug zurück nach Deutschland nehmen, sondern müssen den Weg selber fahren. Und das muss logischerweise viele Monate im Voraus geplant werden. Es folgten emotionale und ehrliche Gespräche mit Marco und wir einigten uns schließlich auf eine grobe Rückreisedauer von zwölf Monaten bis anderthalb Jahren (ja, auch das ist eine verdammt lange Zeit, erschien uns jedoch realistisch zu sein). Und damit startete eine neue Ära der Reiseplanung. Wir skizzierten Reiseoptionen, wägten Land- und Seewege ab, schrieben Verschiffungsfirmen an und recherchierten Einreisebedingungen für Mensch und Hund. Wir planten Zugreisen, organisierten für Struppi eine Transportbox und schlugen uns mit Quarantäne-Regelungen zur Einfuhr von Haustieren herum. Es gab plötzlich so viel zu tun und zu recherchieren und zu entscheiden, da vergingen die 4 Wochen Expresspaket-Wartezeit dann doch wie im Flug. Nach erfolgreichem Einbau des Ersatzteils verließen wir Anfang September 2022 die Stadt Leh und befinden uns seitdem – bewusst und voller Vorfreude – auf einer ziemlich langen Rückreise!

Hier noch einmal der Link zu den Podcast-Folgen „Auf Weltreise mit dem Bus“:

Teil 2 – Gastfreundschaft und Einladungen

Teil 3 – Auch Reisende sind nur Menschen

Julley, Zanskar!

Ende Juli 2022 kamen wir in der wahrscheinlich abgelegensten Gegend in ganz Indien an: Im Zanskar Tal in der Region Ladakh. Das Tal war bis zuletzt nur über eine schlecht befahrbare Straße von Kargil aus zu erreichen (über diese Straße sind wir auch hingefahren). Das wird sich bald ändern, denn in Zukunft sollen drei Highways nach Zanskar führen und den Tourismus ordentlich ankurbeln. Das könnte Fluch und Segen zugleich sein. Wir waren jedenfalls überglücklich, dass wir die Chance bekamen, das Zanskar Tal noch in seiner sehr ursprünglichen Form erleben zu dürfen. Wir ließen uns zunächst in Padum, dem größten Ort in der Gegend, neben einer eingezäunten Wiese gefüllt mit Gasflaschen nieder. Unser Kochgas musste mal wieder aufgefüllt werden, was am nächsten Morgen ein netter Mönch für uns erledigte. Gegenüber von diesem Platz war eine Kneipe, die Bierdosen verkaufte. In den vergangenen Wochen ein seltenes Gut für uns, daher stießen wir ausnahmsweise bereits am Nachmittag mit Frieda und Sebastian auf die erfolgreiche Fahrt nach Zanskar an. Auf Internet konnten wir uns in der gesamten Bergregion nicht verlassen und so trennten wir uns vom Malteser und erkundeten die Gegend vorerst auf eigene Faust. Das erste Kloster, das wir besichtigten, war die Stongdae Gompa mit einem herrlichen Blick ins Tal. Zum Essen und für kleinere Erledigungen fuhren wir immer wieder nach Padum. Es gab dort etliche Restaurants, die eine fantastische Tibetische Küche anboten. Zu unseren Lieblingsspeisen wurden: Momos, Thukpa, Thenthuk und Yak Käse.

In Padum lernten wir ein deutsches Paar kennen, mit dem wir uns abends zum Essen verabredeten. Die beiden kamen nun schon seit 18 Jahren zum Urlaub nach Indien. In Zanskar waren sie zum zweiten Mal und – wie wir – überaus begeistert. Sie schwärmten von der Karsha Gompa, das wichtigste und größte Kloster der Region, prominent am Hang eines Felsens gelegen. Das sollte unser nächstes Ziel sein. Auf der steilen Fahrt hinauf in die hochgelegene Ortschaft sahen wir einige Frauen mit schwer bepackten Weidekörben auf den Schultern. Am Fluss neben dem Dorfplatz, auf dem wir uns hinstellten, wusch ein Mädchen Geschirr. Die Gebetsmühle gegenüber von unserem Stellplatz wurde von einigen Kindern als Spielplatz genutzt und von vielen Erwachsenen mit Ruhe und Bedachtheit im Vorbeigehen gedreht bis die Glocke mehrmals läutete. Als wir am späten Nachmittag die unzähligen Treppenstufen zum Kloster hochstiegen, trafen wir Inge und Holger (das deutsche Paar) wieder und begegneten einigen Mönchen in ihren roten Roben. Ab und zu schwangen Trommelklänge und Gesänge aus benachbarten Gebäuden zu uns herüber. Eine friedliche Stimmung. Beim Hinabsteigen sprachen uns zwei Kindermönche an und zeigten uns die Gemeinschaftsräume in ihrer Behausung. Im Gegenzug war klar, dass die Kinder auf dem Dorfplatz natürlich ebenfalls gern einen Blick in unseren Bus werfen durften.

Nach einer ruhigen Nacht und einem regnerischen Morgen stiegen wir zum Frauenkloster nebenan hoch. Von hier aus hatte man einen tollen Blick auf die am Hang gebauten Häuser. Etliche Stupas zierten die Felslandschaft. Zurück am Bus kam die Sonne wieder raus und wir fuhren zum Pizzaessen nach Padum (von der „Yak Cheese Pizza“ konnten wir nicht genug bekommen). Es waren so wunderbar entspannte Tage. Wir hatten mit dem gemeinsamen Meditieren begonnen und Marco war fleißig dabei, ein Buch über den Buddhismus zu verschlingen (am Ende ist er dann doch nicht konvertiert, aber zwischendurch stand mal kurzzeitig ernsthaft die Frage im Raum, ob er nicht vielleicht Buddhist werden möchte).

Bei der im Tal gelegenen Sani Gompa beobachteten wir an einem Nachmittag ein besonderes Spektakel. Auf dem Gründstück nebenan fand eine Feierlichkeit statt. Es wurde Essen verteilt und viele Menschen saßen auf Teppichen und Polstern in kleinen Gruppen verteilt im Hof auf dem Boden. Immer wieder liefen Leute – teilweise äußerst festlich gekleidet – im Uhrzeigersinn um die Gompa herum und an unserem daneben parkenden Bus vorbei. Einer der Gäste hatte wohl zu tief ins Glas geguckt und stolperte ins Gebüsch. Wir brachten ihm ein Glas Wasser und halfen ihm auf die Beine zurück. Als wir die Feier am Abend erneut aus der Ferne beobachteten kam ein Mann auf uns zu und ludt uns auf einen Becher Chang (ein selbstgebrautes Bier aus Gerste) ein. Sein Name war Sam und dank seiner guten Englischkenntnisse erfuhren wir, dass es eine Hochzeit war, die an verschiedenen Orten über mehrere Tage hinweg gefeiert wurde. Hier bei der Sani Gompa richtete die Familie der Braut das Fest aus, wobei diese bereits auf der Feier beim Bräutigam anwesend war. Sam stellte uns der Gastgeberfamilie vor und gab uns eine persönliche Hausführung. Wir bekamen eine Flasche Arak (selbstgebrannten Schnaps) in die Hand gedrückt, besichtigten den Brennkeller, das Wohnzimmer, den Gebetsraum sowie ein separates Zimmer, zu dem nur Mönche und exklusive Gäste Zugang erhielten – welch eine Ehre für uns! Wir tanzten mit singenden Frauen zu Trommelklängen im Hof und durften zu späterer Stunde die leckere Thukpa Suppe mitessen, die aus Blecheimern mit riesigen Suppenkellen geschöpft wurde. Wir waren unglaublich dankbar, eine tibetische Hochzeitsfeier so nah miterleben zu dürfen und mit Sam einen so wunderbaren Menschen getroffen zu haben, der uns allen vorstellte und uns überall herumführte. Später fuhren wir zusammen noch ein paar Straßen weiter zur Jugendfeier. Auch hier gab es eine Führung durch das traditionelle Haus, in dem unten die Tierställe und oben der Wohnbereich war. Neben dem Gebetsraum, in dem es so viel zu entdecken gab als wäre man in einem Museum, gab es eine Kammer mit getrockneten Kuhfladen zum Heizen für den langen Winter. Im Wohnzimmer tanzten die jungen Leute im Kreis und wir reihten uns fröhlich ein. Als krönenden Abschluss nahm uns Sam schließlich noch zur Hauptveranstaltung mit, die in einem Nachbardorf auf dem Hof von der Familie des Bräutigams stattfand. Dort erblickten wir zum ersten Mal das Brautpaar in ihrem Festzelt, in dem bei unserer Ankunft gerade ein Geschenkerufer den Gästen laut verkündete, wer dem Brautpaar welches Geschenk mitgebracht hatte (darunter waren auch viele Lebensmittelschenkungen wie zum Beispiel Brot oder kiloweise Butter). Die Braut war verschleiert, weil sie an diesem Tag ihre Familie verlassen musste, um ab sofort bei der Familie des Ehemanns zu leben. So eine große Veränderung in dem jungen Alter ist sicherlich eine emotionale Herausforderung. Ich wurde ermutigt, der Braut meine Glückwünsche auszusprechen und so ging ich zu ihr und wünschte ihr alles Gute. Für einen kurzen Moment lüftete sie ihren Schleier und wir blickten uns an. Ich hoffe, dass ich ihr meine guten Wünsche auf eine mitfühlende Art und Weise auf den Weg geben konnte. Anschließend zeigte uns Sam noch den Küchenbereich, der draußen neben dem Haus eingerichtet war. Riesige dampfende Töpfe auf Gaskochern, die einen herrlichen Anblick boten. Prompt wurden uns Roti und ein Buttertee in die Hand gedrückt. Danach durften wir Sam in den Mönchsraum begleiten und fühlten uns erneut äußerst geehrt in den Privilegiertenkreis eingeladen zu sein und mit den Gastgebern sprechen zu dürfen. Einige Männer in dieser Runde trugen schmuckvolle Amulette und rotgefärbte Wollmäntel. Nach einem letzten Becher Chang und ein paar leckeren Snacks aus Nüssen und getrockneten Früchten verabschiedeten wir uns glücklich in die kalte Nacht. Kaum zu glauben, dass die „große Party“ erst am nächsten Abend stattfinden sollte (da die Hochzeitsfeier wie gesagt mehrere Tage andauert), der wir natürlich auch einen Besuch abstatteten und dabei ganz herzlich auf Teppiche gebettet und von mehreren Damen mit Chang abgefüllt wurden, ein leckeres Essen miterlebten und amüsante Gespräche mit der gutgelaunten Jugend führten.

Zwischen den Feierlichkeiten genossen wir die wohltuende Ruhe im Zanskar Tal, besichtigten die Sani Gompa noch von innen, gingen spazieren und machten eine gemeinsame Wiesenmeditation in der Nähe einer riesigen Buddha Statue. Wir sogen die einzigartige Stimmung von „Klein-Tibet“ im indischen Hochgebirge auf und freuten uns in jeder einzelnen Sekunde einfach nur an diesem wundervollen Ort zu sein. Was für ein Geschenk, den tibetischen Buddhismus in diesem ganz besonderen Tal auf unserer Reise kennengelernt und ein kleines Stück miterlebt haben zu dürfen.

Dann läutete Marcos bevorstehende Arbeitswoche unseren Abschied von Zanskar ein. Bei der kaum vorhandenen Internetverbindung in dieser abgelegenen Region war zuverlässige Online Arbeit unmöglich. Wir drehten eine letzte Runde, fuhren dabei ins südliche Tal, um unsere letzte Gompa anzuschauen und besichtigten eine beeindruckende Klosterruine in Zangla, die in den Höhen einer Bergwüste trohnt. Da alle Tankstellen um Umkreis keinen Sprit mehr hatten, mussten wir nach Padum zurückfahren und einen Tag lang auf Diesel warten. Die Zeit nutzten wir, um noch einmal Thenthuk Suppe und gedämpfte Momos zu essen. Dann traten wir vollgetankt und vollgefuttert unsere Fahrt Richtung Leh mit gemischten Gefühlen an. Wird Waldrian die neu entstandene und erst dürftig ausgebaute Bergstraße von Padum nach Lamayuru über zwei fünftausender Pässe schaffen?

Ladakh Love

Immer wenn wir auf der Reise an natürlichen Thermalquellen vorbeikommen, machen wir eine Badepause. Mit dieser Erwartung sind wir zu den Garam Chashma Hot Springs gefahren, die in der Region Ladakh zwischen Kargil und Khangral liegen. Ein warmes Bad haben wir dort leider nicht vorgefunden, nur ein paar lauwarme knöcheltiefe Pfützen. Das Tal hat uns trotzdem sehr gut gefallen und wir sind auf Wandertour gegangen, wobei wir den (kalten!) Fluss ein paar Mal durchqueren mussten. Nicht nur Struppi war am nächsten Tag platt, auch Marco musste nach der Wanderung wochenlang seinen Fuß schonen, da er auf dem Rückweg richtig blöd umgeknickt ist. Glücklicherweise hatten wir noch eine Schiene von seiner alten Fußverletzung im Bus. Dennoch war es ärgerlich, dass wir gerade jetzt in Ladakh – im äußersten Norden Indiens – vorerst auf’s Wandern verzichten mussten. Schließlich ist das dünn besiedelte Hochgebirgsgebiet für die Schönheit seiner entlegenen Berge bekannt. Einen anderen Aspekt dieser Region konnten wir aber auch ohne körperliche Anstrengung voll auskosten: Die tibetisch-buddhistische Kultur, wegen der Ladakh auch gern als „Klein-Tibet“ bezeichnet wird. Von nun an wurden tibetische Gebetsfahnen, Gompas, Stupas und Buddha-Figuren für uns allgegenwärtig.

Passend zu seiner Fußverletzung stand für Marco die erste „ganze Arbeitswoche“ im Monat Juli 2022 an. Da fiel es nicht ganz so schwer die Füße still zu halten. Wir fanden ein kleines Paradies im Nirgendwo mit gutem Internetempfang und einem fließenden Gewässer nebenan. Ein paar Bäumchen und Büsche spendeten uns etwas Privatsphäre. Und damit es nicht zu langweilig im Paradies wurde, verbündeten wir uns mit Frieda und Sebastian, die ebenfalls die Woche zum Arbeiten nutzen wollten. Neben Laptoparbeit und Hundespaziergängen wurden in dieser Woche einige Kuchen gebacken, ein bisschen Yoga praktiziert, viele Flussbäder genommen und abends Lagerfeuer gemacht. Aus einer Laune heraus habe ich Marco den Kopf rasiert (wir haben jedoch festgestellt, dass ein „richtiger“ Haarschnitt ihm besser steht) und meine gute Freundin Jessica hat mich zu ihrem Podcast eingeladen, sodass wir kurzerhand die erste von drei Podcast-Folgen „Auf Weltreise mit dem Bus“ in diesem grünen Wäldchen aufgenommen haben. Hier der Link zum Podcast (Teil 1).

Nach der Arbeitswoche fuhren unsere Freunde zurück nach Kargil, während Marco und ich einen Umweg über die Ortschaft Dah nahmen. Auf dieser Strecke lag auch der Gebirgspass „Hambuting La“. Dann folgte ein Erledigungstag in Kargil – nochmal alle Vorräte aufstocken – , bevor wir uns auf die ungewisse Reise in Richtung Zanskar aufmachen wollten. Deshalb ungewiss, weil wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, ob die extrem abseits gelegene Region Zanskar eine Sackgasse für uns sein würde. Von Kargil aus führte nur eine unbefestigte Bergstraße ins 230km entfernte Zanskar Tal, für uns ein mehrtägiger Trip. Unser erster Tagesabschnitt wurde durch eine Straßenblockade unterbrochen. Etliche Dorffrauen protestierten, weil ihre Männer aufgrund einer Überflutung von der Ortschaft abgeschnitten waren. Ein Helikopter wurde gefordert, so haben wir es zumindest verstanden. Eine Stunde später war Hilfe unterwegs und die Absperrung wurde weggeräumt. Wir hatten wieder freie Fahrt und holperten fröhlich weiter über die Huckelpiste.

Nach einem sehr langen Fahrtag, der am Ende immer unbequemer wurde, trafen wir am nächsten Morgen inmitten einer traumhaften Bergkulisse unsere Freunde wieder. Ich wünschte mir den Rest des Tages eine Fahrpause und so wurde es ein ruhiger Nachmittag im Beisein einiger Kühe, Pferde und Murmeltiere (die bei Alarmbereitschaft ein trillerndes Geräusch von sich geben, das sich wie eine Pfeife anhört). Das schöne Wetter wurde allmählich wechselhaft. Den folgenden Fahrtag teilten wir in mehrere Streckenabschnitte und weil Frieda Geburtstag hatte gab es bei jeder Pause gefühlt auch gleichzeitig eine Kuchenpause. So kriegt man die Fahrzeit auch rum. Dass wir mehr oder weniger zufällig an unserem ersten buddhistischen Kloster vorbeikamen, wurde zu einem besonderen gemeinsamen Geburtstagsausflug.

Bei dem Kloster handelte es sich um die Rangdum Gompa. Ein Bauwerk aus Lehm und Stroh, das laut Wikipedia „auf einem Solitärfelsen in 4030 m Höhe inmitten der Rangdum-Hochebene thront“. Ja, das sah mindestens so herrschaftlich aus, wie es sich anhört! Noch spektakulärer war die Klosterbesichtigung jedoch von innen. Einer der Mönche öffnete uns die Pforte, ließ uns mit Engelsgeduld alles begutachten und wir durften sogar Fotos machen. Figuren, Malereien, Tücher, Holzschnitte – und alles so wunderbar farbig! Ein wirklich beeindruckender Ort und eine beeindruckende Landschaft drumherum. Wahnsinn! Wird uns das auch in Zanskar erwarten?

UPDATE: Hier noch drei Lieblingsbilder geschossen von unserer Reisefreundin Frieda (@Friedamaelle).

Wandern in Kashmir

Der Juli 2022 begann mit einer Änderung, die sich positiv auf unseren Reisealltag auswirkte. Statt an zwei Tagen pro Woche arbeitete Marco ab sofort nämlich nur noch eine Woche pro Monat (also in der Regel fünf Tage am Stück). Seitdem genießen wir die Freiheit, nicht mehr im Wochentakt einen guten Arbeitsplatz finden zu müssen, denn das gestaltete sich spätestens seit Pakistan immer schwieriger für uns. Besonders in den Bergregionen gab es keine verlässliche oder häufig gar keine Internetverbindung. Dabei verbringen wir doch so gern Zeit in den Bergen, wie hier z.B. beim Wandern mit unseren Freunden im Himalaya-Gebirge (Fotos: @friedamaelle @sebastian_schubbe).

In Kashmir zwischen Gagandir und Sonamarg sind diese tollen Bilder entstanden. Wir trafen uns abends zum Pizzabacken am Lagerfeuer. Der Fluss neben unserem Stellplatz war so laut, dass man sein eigenes Wort kaum verstand. Und am nächsten Morgen regnete es so stark, dass der Malteser umparken musste, weil plötzlich der Weg unter Wasser stand. Als gegen Mittag die Sonne rauskam, motivierte ich die anderen zu einem Spaziergang (das trockene Wetter wollte schließlich genutzt werden), aus dem spontan eine richtig schöne Halbtageswanderung wurde (Fotos: @friedamaelle @sebastian_schubbe). 

Wie immer haben auch Marco und ich ein paar Schnappschüsse gemacht. Ach ja, und Struppi hat ihre Aufgabe im Aufspüren von Knochenresten gefunden. Abends kochte Marco für uns Schweizer Älplermagronen und wir machten es uns zu Viert bei einem Filmabend in Waldrian gemütlich. Was für ein schöner Tag!

Weiter ging es nach Sonamarg, wo wir uns auf einem Busparkplatz niederließen. Morgens startete der Tag wie so häufig in Indien mit trällernder Musik vom Band. Unterwegs entdeckten wir einen kleinen Park, der eine lustig wirkende Vergnügungsaktivität anbot: Schwimmen in aufblasbaren Wasserrollen. Okay, es war nicht ganz so spektakulär, wie es aussieht. Aber wenigstens für ein paar Minuten hatten wir jede Menge Spaß! 

Dann wollten wir zur hinduistischen Pilgerstätte Amarnath fahren, verpassten jedoch die Einfahrt vom Camp und wollten uns das Ganze daraufhin erstmal von oben angucken. Am Ende des Tages strandeten wir ein paar Kilometer weiter oben auf der Bergstraße in einer Parkbucht und hatten einen fantastischen Blick auf die Berge und die Pilgerstätte (Fotos: @friedamaelle @sebastian_schubbe). 

Wir machten bereits Pläne, am nächsten Morgen zusammen den Pilgerweg zu Shivas Höhle mit der Eissäule anzutreten. Doch dann stießen wir auf die traurige Nachricht, dass Sturm und Regenfälle am Tag zuvor das Tal überflutet haben und dabei mehrere Menschen ums Leben gekommen sind. Vor diesem erschütternden Hintergrund verwarfen wir unsere Pläne sofort und fuhren am nächsten Tag auf der Pass-Straße weiter Richtung Ladakh.

Überraschendes Indien

Man merkt, dass die Reise an Fahrt aufgenommen hat, wenn man mit seinen Blogartikeln ganze sechs Monate im Verzug ist. Leute, wie die Zeit vergeht! In der Zwischenzeit ist so viel passiert und wir sind nicht nur ein knappes halbes Jahr durch halb Indien gereist (und Indien ist riesig), wir sind auch durch Nepal im Schnelldurchlauf gefahren, haben unsere ersten Erfahrungen mit Verschiffungsfirmen in Mumbai gemacht, sind mit Hund und Kegel nach Thailand geflogen, haben unser rollendes Zuhause auf einem Schiffscontainer den Seeweg antreten lassen während wir mit Rucksack, Koffer und Transportbox bepackt erstmals auf dieser Reise das Hotel-Leben kennenlernten (mit der Einschränkung nur in hundefreundlichen Unterkünften einkehren zu dürfen). Und jetzt sitzen (bzw. liegen) Struppi und ich zu zweit in einem Hotelzimmer in Hat Yai im Süden Thailands während Marco sich allein in ein Flugzeug nach Malaysia gesetzt hat, um unseren Bus vom Hafen in Kuala Lumpur abzuholen. Klingt kompliziert? Um die gesamte Geschichte niederzuschreiben, werde ich hoffentlich keine weiteren sechs Monate benötigen. Aber spulen wir doch zunächst einmal ein halbes Jahr zurück… *KASSETTENSPULGERÄUSCH*

Der Grenzübergang von Pakistan nach Indien war Ende Mai 2022 für uns der wahrscheinlich beeindruckendste Grenzübertritt unserer bisherigen Reise. Ja, diese Pforte (siehe Fotos) wurde extra für uns geöffnet und ja, wir sind durch das leere Stadion von der Attari-Wagha-Border gefahren, in dem täglich zur Schließung eine legendäre Grenzzeremonie zwischen den pakistanischen und indischen Militärkräften stattfindet. Auf der Suche nach einer SIM-Karte in Amritsar wurden wir vom Getümmel der Straßen förmlich aufgesogen, haben uns über bunte Kleidung und motorradfahrende Frauen gefreut und das Gefühl, abends in unserem Guesthouse mit einem Bier in der Hand in den Pool zu tauchen, war einfach nur unbeschreiblich. Dankbarkeit pur! Natürlich haben wir uns am nächsten Tag nicht nur den goldenen Tempel in Amritsar angeschaut, sondern uns auch die besagte Grenzzeremonie nicht entgehen lassen. Struppi hat auf dem Grundstück vom Guesthouse neue hündische Freunde gefunden und damit war unser Start in Indien einfach perfekt!

Bei der Fahrt durch die Region Punjab haben wir in der Ferne einen malerischen See gesichtet und uns spontan entschieden: Da müssen wir hin! Der Ort nannte sich „Mini Goa“. Ob das ein zutreffender Name ist, können wir rückblickend nicht beurteilen, da wir es nie nach Goa geschafft haben. Aber eines können wir sagen: Es war dort traumhaft schön! Nach einem erfrischenden Badegang wurden wir am Nachmittag von einer Männergruppe auf ein (oder zwei, oder drei) Gläschen Whiskey eingeladen und bekamen am Abend in unserem Bus noch Besuch von einer netten Familie. Wir fühlten uns äußerst willkommen! Das ruhige Beobachten von Wasserbüffeln wurde zu Struppis neuer Lieblingsbeschäftigung. Die ersten Affen, die sie bei unserer Weiterfahrt in die Region Himachal Pradesh durch die Frontscheibe erblickt hat, haben unsere Junghündin frühmorgens in Dalhousie allerdings so erschreckt, dass sie vor Aufregung in den Bus gepullert hat. Hoppla! Marcos Arbeitstage verbrachten wir an einem Tümpel (dem sogenannten Khajjiar Lake), der irgendwann mal zu einer Haupttouristenattraktion geworden ist. Vermutlich weil die Lage in der Höhe etwas Abkühlung von den sommerlich heißen Temperaturen versprach. War nett dort und es kühlte abends auch tatsächlich sehr angenehm ab. Ein weiterer Vorteil waren die vielen vegetarischen Restaurants dort. Wir lieben das indische Essen!

Mit unserem Reisefreund Sebastian (diesmal ohne Frieda, weil sie für diverse Fotografie-Jobs in Deutschland war) trafen wir uns erneut auf ein langes Wochenende in „Mini Goa“. Danach ging es für uns nach Dharamshala, wo diesmal ein klarer Fluss für unsere Erfrischung sorgte und wir uns für ein paar Tage niederließen. Ich hatte vorab ziemlich schlimme Erwartungen von Indien gehabt, aber irgendwie wollten sich diese Vorurteile nicht bestätigen und fast jeder Ort entpuppte sich in dieser Anfangszeit als kleine Wohlfühloase. So auch das kleine Dörfchen Dharamkot oberhalb von McLeodGanj (der Sommerresidenz des Dalai Lama), in das wir bei einem Regenschauer mit Stau und die letzten Kilometer nur über eine extrem schmale Straße (für mich als Fahrerin war das Zentimeterarbeit mit Waldrian) gekommen sind, was wir wahrscheinlich nur deshalb auf uns genommen haben, weil uns zum einen das Klima auf 2.000 Metern gelockt hat und weil wir zum anderen mit Marcos Bruder Joshua und seiner Freundin Charly verabredet waren. Das erste Mal Familienbesuch auf der Reise, das war definitiv jeden Höhenmeter wert! Die Zeit mit den beiden war großartig und der Ort war einfach so wunderbar entspannt, dass wir eine ganze Woche dort blieben.

Dann sollte es noch weiter in den Norden gehen. Schließlich war es unser Ziel, vor dem Monsun zu fliehen, der sich durch den einen oder anderen heftigen Regenschauer bereits ankündigte. Wir fuhren durch dschungelartige Wälder, reparierten notdürftig unseren Auspuff, besichtigten einen Steintempel und hatten dabei eine nette Zufallsbegegnung mit einem Inder, den wir in Dharamshala kennengelernt haben. Für die Region Jammu & Kashmir benötigten wir schon wieder eine neue SIM-Karte. Über die App „iOverlander“ verabredeten wir uns mit Naveen, einem wundervollen und hilfsbereiten Menschen, der Overlander für einen Zwischenstop gerne auf sein Grundstück einlädt. Wir hatten keine großen Erwartungen und wurden von der Gastfreundschaft der Familie völlig überrascht. Alle waren super nett, wir wurden mit Getränken und Essen versorgt und uns wurde sogar ein eigenes Zimmer mit Bad und Klimaanlage bereitgestellt. Witzigerweise war Marco zu dem Zeitpunkt davon überzeugt, dass wir unbedingt in unserem eigenen Bus schlafen müssen, damit die Klimaanlage uns nicht die Akklimatisierung versaut. Wie blöd von uns, denn es war eine sehr heiße Nacht, hahaha! 

Es folgten zwei Fahrtage auf vielbefahrenen LKW-Straßen bis wir schließlich in Srinagar ankamen. In der Stadt am Dal See kamen wir nicht drumherum von diversen Hausbootbesitzern angesprochen zu werden, die ihre schwimmenden Hütten vermieten wollten. Unsere erste Anlaufstelle – ein dreckiger und teurer Bezahlparkplatz an der lauten Touristenmeile – schreckte uns zunächst ab. Doch dann kam es zu einem Glückstreffer: Das Swiss Hotel (wiederum als Eintrag in der iOverlander-App zu finden) hatte einen Platz für unser Fahrzeug. Auch hier waren wir die ersten Overlander nach Jahren der pandemiebedingten Grenzschließung. Das nette Hotel-Team ludt uns nicht nur zum Tee ein, wir durften auch in unserem Bus bleiben, solange wir wollten und den tollen Garten, den Gemeinschaftsraum und die Toilette nutzen. Einfach nur wow! Da kamen die Arbeitstage von Marco gerade recht. Da das Hotel leider kein eigenes Restaurant hatte (sonst hätten wir dort natürlich gern unser Geld gelassen) gingen wir in der Stadt essen und revanchierten uns beim Hotelbesitzer mit einem typisch deutschen Kochabend. Es gab ein klassisches Rezept von meiner Mama: Kartoffelbrei mit Blumenkohl in Weißer Soße. Lecker!

Gegen Ende unserer Woche in Srinagar stießen auch unsere Reisefreunde Sebastian und (die aus Deutschland zurückgekehrte) Frieda wieder zu uns. Wir nutzten die Gelegenheit für eine gemeinsame Bootstour auf dem Dal See. Als kleine Gruppe macht sowas doch gleich viel mehr Spaß. Es war mittlerweile Anfang Juli 2022. Die Platzsuche außerhalb von Srinagar führte uns zu einem Fischersteg, wo wir unsere beiden Düdos „Schnauze an Schnauze“ parkten. Dort kamen wir mit einem Restaurantbesitzer ins Gespräch, der uns alle Vier zum Essen in sein Restaurant einludt (das Dinner war übrigens fantastisch). Und schon wieder so viel Gastfreundschaft, da fehlen mir die Worte! Indien, du überraschst mich wieder und wieder!

Can you touch the queen?

Als wir für Marcos Arbeitstage auf dem Parkplatz vom Snow Hotel in Skardu standen (mit der Hoffnung auf eine stabile Internetverbindung, die sich leider nicht erfüllen sollte) bekamen wir Kirschen geschenkt. Das war ein guter Anlass, um mal wieder die Omnia Backform rauszukramen und einen Rührkuchen zu backen. Nach der Arbeit machten wir uns auf den Weg in den Deosai Nationalpark. Auf der ersten Hochebene war es kühl und sonnig. Die weitere Fahrt wurde abwechslungsreich mit Wind, Regen und Schnee. 

An einem idyllischen Bergsee übernachteten wir auf 4.000 Höhenmetern und wachten morgens komplett eingeschneit bei Minustemperaturen auf. Verrückt, wenn man bedenkt, dass im Rest des Landes teilweise über 40 Grad herrschten. Kurz vor Chilas erfuhren wir von unserem Freund Hussain, dass die Babusar-Pass-Straße für Fahrzeuge wieder geöffnet war. Auf dem Hinweg konnten wir diesen Pass nicht befahren und somit freuten wir uns, dass wir auf dem Rückweg nach Islamabad eine neue Strecke nehmen konnten. Ein paar Hürden gab es jedoch zu meistern, so wurden wir bei Chilas zunächst von einer Straßensperre und dann von einer Steinblockade aufgehalten. Auf der scheinbar sehr beliebten Pass-Strecke drängelten sich die Autos und Busse durch meterhohe Schneegassen. An einer Brücke wollte uns irgendein Soldat aufhalten, weil wir angeblich „no permission“ hatten, was uns sehr willkürlich vorkam und wir deshalb im Schritt-Tempo einfach an ihm vorbeifuhren. Rückblickend stellten wir fest, dass wir uns allein von Uniform und Maschinengewehr offensichtlich nicht mehr beeindrucken ließen. Unten im Tal gab uns schließlich eine Diskussion über Sexismus tiefe Einblicke in das patriarchalische Weltbild einer pakistanischen Männergruppe, die ihre Frauen angeblich wie Königinnen behandelten („Can you touch the queen?“) mich allerdings im gleichen Gespräch als „Flatscreen“ beleidigten („This is a woman?“) und die überwiegend vorherrschende Nichtanwesenheit von Frauen in der Öffentlichkeit mit „They have other interests!“ rechtfertigten.

Zurück in Islamabad standen wir ein paar Nächte lang in einer netten Nachbarschaft und warteten auf unser Visum für Indien. Ein Interview bei der High Comission stand noch aus. Während der problematischen Anfahrt zur indischen Botschaft durften wir uns bei zwei Österreichern hinten auf’s Motorrad schwingen, um wiederum zu einem Shuttle Service zu fahren, der uns innerhalb der Enklave zum Botschaftsgebäude fuhr. Mit den beiden Österreichern gingen wir an zwei Abenden hintereinander essen und schnorrten uns in ihrer Unterkunft eine Dusche. Die Nachbarschaft, in der wir standen, entpuppte sich als extrem modern und gastfreundlich. Wir kamen mit mehreren Familien ins Gespräch und wurden ständig superfreundlich mit Lebensmitteln beschenkt: Biryani, Lassis, Eis am Stiel, Eintopf, Brot, selbstgebackene Kekse. Uns wurde sogar an zwei Tagen Frühstück zum Bus gebracht. Das war einfach unglaublich. Schön war auch, dass die meisten dieser Begegnungen mit Frauen stattfanden. Generell haben wir das Stadtleben in Islamabad sehr fortschrittlich und entwickelt wahrgenommen im Vergleich zu dem einfachen Leben in den ländlichen Regionen Pakistans. Dann war es soweit und wir durften nach insgesamt 5 oder 6 Wochen Wartezeit endlich unsere Reisepässe inklusive Indien-Visa abholen. Statt den beantragten 12 Monaten mit Multiple-Entry bekamen wir immerhin 6 Monate mit Double-Entry (andere Reisende erhielten nur 3 Monate, da konnten wir also froh sein). Wir fuhren noch am gleichen Tag Richtung Lahore und schauten uns unterwegs eine Salzmine an. 

Danach ging es weiter nach Sheikhupura, wo wir ein zweites Mal unseren lieben Hussain besuchten. Unsere ungarischen Reisefreunde Peter und Cili waren auch dort und so wurde Hussains Zuhause zu einem tollen Overlander Treffpunkt. Mit seiner Hilfe ließen wir uns ein Stück pakistanische Truck Art anfertigen und am Bus anbringen. Allein dieses Kunsthandwerk und das dazugehörige Treiben auf dem Werkstatthof zu beobachten war ein ganz besonderes Erlebnis und seitdem fährt unser Waldrian ein bisschen bunter durch die Welt. Wir revanchierten uns mit einem Restaurantbesuch bei Hussain und seiner Frau. Dann hieß es Abschied nehmen. Wir verließen Pakistan Ende Mai 2022 mit vielen herzlichen Eindrücken und lange nachhallenden Erinnerungen in Richtung indischer Grenze. 

Cold Desert & Climbing Crag

Vom Khunjerab-Pass ging es Anfang Mai 2022 zurück Richtung Hunza. Erneut am Attabad Lake vorbei. Kurze Badepause an einem versteckten Örtchen neben einem Fluss (so versteckt, dass sogar ich mich kurz ins Wasser traute – anderswo in Pakistan nicht denkbar). Wir fanden eine super schöne Arbeitsplatzstelle mit Blick ins Tal und dann freuten wir uns nach so vielen tollen Tagen in der Natur auch wieder auf die Vorzüge vom „Städchenleben“ in der Big City Karimabad. Wir freundeten uns mit den Ladenbesitzern vom Hunza Carpet Store, vom Ibex Weaving Shop und vom Baltit Book Store an. Dann lernten wir ein paar junge Leute kennen, mit denen wir uns zum „Feiern“ verabredeten. Im Mountain Café legten Marco und sein neuer Kumpel Ali gemeinsam auf. Die Getränkeauswahl bei so einer „Party“ war mit Kaffee und Tee für uns eher ungewöhnlich, aber es war eine witzige Aktion und ich glaube ein paar Minuten wurde an diesem Abend sogar getanzt. 

Ein neuer Streckenabschnitt stand bevor. Wir wollten von Gilgit aus weiter Richtung Skardu fahren. Zwischendurch sorgte eine Straßenblockade für eine Zwangskaffeepause (wie gut, dass wir unsere Küche immer dabei haben). Die Dorfbewohner protestierten aufgrund eines langandauernden Stromausfalls ganz im Pakistani-Style. Ein oder zwei Stunden später war das Problem anscheinend gelöst, jedenfalls wurde die Blockade aufgehoben und die Fahrt konnte weitergehen. Pünktlich zur Dämmerung fanden wir einen hübschen Stellplatz mit fantastischem Seeblick. Unser abendlicher Hundespaziergang wurde zum Highlight und als es dunkel war kamen unsere Freunde mit Moped und Zelt dazu und wir verbrachten einen schönen Kochabend bei uns im Bus.

Wir mussten in Skardu ein paar Einkäufe erledigen, entschieden uns dann aber schnell wieder raus in die Natur zu fahren. In der „Cold Desert“ wurden wir mit den unendlichen Weiten einer Bergwüste belohnt. Wir standen gern um 6 Uhr früh auf, damit der Sand noch nicht so heiß war und die Sonne nicht so knallte (ganz so kalt wie ihr Name vermuten lässt war die Wüste im Mai nämlich nicht). 

Nächstes Etappenziel war ein See, der so ruhig gelegen war, dass die Huckelpiste dorthin einige Zeit und Nerven in Anspruch nahm. Umso schöner war der Stellplatz direkt am See. Ein lustiger Pizza-Back-Contest in unserem Bus rundete den Abend ab. Dann ging es weiter in einen Ort mit Kletterfels, wo unsere Kletterausrüstung (seit Griechenland!) endlich mal wieder zum Einsatz kam. 

Gilgit, Hunza, Passu, Khunjerab.

Der Norden von Pakistan kam uns Mitte April 2022 wie ein neues Reiseland vor. Die Natur veränderte sich, wir mussten uns eine neue SIM Karte kaufen, die Menschen waren anders drauf. Wir wurden in Gilgit zwar immer noch mit offenen Mündern bestaunt, doch je nördlicher wir kamen umso gewöhnter schienen die Leute im Umgang mit ausländischen Touristen zu sein. Ein netter Hotelbesitzer hatte uns bei der Stellplatzsuche beobachtet und ludt uns prompt ein, bei ihm im Hinterhof zu stehen, solange wir möchten. Das nahmen wir dankend an, schließlich standen Marcos Arbeitstage bevor und ich nutzte die Zeit, um einen Reiseplan für unsere Nordrunde zu erstellen, denn mit Internet konnten wir in den Bergen nicht immer rechnen. Frieda und Sebastian stießen mit Motorrad und Campingausrüstung dazu. Sie hatten ihren Düdo in Islamabad untergebracht, um die Nordtour mit einem Moped zu bestreiten. In den folgenden Tagen und Wochen wuchsen wir zu einem super Reiseteam zusammen. 

Das Hunza Tal wurde für einige Zeit zu unserem Zuhause. Verglichen mit den Strapazen aus West-Pakistan fühlten wir uns endlich wieder frei und fast wie im Paradies. Wir konnten wandern gehen (der Blick ins Tal vom schwarzen Gletscher aus war einfach nur atemberaubend), leckeres pakistanisches Essen genießen (ohne die nächste schwere Lebensmittelvergiftung zu bekommen), nach Lust und Laune shoppen gehen (wir wollten schließlich nicht die Chance verpassen ein paar Souvenirs aus Pakistan mitzubringen) und wir sind sogar an eine Flasche „Hunza Water“ gekommen (ein selbstgebrannter mit Wasser verdünnter Schnaps, nach dessen Konsum wir eine gutgelaunte Begegnung mit einem Bagger hatten, die an dieser Stelle jedoch unerzählt bleiben will).

Nach ein paar Tagen in Hunza’s „Hauptstädtchen“ Abottabad fuhren wir über den Attabad Lake nach Passu und von dort zum Borit Lake, wo wir bei einer steilen Wanderung entlang des Passu Gletschers auf 3.000 Höhenmetern viel Spaß hatten. Wieder zurück in Passu trafen wir ein Touristenpaar aus China, die uns mit GoPro-Kamera bewaffnet nach einem Interview mit Roomtour fragten. Wir ließen uns darauf ein und erfuhren beim anschließenden Smalltalk, dass die beiden ein Business in Indien haben, jedoch seit drei Jahren nicht mehr in ihr Heimatland nach China einreisen können, weil die chinesischen Grenzen seitdem aufgrund von Covid-19 geschlossen sind. 

Für Marcos Arbeitstage ließen wir uns auf dem Parkplatz eines Hotels in Gulmit nieder. Ein schöner Spaziergang führte uns zur Passu-Hängebrücke. Wir haben uns beide nicht getraut die Brücke komplett zu überqueren. Dann kam aus dem Nichts ein Bauarbeiter, der ohne zu zögern mit gekonnten Schritten ohne sich festzuhalten auf den morsch-erscheinenden Brückenbrettern zur anderen Uferseite rüberlief. Hut ab, der hat es uns auf jeden Fall gezeigt! 

Für einen Ausflug zur Chinesischen Grenze (die ja weiterhin geschlossen war, aber aus der Ferne angucken wollten wir sie uns trotzdem gern) trafen wir uns mit Frieda und Sebastian wieder. Die Route führte anfangs durch einen Nationalpark. An der Schranke mussten wir Struppi verstecken, weil Hunde offiziell nicht erlaubt waren. Natürlich haben wir sie im Nationalpark auch nicht frei laufen lassen. Wir konnten Yaks und Murmeltiere beobachten und wir hörten, dass sogar eine Ibex-Herde in Sichtweite unterwegs war, die wir aber leider verpassten. Unsere Spritztour ging über den Khunjerab Pass auf 4.600 Höhenmeter hinauf, wo es tatsächlich schneite. Zu dem Zeitpunkt ein Höhenrekord für Waldrian, der in Indien jedoch noch getoppt werden sollte. 

40 Grad und 1 Ventilator

Nach unserer eintägigen Zwangspause auf dem Polizeihof in Loralai, wo wir mit Tee und Keksen nur so überschüttet wurden und sich immer, wenn ich mit Struppi draußen vor dem Bus war, eine Selfie-Traube mit Polizisten um mich herum gebildet hat, fuhren wir allein weiter (d.h. natürlich mit polizeilichem Begleitschutz, aber ohne den Malteser). Marco war aufgrund seiner Lebensmittelvergiftung einen Tag lang fahrunfähig und deshalb verabschiedeten sich Frieda und Sebastian von uns. Wir wollten die beiden in Lahore wiedersehen. Marco lag so richtig flach und war von morgens bis abends nicht in der Lage aus dem Bett aufzustehen. Alle 20 Minuten klopfte es an unsere Bustür mit der Frage, ob Marco einen Arzt bräuchte. Man könne einen Doktor kommen lassen. Ich hielt die Stellung und sagte jedes Mal ab. Ganz freundlich erklärte ich jedem Besucher, dass Marco vor allem eines braucht: Ruhe zum Auskurieren! Und schon kam die nächste Person mit TUC-Keksen und Grüntee vorbei. Das war einerseits total lieb („It’s our duty to help“), andererseits kam zusammen mit dem Tee und der Frage nach ärztlicher Hilfe auch ständig die Frage, wann wir denn (endlich?) weiterfahren würden. Das fühlte sich nach einem höflichen Rausschmiss an. Mit diesem „Druck“ im Nacken und dem Fakt, dass Marcos Zustand am Nachmittag immer noch nicht besser war, ging ich zum Boss und sagte, dass wir nun doch gern auf das ärztliche Angebot zurückkommen würden. Als Antwort kam, man würde uns die Adresse geben, ins Krankenhaus müssten wir dann jedoch allein fahren. Haha, na da blieben wir lieber im Polizeihof stehen, schließlich brauchte Marco vor allem eines: Zeit und Ruhe zum Auskurieren! Abends ging es ihm glücklicherweise etwas besser und wir waren uns einig, dass er zumindest als Beifahrer den nächsten Fahrtag mitmachen könnte. Wie man auf dem folgenden Foto sieht, ging das gut und es folgte ein anstrengender aber schöner Eskort-Tag von Loralai bis Darazinda, der durch hübsche Natur und eine tolle Schlucht führte. Wir verließen Belutschistan und wurden von der Polizei nur einige Meter weit bis in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (kurz: KPK) gebracht. Dort wurden wir „abgesetzt“, mit den Worten es sei sicher hier und wir könnten allein weiterfahren. Als die Dämmerung einbrach und uns doch etwas mulmig bei der Platzsuche wurde, fragten wir bei einem eingezäunten Krankenhaus, ob wir auf dessen Hof übernachten dürften. Ein langes Gespräch mit dem HR-Manager sowie ein paar Stunden Wartezeit später wurden wir von der Polizei aus dem Bett geklopft und mussten ein noch längeres Gespräch über uns ergehen lassen. Die Polizisten waren aber sehr nett und ließen uns dort nächtigen. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass mehrere bewaffnete Polizeimänner (ausgerüstet mit Feldbetten und Decken) die Nacht ebenfalls auf dem Krankenhaushof verbracht haben, um uns zu beschützen („It’s our duty to help“). So viel zum Thema es sei sicher in KPK. Zum Abschied verteilten wir ein paar Kaugummis und bedankten uns ganz herzlich für den Dienst. 

Ein weiterer Eskort-Tag (irgendwann habe ich aufgehört die Tage zu zählen) führte uns von Darazinda bis Jhang. Für eine Strecke von 100 Kilometern haben wir 4 Stunden gebraucht. Als wir KPK verließen und die Provinz Punjab erreichten, wurden wir bei einer Polizei-Stelle zum Lunch eingeladen während wir dem grimmig dreinguckenden, aber (mal wieder) sehr freundlichen Polizei-Chef unsere Dokumente vorzeigten und (mal wieder) etliche Fragen beantworteten. Landschaftlich wurde es langsam grüner. Kurz vor der Stadt Jhang verloren wir (mal wieder) unser Eskort-Fahrzeug. Diesmal weil wir dringend tanken mussten und es einfach nicht schafften uns durch hupen und winken und langsamer werden bemerkbar zu machen. Die sind einfach weitergefahren ohne auf uns zu achten. Na gut, dann fuhren wir halt in Eigeninitiative zur nächsten Polizei-Station und fragten, ob wir dort die Nacht verbringen dürften. Ein super netter Polizist (dem wir wohl schon während der Eskorte begegnet sind – sorry, aber es waren einfach zu viele wechselnde Gesichter in der ganzen Zeit) kam mit seinem Bruder vorbei und brachte uns Cola und Zigaretten. Die beiden waren extrem hilfsbereit und zuvorkommend. Nachdem man uns unseren Schlafplatz zuteilte schenkte uns der Polizist sogar noch frisch gepressten Orangensaft und ein paar Stangen Rohrzucker. Das war super lieb. Marco quatschte noch eine ganze Weile mit unserem Freund. Ich musste mich leider hinlegen, weil ich an dem Tag schlimme Magenbeschwerden bekam, die während unserer gesamten Zeit in Pakistan (2 Monate lang!) nicht aufhören sollten.

Die Soldaten in Jhang waren witzige Kerle. Nach einer Selfie-Session am Morgen (wir wurden ja ständig gefragt, ob man mit uns zusammen Fotos machen könne) drehte Marco den Spieß um und machte lustige Blümchen-Fotos mit den Männern. Anschließend konnten wir die Truppe sogar dazu bringen, ein Geburtstagsständchen für unseren Kumpel Tobias zu singen. Als wir uns lachend von allen verabschiedeten, drückte uns der Chef noch eine Pappbox mit leckeren Backwaren in die Hand. So ein tolles Frühstückspaket! Wir waren richtig gerührt und es war genau das, was wir brauchten, schließlich hatten wir noch einen letzten Eskort-Tag vor uns. Ein Glück kamen wir relativ schnell auf der Autobahn Richtung Lahore an. Dort wollte man uns zwar weiter eskortieren, aber wir hatten eine pakistanische Kontaktperson, die uns noch oft eine große Hilfe sein würde und die uns die Eskorte telefonisch vom Hals halten konnte: Unser lieber Hussain! Er ist Anwalt und wohnt auf einem tollen Grundstück in Sheikhupura in der Nähe von Lahore. Dorthin hat er uns eingeladen und wir waren mehr als glücklich über diese kleine Oase voller Gastfreundschaft mit Dusche, klimatisiertem Wohnzimmer, Stellplatz für Waldrian, Garten für Struppi, dreimal am Tag köstliches Essen (wir wurden mit den leckersten typisch-pakistanischen Speisen verwöhnt, um nicht zu sagen gemästet) und – last but not least – mit Hussain, dem besten Gastgeber, den man sich überhaupt vorstellen kann. Am ersten Abend haben wir noch einen gemeinsamen Ausflug in den Hiran Minar Park mit historischer Sehenswürdigkeit gemacht (unser französischer Reisefreund Vincent, den wir damals in Armenien kennengelernt haben, war auch dabei), den nächsten Tag benötigten wir dringend für uns, um nach den anstrengenden Eskort-Tagen vor allem eines zu tun: Ausruhen und Klarkommen! Und auch diese Zeit hat uns der liebe Hussain verständnisvoll gegeben. So ein toller Kerl und unser erstes gefühltes Zuhause in Pakistan. Wir sind sehr dankbar für diesen wertvollen Kontakt!

Dann ging es weiter nach Lahore. Eine Woche lang haben wir versucht bei Gerry’s Visa unser Visum für Indien zu beantragen – leider ohne Erfolg, es wurden uns ziemlich viele Steine in den Weg gelegt. Der Stadtverkehr war schlimm (überall Mopeds, Tuk-Tuk’s, Autos, LKW’s, Eselkarren, Menschen, Kinder, Kühe auf der Straße – und zwar kreuz und quer und jedes Fahrgefährt machte lautstark-hupend auf sich aufmerksam), aber mit der passenden Musik auf unseren Lautsprechern (natürlich ganz laut) wurden einige dieser Stadt-Fahrten zum Spaß unseres Lebens! Hatte ich erwähnt, dass wir seit Einreise in Pakistan mit durchgängig 40 Grad Außentemperatur zu kämpfen hatten?! Noch dazu mussten wir jeweils ab späten Nachmittag alle Fenster und Türen von Waldrian schließen, um den Bus möglichst frei von Mücken zu halten: Malaria lässt grüßen! Zusätzlich hängten wir jeden Abend vor’m Schlafengehen ein imprägniertes Mückennetz über unser Bett, denn trotz aller Bemühungen schafften es immer mal wieder ein paar dieser Viecher ins Businnere. Unsere zwei Wohnmobil-Fenster mit integriertem Mückengitter und ein Ventilator, der nachts durchlief und somit zumindest eine lauwarme Brise in unseren Wohnraum pustete, waren unsere Lebensretter. Auf dem Parkplatz einer Grünanlage trafen wir unsere Reisefreunde Frieda, Sebastian und Vincent wieder. In einer mehrstündigen Aktion hatten Marco und ich aus der versteckten Bar eines 5-Sterne-Hotels eine Runde Dosenbier für alle geholt. Dort eröffnete sich uns folgende Szene: Die Tür von der Bar im 5. Stock sah aus wie eine normale Hotelzimmertür, doch dahinter verbarg sich eine urige Spelunke mit Billardtisch, abgedunkeltem Licht, leichtem Zigarettenrauch in der Luft und – wie im Film – einem Barsmann mit Geschirrtuch in der Hand, der gerade ein Bierglas trockenrieb und einem Chinesen, der allein an der Bar vor einem halbleeren Krug saß. Nach vier Monaten alkoholfreiem Reisen durch Iran und Pakistan war das ein traumhafter Anblick für uns! Wir wären gerne nochmal mit den anderen zum Billardspielen hergekommen, doch das zu unserem Stellplatz gelieferte Takeaway-Essen (ebenfalls von einem 5-Sterne-Hotel) führte bei Marco und mir in der kommenden Nacht leider zu einer ziemlich fiesen Lebensmittelvergiftung (ja, für den armen Marco schon zum zweiten Mal), die uns den Rest der Woche nicht mehr losließ. Es war Mitte April 2022 als wir von Lahore bis nach Islamabad fuhren (1 Tag, 40 Grad, 380km, alles Autobahn), wo wir Marcos Arbeitstage verbrachten und es endlich schafften, die Dokumente zur Beantragung unseres Indien Visums einreichen zu dürfen. Auch in Islamabad scheiterten unsere mehrtägigen Versuche bei Gerry’s Visa, sodass wir die Agentur wechselten und schließlich bei Visatonix innerhalb eines Tages die Einreichung unserer Dokumente erfolgreich eintüteten. Da uns voraussichtlich einige Wochen Wartezeit bevorstanden bis wir von der Indischen Botschaft eine Antwort zu erwarten hatten, konnten wir uns nun endlich in Richtung Norden begeben, wo die Berge und somit ein milderes Klima auf uns warteten. 

Die Fahrt über Abbottabad, an schönen Berglandschaften vorbei, durch Wälder, entlang dem malerischen Karakoram Highway, mal mit und mal ohne Polizei-Eskorte (ein Teil der Strecke führte wieder durch KPK), dauerte mehrere Tage. Ich erinnere mich an eine unangenehme Nacht auf einem Polizeihof, wo nervige Kinder und zähnefletschende Hunde uns umzingelten (irgendwann erklärte uns einer der Polizisten, wir könnten zwar über Nacht bleiben, aber nur „at your own risk“). Ein anderer Übernachtungsplatz in der Nähe von Dassu war dafür umso schöner mit tollem Brückenspaziergang und der abendlichen Einladung zum Fastenbrechen bei der Familie von einem Lehrer (wir sind allerdings nur den männlichen Familienmitgliedern begegnet, die Frauen essen in dieser Region des Landes traditionell separat – erklärte man uns auf Nachfrage). 

Ein weiterer Fahrtag führte uns bis kurz hinter Chilas. Auf der ereignisreichen Strecke beobachteten wir ein Wettrennen zwischen Hühnerwagen und Coaster-Omnibus, die sich immer wieder gegenseitig überholten und die Fahrbahn schnitten. Bei einem Manöver wäre der stark schwankende (weil vermutlich völlig überladene) Coaster fast gegen eine Felswand gekracht, woraufhin wiederum überholt und zum Abbremsen gezwungen wurde, ein Streit ausbrach und der wütende Coaster-Fahrer mit einem Stein vom Wegesrand bewaffnet auf den Hühnerwagenfahrer losging. Ein paar schaulustige Mitfahrer konnten die beiden jedoch mutig voneinander abbringen. Später warteten wir aufgrund einer Sprengung in einer langen Autoschlange und freuten uns über fotoschießende, posierende Soldaten. Noch etwas später standen wir wieder in einer Warteschlange. Diesmal handelte es sich um einen verunfallten LKW, der als Hindernis auf der Straße lag und von den geländegängigen Fahrzeugen aus der Schlange umfahren wurde. Marco erntete anerkennende Blicke als auch wir mit Waldrian das Hindernis gekonnt überwanden. Es war immer noch ziemlich heiß. An einer Wasserstelle duschten sich etliche Männer (teilweise in ihren kompletten Anziehsachen) unter einem Rohr neben der Straße ab. Marco tat dies in seiner Badehose. Wir waren froh zu sehen, dass auch einer der Hühnertransportfahrer den armen Tieren mit einem Eimer schöpfend etwas Abkühlung verschaffte. Der Tag endete an unserem ersten „freien“ Natur-Stellplatz seit Wochen: An einem Fluss mit hölzerner Hängebrücke, wo wir den Tag mit einem Struppi-Spaziergang ausklingen ließen.

Mit Begleitschutz durch Pakistan

Die Einreise nach Pakistan war ein Erlebnis der besonderen Art. In einem kleinen, dunklen Lehmhäuschen mit spartanischer Einrichtung (bis auf Tischlein und Stühlchen – ich benutze an dieser Stelle bewusst die verniedlichte Form – gab es keinerlei Einrichtunggegenstände) wurden unsere Daten am Grenzposten aufgenommen, indem ein Buch gigantischen Ausmaßes (damit hätte man jemanden erschlagen können) auf dem Tisch ausgebreitet wurde (von der Tischplatte keine Spur mehr) und unsere persönlichen Informationen über jeweils eine gesamte Buchspalte hinweg handschriftlich eingetragen wurden. Das nahm einige Zeit in Anspruch. An der nächsten Station (diesmal eine riesengroße Halle) wurden unsere Pässe kontrolliert. Auch dies nahm einige Zeit in Anspruch. Angenehmerweise wurde uns Tee gereicht und wir plauderten nett mit den Grenzbeamten, die uns etliche Fragen stellten und unsere Antworten formlos auf einem Schmierpapier notierten. Am Ende gab es aus dem Obergeschoss geheimnisvolle Handzeichen, die wohl bedeuteten, dass mit unseren Pässen alles in Ordnung sei. Kontrolle abgeschlossen, wir wurden entlassen. Prima. Jetzt musste nur noch das Zolldokument unseres Fahrzeuges (das sogenannte Carnet des Passages) gestempelt werden, denn an den ersten beiden Stationen fühlte sich niemand dafür verantwortlich. Zurück im Auto wurden wir bereits Richtung Ausfahrt gewunken. Also nochmal erklärt, dass wir ohne Einreise-Stempel im Carnet den Grenzübergang nicht verlassen können (ansonsten würde es definitiv Probleme bei der Ausreise geben). Daraufhin schickte man uns zuerst in das rechte Häuschen neben der Torausfahrt, wo man uns Fragen stellte, die wir immer noch gern beantworteten (mit dem Carnet hatte das allerdings nichts zu tun). Dann schickte man uns in das linke Häuschen neben der Torausfahrt, wo man uns warten ließ. Die Einrichtung in diesem Räumchen war auf ein Feldbett und einen kaputten Drehstuhl beschränkt. Wir wählten das Feldbett als Sitzgelegenheit. Ein bisschen mulmig wurde uns beim Anblick der verstaubten Einschusslöcher in den Wänden. Irgendwann kam schließlich jemand, der uns die gleichen Fragen stellte wie an den Stationen zuvor und unsere Antworten wiederum auf einem leeren Blatt Papier detailverliebt aufnahm. Doppelt oder dreifach hält anscheinend besser. Wo diese ominösen Notizblätter mit unserer Lebensgeschichte am Ende wohl landeten?! Dann war es soweit und ein Fahrzeug eskortierte uns zu einem völlig anderen Gebäude außerhalb der Grenzanlage, wo unser Carnet ordnungsgemäß gestempelt wurde, und schließlich zu dem noch weiter abgelegenen Hof von den Levies, wo unsere Reisefreunde Frieda und Sebastian uns bereits ungeduldig erwarteten. Die beiden kamen aufgrund ihres auslaufenden Iran-Visums schon am Vortag bei den Levies an und verharrten dort eine Nacht, um auf uns zu warten, denn wir wollten die bevorstehende Polizei-Eskorte durch Belutschistan gern zusammen machen. Ach ja, die Levies sind in Pakistan sowas wie die Polizei vom Lande. Mehr oder weniger gefährlich aussehende Typen mit teils schwerer Bewaffnung, die für unsere Sicherheit sorgen sollten. Einige Regionen des Landes durften wir als westliche Touristen nämlich nicht allein bereisen. Für die einzelnen Streckenabschnitte wurde uns jeweils ein Polizei-Fahrzeug (vollkommen kostenfrei!) zur Verfügung gestellt, das uns zur nächsten Polizei-Station bzw. zum nächsten Levies-Posten eskortierte. Dort ging es dann mit einer anderen Truppe weiter und so zog es sich über hunderte von Kilometern durch Belutschistan, KPK und weitere Regionen Pakistans. Aber genug der Einführungsworte, die folgenden Fotos von unseren Fotografen-Freunden (Instagram: @friedamaelle und @sebastian_schubbe) zeigen einige kunterbunte Eindrücke von unseren gemeinsamen, ersten Eskort-Tagen durch Pakistan.

Die Levies weigerten sich übrigens bei unserer Ankunft am selben Tag noch loszufahren (es war gerade mal Mittagszeit), sodass wir unseren ersten Tag in Pakistan bei brütender Hitze schmorend auf dem Levies-Hof verbrachten. Frieda und Sebastian taten uns leid, da sie somit noch eine weitere Nacht „hinter Gittern“ schlafen mussten, aber immerhin konnten wir ihnen ja jetzt Gesellschaft leisten. Am nächsten Tag (es war mein Geburtstag, der 26. März 2022) ging es frühmorgens los. An den Linksverkehr hatten wir uns schnell gewöhnt. Die staubig-lebendigen Straßenszenen Belutschistans zogen wie im Film an uns vorbei und wir kamen aus dem Staunen nicht mehr raus. Das Tempo wurde leider vom Eskort-Fahrzeug vorgegeben, sodass wir teilweise nicht hinterherkamen (sorry, aber Waldrian schafft keine 100km/h) und die riskanten Überholmanöver der Polizei in Frage stellten (die sollten doch eigentlich für unsere Sicherheit zuständig sein). Dann wieder erwischten wir ein Levies-Auto mit Reifenpanne, sodass es nur noch im Schneckentempo vorwärts ging. Manchmal wurden wir nur wenige Kilometer zum nächsten Checkposten eskortiert, teilweise fuhren wir mehr als 100 Kilometer am Stück, bevor es eine (mal sehr lange, mal sehr kurze, manchmal gar keine) Pause gab. Eine ständige Belohnung für das Auge waren die aufwändig geschmückten LKW’s (die sogenannten Jingle Trucks), die in Pakistan das Straßenbild deutlich prägen und die aus unserer Perspektive einfach nur wunderschön und einmalig sind. Die Ortschaften – bestehend aus einer Anreihung von Lehmschuppen, vor denen sich ein buntes Treiben abspielte – waren besonders interessant. Gemüsekarren, Mopedfahrer, Kühe, Hühner und Männer in traditioneller Einheitskleidung teilten sich den Straßenrand. Frauen waren in der Öffentlichkeit nicht zu sehen und wenn dann nur in Komplettverschleierung. Eine für uns völlig fremde Welt, die uns mental noch einiges abverlangen sollte. Die Eskort-Tage waren aufregend, voller spannender Situationen und gleichzeitig extrem anstrengend. Unsere Reise war gefühlt wieder einmal auf einem ganz neuen Level angekommen. Hier noch mehr wunderbare Fotografen-Bilder, die dieses Reisegefühl passend untermalen.

Unsere Hündin Struppi hat die wilde Fahrt tapfer mitgemacht, auch wenn sie sichtlich am schwitzen war. Ich selbst bin am ersten Tag noch fröhlich ohne Kopftuch losgefahren (in Pakistan gilt für Frauen keine gesetzlich Pflicht ein Kopftuch zu tragen, so wie es beispielsweise im Iran der Fall ist), habe es am zweiten Tag aber wieder aus dem Schrank gefischt, weil ich zunehmend unsicherer wurde, was mein Auftreten betraf. Ein Aspekt unserer Reise, der mich noch länger beschäftigen wird. Rückblickend habe ich glücklicherweise eine selbstbewusste Meinung zu dem Thema entwickelt, aber diese Einstellung musste sich bei mir auch erstmal festigen. Das Frauenbild bzw. die Rechte der Frauen ist eine von mehreren Kontroversen, die uns auf unserer Reise durch Pakistan und darüber hinaus noch lange Zeit begleiten werden. 

Die erste Nacht während der Eskorte verbrachten wir auf einem Hotel-Innenhof. Wir wurden durchgängig (auch nachts!) von zwei Levies bewacht. Am zweiten Fahrtag erreichten wir die Stadt Quetta, wo wir neben einer Polizei-Station „abgestellt“ wurden. Auch Einkäufe und einen notwendigen Behördengang durften wir nur in bewaffneter Begleitung erledigen. Ironischerweise blieben wir bei einem dieser Innenstadt-Eskorts auf der Ladefläche eines Polizei-Autos mitten in einer Demonstration stecken und mussten uns dann durch eine Menschenmenge bahnen. Das Ganze mit Struppi an der Leine, die bei der Hitze nicht allein im Bus zurückbleiben konnte. Irgendwann heulte die Sirene eines Krankenwagens auf, woraufhin auch Struppi zu Jaulen begann. Diese Gesamtsituation hatte schon etwas sehr Komisches an sich. Wir blieben noch eine zweite Nacht in Quetta, da wir wegen der Demo nicht alles erledigen konnten (u.a. hatten wir immer noch keine SIM-Karte und waren somit in unserer Kommunikation und weiteren Reiseplanung eingeschränkt). Mittlerweile hatten wir uns an die Polizei-Station gewöhnt und fanden es beispielsweise völlig normal, die Knastdusche neben den beiden Gefängniszellen zu benutzen. Im Nachhinein war es sogar witzig, dass wir im Vorbeigehen von den Gefangenen mit einem netten „Hello, how are you?“ begrüßt worden sind. Ja, man gewöhnt sich wirklich an alles. Während ich am ersten Abend die herumlungernden Kinder um unseren Bus herum noch unangenehm fand (wer weiß, worauf die es abgesehen haben – so mein Vorurteilsdenken), entwickelten sich am zweiten Tag bereits richtig schöne Gespräche (diese Kinder konnten verdammt gut Englisch sprechen und natürlich hatten sie vor allem Interesse daran, unseren süßen Hund zu sehen). An unserem Abreisetag schenkten wir großen und kleinen Mädels uns gegenseitig sogar kleine Aufmerksamkeiten zum Abschied. An diesem Tag haben wir übrigens unser Eskort-Auto unterwegs „verloren“ und fuhren plötzlich allein durch Belutschistan (nicht wissend, ob das so seine Richtigkeit hatte). In irgendeiner Ortschaft haben sich dann aber wieder Levies bei uns „angedockt“ und mitten während der Fahrt ging es mit kurzem Handsignal, dass wir ihrem Auto folgen sollten, mit der Eskorte weiter. War ein bisschen so wie im Action-Film. Am Abend erreichten wir die Stadt Loralai, wo wir in einer umzäunten Polizei-Stelle parkten. Es war schon spät und eigentlich waren wir einfach nur hungrig und müde. Also schnell noch was essen und ab ins Bett… dachten wir. Erstmal alle wichtigen Leute kennenlernen, dachten sich die Polizisten. Einladung zum Tee beim Polizei-Boss, der uns dann aber nie serviert worden ist. Hinsetzen im Stuhlkreis, warten auf eine weitere wichtige Person, warum auch immer. Person trifft ein, Vorstellungsrunde, nochmals erklären, dass wir nur etwas zu Essen holen und dann schlafen gehen wollen. Long story short: Die ganze Aktion hat zweieinhalb Stunden gedauert, wir wurden schließlich in einem Privatauto mit getönten Scheiben und mindestens 10 (!) Polizisten im Schlepptau zu einem Restaurant gefahren, wo das Aufschreiben der Bestellung eine Ewigkeit dauerte (wir mussten währenddessen im Auto sitzen bleiben) und nur die Hälfte bei uns ankam, wir auf dem Polizeihof nochmal umparken mussten (weil irgendwem der Platz, der uns ursprünglich zugeteilt wurde, doch nicht passte) und – last but not least – Marco von dem Restaurant-Essen die gesamte Nacht durchkotzen musste. Diese Geschichte ist so verdammt sinnbildlich für viele Situationen, die uns in Pakistan noch begegnen würden. Bleibt zu betonen, dass alle Polizisten, Soldaten und Autoritätsmenschen stets freundlich zu uns waren und es mit ihrer Hilfsbereitschaft ja nur gut meinten. „It’s our duty to help“ – ist der häufig gefallene Satz, der mir dazu ins Gedächtnis kommt. Es ist unsere Pflicht zu helfen. Das zeigte sich auch am Folgetag als Marco mit einer Lebensmittelvergiftung auf dem Polizeirevier flachlag. Aber dazu im nächsten Blog-Beitrag mehr.

Hormuz und King of Border

Der letzte Blog-Beitrag über den Iran startet mit den wunderschönen Pärchenfotos (oder besser gesagt Familienfotos, weil Struppi beim Shooting natürlich auch mit dabei war), die Sebastian auf Qeshm Island von uns geschossen hat. Es war eine total lustige Aktion und vor guten Freunden steht man doch gern im Blitzlichtgewitter. Abends revanchierten wir uns mit einem leckeren Linsen Dal in Kombi mit Marcos legendärem Krustenreis. Ich glaube zu dieser Zeit haben wir auch beschlossen, dass wir gleichzeitig unser Pakistan-Visum beantragen wollen, damit wir die bevorstehenden Polizei-Eskorte in Balochistan zusammen im Konvoi machen können. Dieser Reiseabschnitt soll laut Erfahrungsberichten besonders anstrengend werden. Umso besser, wenn man dabei in guter Gesellschaft ist. Tausend Dank für die tollen Fotos, lieber Sebastian!

Dann hieß es Abschied nehmen (auch wenn der Abschied nicht von langer Dauer war), denn Marco und ich wollten uns unbedingt noch die Insel Hormuz anschauen, auf der Frieda und Sebastian schon gewesen sind. Vom Hafen in Qeshm City aus ging es mit dem Speedboot rüber nach Hormuz. Das war nicht nur für Struppi eine wilde Fahrt. Nach einem kleinen Frühstück an der Küste amüsierten wir uns bei einer dreistündigen Tuk Tuk Tour – einmal rund um die Insel herum. Wieder am Ausgangspunkt angekommen bekamen wir von einem Tuk Tuk Fahrer den „Geheimtipp“ für ein gutes Essen. Er fuhr uns netterweise umsonst dorthin (was auch immer er für einen Deal mit dem Restaurant hatte) und die Shrimps schmeckten tatsächlich sehr lecker. Die Rückfahrt nach Qeshm war noch wilder als die Hinfahrt, denn es herrschte starker Wellengang. Witzig war es trotzdem, weil wir uns die Plätze auf dem Schnellboot mit einer sympathischen Frauengruppe geteilt haben. Und dann war unser Insel-Leben auch schon wieder vorbei. Wir nahmen noch am selben Abend die Fähre von Qeshm Island rüber auf’s Festland.

Manchmal kann man der iranischen Hilfsbereitschaft nicht entfliehen. So kam es, dass unser Bekannter in Bandar Abbas uns unbedingt bei einigen Erledigungen helfen wollte. Am Ende dauerte es wahrscheinlich länger als wenn wir alleine losgezogen wären. Aber der Wille zählt und wir wissen, dass es gut gemeint war. Somit nahmen wir die Hilfe dankend an. Es folgte ein doofer Tag, weil wir an mehreren Tankstellen nicht tanken konnten (entweder waren sie gar nicht erst in Betrieb oder es stand bereits eine extrem lange Fahrzeug-Schlange an) und weil unser Stellplatz es nicht zuließ, dass ich draußen neben unserem Bus eine Dusche nahm (die ich bitternötig hatte). Zwei Erkenntnisse nehme ich aus diesen Tagen dennoch für mich mit: 1) Unterdrückung findet (nur) im Kopf statt. 2) Auf einen schlechten Tag folgt zumeist ein guter Tag. Die erste Erkenntnis beinhaltet für mich so viel Gesprochenes, Gedachtes und Gefühltes, dass es den Rahmen hier sprengen würde. Die zweite Erkenntnis bestätigte sich am Folgetag: An einer Tankstelle ließen uns die netten iranischen LKW Fahrer an der langen Schlange vorbei direkt bis zu den Zapfsäulen vorfahren. Mit einem Mercedes-Fahrer tauschten wir beim gegenseitigen Überholen liebgemeinte Huplaute und Gesten aus. Schließlich trafen wir uns auf einem Rastplatz und tranken gemeinsam Kaffee. Bei einem erneuten Tankstop (es lagen in diesen Tagen einige hundert Kilometer vor uns) fanden wir zuerst niemanden, der uns seine Tankkarte für den Prozess ausleihen wollte (über eine eigene Tankkarte verfügten wir als Touristen im Iran nicht), doch plötzlich winkten uns gleich drei LKW Fahrer zu sich, saugten Diesel aus ihrem Tank ab und füllten so viel bei uns ein bis wir komplett voll waren. Und das alles mit Freude und Begeisterung, wir konnten es kaum glauben. So viele herzliche Begegnungen an einem Tag! Ach ja, abends standen wir außerdem so abgelegen, dass ich aus unserem Busfenster heraus duschen konnte. Und zu späterer Stunde kamen zwei lustige Jäger vorbei, die Marco in Taroof-Manier ihr Gewehr anboten („You can keep it!“) – was er natürlich Taroof-gemäß ablehnte. Sehr humorvoll, die Iraner!

In Sirjan suchten wir in einem Werkstatt-Viertel nach Klebefolie. Wir wollten unser Auto für die Fahrt durch Pakistan entmilitarisieren. Die olivgrüne Farbe sieht ja doch sehr militärisch aus (was im schlimmsten Fall gefährlich für uns werden könnte) und wir erhofften uns durch die Anbringung von freundlichen Farbakzenten, dass wir auf den ersten Blick als Touristen erkannt werden. Während einer Pause nach erfolgloser Suche klopfte ein interessierter Iraner an unseren Bus. Aufgrund der Sprachbarriere konnten wir uns nicht verständigen. Zehn Minuten später kam er mit Suppe und Brot vorbei. Wie nett von ihm, wir ließen es uns schmecken! Mithilfe einer Übersetzungsapp kamen wir ins „Gespräch“ und ***Jinglemusik*** da war sie wieder: Die iranische Hilfsbereitschaft. Bevor wir es richtig begreifen konnten, saßen wir auch schon am Steuer und folgten dem windschnittigen Auto des Iraners durch die belebten Straßen von Sirjan. Mit seiner Hilfe fanden wir nach dem Abklappern mehrerer Läden tatsächlich einen Laden, der uns am nächsten Tag einen anderen Laden zeigen konnte, bei dem wir schließlich die gewünschte Klebefolie kaufen konnten. Eine wirkliche Farbauswahl gab es zwar nicht, aber wir werden uns an den Orange-Ton schon gewöhnen. Kleine Side-Story: Beim Ausparken bin ich rückwärts versehentlich einem Auto reingefahren. Wir bestanden darauf, auf die Polizei zu warten, schließlich hatten wir eine Versicherung, die noch genau einen Tag gültig war. Beim Anblick des Schadens (eine kleine Beule, die neben den älteren Verbeulungen kaum auszumachen war) lachten die Beamten den Besitzer aus (nach dem Motto: „Wegen dieser lächerlichen Sache rufst du die Polizei?“). Das tat mir wiederum leid. Ich hoffe, dass die Versicherung zumindest einen kleinen Schadenersatz hat springen lassen. Ach ja, am Ende haben die gutgelaunten Polizisten noch Fotos mit Struppi gemacht. Dann ging es weiter bis nach Kerman. Eine ganze Woche lang haben wir uns auf dem Hinterhof eines Hotels häuslich niedergelassen, um endlich mal einige Innenarbeiten im Bus zu verrichten, die sich aufgestaut hatten. Wir haben den Fußboden abgeschliffen und nachgeölt, einen Teil der Möbel neu gestrichen und die Wandverkleidung passend zugeschnitten, damit auch irgendwann mal das Projekt „Deckenverkleidung“ starten kann (naja … wer weiß, ob das auf dieser Reise noch was wird). Außerdem haben wir uns zwei Tage lang größte Mühe gegeben, die orangefarbene Klebefolie auf der Karosserie anzubringen. Ich finde, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Am Ende der Woche sind Frieda und Sebastian dazugestoßen, wir sind zusammen über den Bazaar in Kerman gebummelt und haben abends vergeblich nach einer Neujahrsparty gesucht (im Iran tickt der Kalender ja anders). 

Es folgten zwei lange Fahrtage, die uns zunächst bis Bam und schließlich durch einen Wüstenabschnitt mit Sandböen und eine Felsenlandschaft bis Zahedan führten. Ich wartete zu dem Zeitpunkt immer noch auf mein Pakistan-Visum. Marco hatte sein Online-Visum bereits drei Stunden nach Antragsversendung im Posteingang gehabt. Bei mir gab es nach zwei oder drei Wochen immer noch kein Update und wir erreichten weder telefonisch noch per Email die zuständige Behörde. Da jedoch die Iran-Visa von Frieda und Sebastian abliefen, fuhren die beiden schon mal zur Grenze vor und wollten dann auf pakistanischer Seite auf uns warten. Einen gemeinsamen Abend bei Hamid (aka „King of Border“) in einem wunderschönen Zelt mit Feuerstelle hatten wir noch. Dann hieß es wieder mal Abschied nehmen und hoffen, dass wir uns zeitnah in Pakistan wiedersehen. Wir versuchten am nächsten Tag unser Glück bei der pakistanischen Botschaft in Zahedan, jedoch verwies man uns dort auf die Botschaft in Berlin – nachdem wir uns ungefähr eine Stunde lang bei Tee und Keksen mit dem Chef weise Sprüche zugeworfen haben (Spruch des Tages: „Your visa will be granted, it’s just a matter of time.“). Wir hatten schon beinahe aufgegeben, da führte am späten Nachmittag ein weiterer Telefonversuch unsererseits plötzlich zum Erfolg und eine halbe Stunde später hatte ich mein Visum im Sack. Abends ludt uns Hamid freundlicherweise noch zum Essen ein und am Morgen des Folgetages half uns der „King of Border“ an der Grenze bei der scheinbar doch recht komplizierten Ausreise aus dem Iran. Dankeschön, lieber Hamid! 

Qeshm Island

Nach unserer Corona-Auszeit auf Qeshm Island waren wir Ende Februar 2022 endlich fit genug, um die Insel auszuchecken. Im Iran wurde es zunehmend heißer und so war es taktisch ziemlich unklug von uns, das „Stars Valley“ in der Mittagshitze anzuschauen. Der schattenwerfende „Chakooh Canyon“ war da schon etwas kühler. Ich nenne diesen Ort auch gern die Instagram-Schlucht, weil wir am Ende plötzlich inmitten einer durchgestylten, posierenden Selfie-Ansammlung standen. Struppi kam bei der Kamera-Meute gut an – von ihr wurden etliche Fotos gemacht. 

Ein viel ruhigeres und weniger touristisches Highlight auf Qeshm Island ist hingegen das „Statues Valley“ auf der Westinsel gewesen. Eine Staubpiste führte mehrere Kilometer ins Nirgendwo hinein, bis wir in der Dämmerung schließlich einige spektakuläre Felsformationen passierten. Am frühen Morgen ließ ich Struppi frei herumlaufen und machte gerade Kaffee, da hörte ich ein Platsch (oder eher ein Flatsch) und kurz darauf raste ein bis auf den Bauch mit Matsch panierter Hund an unserer Bustür vorbei. Was habe ich gelacht! Struppi ist in die Falle eines trügerischen Schlammlochs getappt, das wohl wie fester Boden für sie ausgesehen haben muss. Zum Glück hatten wir genug Wasser für eine Hund-Mensch-Dusch-Aktion dabei. Der anschließende Spaziergang war richtig schön und wir haben die Besonderheit (und Einsamkeit) des Ortes sehr genossen.

Unser Plan war es, einmal komplett um die Insel herumzufahren. An einigen freilaufenden Kamelherden vorbei, erreichten wir einen hübschen Salzsee und eine Salzhöhle, für die wir uns am Ticketschalter extra Stirnlampen ausgeliehen haben. War sehr witzig, auch wenn unsere Handytaschenlampen eigentlich helleres Licht abgeliefert hätten. Hoch hinaus ging es auf das „Roof of Qeshm“ – eine riesigen Hochebene, die überraschenderweise zum Teil mit Bäumen und einer echten Wiese bewachsen war. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so grünen Rasen zu Gesicht bekommen hatte.

Doch Qeshm Island hatte noch weitere Natur-Ereignisse zu bieten. Wie auf einem anderen Planeten fühlten wir uns im „Shur Valley“, das einer Mondlandschaft glich. Am Ende einer Abzweigung trafen wir auf zwei überdachte Mineral Pools. Ja, zwei separate Becken. Ein Pool für Männer und einer für Frauen. Verbotenerweise tauchten wir zusammen in die beiden Wasserbäder ein und zu unserer Belustigung hatte das Wasser einen so hohen Salzgehalt, dass unsere Körper darin schwebten.

Inzwischen war es Anfang März 2022 und nach Marcos Arbeitstagen, die wir im Hof eines Gasthauses verbrachten (neben einem Palmengarten, der als Foto-Location für Hochzeiten bekannt war) sahen wir unsere Freunde wieder. Zusammen unternahmen wir eine Bootstour auf den Gewässern eines Mangrovenwaldes. Zwischendurch gab es noch einen gemeinsamen Erledigungstag in der Stadt, wo wir zufällig auf einen dritten Reise-Düdo trafen. Ein paar Strandübernachtungen und weitere Arbeitstage später verabredeten wir uns mit Sebastian und Frieda zu einem Foto-Shooting. Sebastian hatte uns damals in Georgien schon gefragt, ob wir für seine Foto-Reihe posieren wollen, bloß hatte es zu der Zeit irgendwie nicht gepasst. Nun standen wir auf einer traumhaften Insel in der perfekten Szenerie und hatten gute Laune. Der Zeitpunkt konnte also nicht besser sein. Die Fotos gibt’s im nächsten Blog-Beitrag zu sehen!

Corona Holidays

In Shiraz quartierten wir uns neben einem Hostel ein, das uns prima verköstigte und außerdem das sonst so nervige Wäschewaschen für uns übernahm. Dort bekamen wir den Tipp, die pinke Moschee in den frühen Morgenstunden zu besichtigen, weil dann das Sonnenlicht am schönsten in den Raum fiel. Was soll ich sagen, eine perfekte Foto-Location erwartete uns hinter den bunten Moschee-Fenstern und um 8 Uhr morgens waren wir fast allein dort. Auf dem Bazaar fanden wir einen Perserteppich mit sympathischen Fehlern, der seitdem unseren Bus noch ein Stückchen heimeliger macht. Ein paar merkwürdige Männer liefen uns in Shiraz über den Weg (der Haartransplantationstyp und ein Kerl mit „small penis“, der mich nach Medikamenten zur Penisvergrößerung fragte). Merkwürdig fand ich außerdem, dass die Iraner*innen zwar tierfreundlich erscheinen, wir in Shiraz jedoch einen Käfigvogel ohne Flügel und einen Schoßhund ohne Zähne kennenlernten. Ach ja, und dann war da noch dieser Clown im Restaurantkeller, bei dem wir uns mutmaßlich mit Corona angesteckt haben. True story?!

Zwei lange Fahrtage ließen uns dem Süden näherkommen. An einem Canyon konnten wir in der Dämmerung Wölfe sichten. Naja, vielleicht war es auch „nur“ ein Rudel Schakale. Trotzdem irgendwie aufregend. Während Marco tagsüber arbeitete, wurde ich bei einem iranischen Ehepaar zum Tee eingeladen. Ein weiterer Arbeitsort in der Nähe einer Orangenplantage bescherte uns mehrere Kilo geschenkte Orangen. Diese wurden wir am nächsten Stellplatz – einer Dattelpalmenoase – bei den netten Anwohnern wieder los. Darunter ein, sagen wir mal Künstler, der auf unserem Notizblock Penisbilder malte. Es schien die Woche der Penistypen zu sein. 

In Bandar Abbas erkundigten wir uns bei Schiffsfirmen nach Möglichkeiten zur Verschiffung nach Dubai oder Indien (wobei diese Pläne von uns nie in die Tat umgesetzt wurden, da wir über den Landweg von Pakistan nach Indien eingereist sind). Dabei lernten wir Mansour kennen, der letzte Mitarbeiter in einem sonst verlassenen und verstaubten MSC Büro. Er war glücklich über unseren Besuch und sehr motiviert dabei, Verschiffungspreise für uns herauszufinden. Dann nahmen wir die Fähre nach Qeshm Island, wo wir unsere Reisefreunde aus Georgien und Armenien wiedertrafen. Eine neue Reisefamilie war in der Runde ebenfalls dabei. Prompt kam Urlaubsstimmung bei uns auf. Wann konnte ich das letzte Mal im Bikini im Meer baden? Es war auf jeden Fall sehr lang her („for women it’s not allowed to swim“ hieß es ja so oft im Iran für mich). Während ich meine neu erworbene Freiheit in allen Zügen genoss, kränkelten Marco und Struppi im Bett herum. Den beiden ging es schon seit einigen Tagen nicht so blendend. Trotzdem verabredeten wir uns abends mit Karina und Frieder auf ein Getränk in unserem Bus. Natürlich mit Vorwarnung, doch die beiden gingen das Risiko einer Ansteckung gern ein. War auch ein toller Abend. Tja, aber am nächsten Morgen wachte Marco mit erhöhter Temperatur auf. Der Selbsttest zeigte zwar ein Negativ-Ergebnis, doch das sollte noch nicht das Ende der Geschichte sein. Nach ein paar Genesungstagen fühlte sich Marco schon ein bisschen besser, da ging es plötzlich bei mir bergab. Gut, dass wir in der Zwischenzeit nach Qeshm City gefahren sind (unterwegs musste Struppi ein Zwangsbad im Meer nehmen, nachdem sie sich zuvor in einem nach Sch*** stinkenden Müllbeutel gewälzt hatte). In der Stadt gab es alles, was wir brauchten und es war schön zu sehen, dass die Iranerinnen und Iraner überall an der Strandpromenade verteilt ihre bunten Zelte aufgebaut hatten. Das machte uns trotz Krankheit irgendwie gute Laune. Der PCR-Test, den wir in einem halb verlassenen Krankenhaus machten, zeigte schließlich bei uns beiden ein positives Testergebnis an. Corona auf einer traumhaften Insel bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen… könnte wirklich schlimmer sein! Die Woche, die wir insgesamt ungefähr flach lagen, verbrachten wir teilweise mit Karina und Frieder (die sich natürlich bei uns angesteckt hatten, es jedoch locker nahmen) zusammen am Strand und teilweise in unserem Bus isoliert auf dem Schattenparkplatz hinter dem Qeshm City Center (wo uns der Manager des Einkaufscenters zwei Kuscheltierdinos schenkte). So ließ sich Corona für uns doch einigermaßen gut aushalten.

Yazd und Persepolis

Eine malerische Strecke führte uns im Februar 2022 nach Yazd. Wir kamen an einem Vulkankrater vorbei, füllten an einer Wasserstelle unseren Tank auf (den wir zwei Tage später wieder auskippen mussten, weil das Wasser irgendwie salzig schmeckte) und dort verbrachten wir auch die Nacht. 

Am nächsten Tag erkundeten wir eine Caravanserai bis wir schließlich über eine staubige, aber wunderschöne Route an die Stadtgrenze von Yazd kamen. Marco kochte uns ein Eggplant Stew, das es mit der iranischen Küche durchaus aufnehmen konnte.

Die Altstadt von Yazd ist wirklich niedlich. Kleine verwinkelte Gassen, glatte Mauern aus Lehm und Stroh, ab und zu ein offener, gemütlicher Dorfplatz, den man inmitten des Gassenlabyrinths nicht erwarten würde. Im Silk Road Hotel gönnten wir uns eine Dusche und lernten Anton kennen, einen jungen Berliner, der die gesamte Strecke bis in den Iran mit dem Fahrrad gefahren ist und auf dem Weg nach Pakistan war. Zusammen chillten wir bei uns im Bus, rauchten Shisha, hörten plötzlich einen Kinderchor, den wir uns auf dem benachbarten Marktplatz noch live reinzogen und gingen am Ende des Tages gemeinsam Essen. Die folgenden zwei Tage waren wir mit der Verlängerung unserer Visa beschäftigt und nutzten die Wartezeit, um endlich mal ein paar Souvenirs auf dem Bazaar zu kaufen. Wer weiß, wann wir das nächste Mal im Iran sind, oder?! Teppiche, Tücher, Schälchen, Teller, ein Tablett und zwei Figuren. Wir waren richtig erfolgreich beim Shopping – was nach anderthalb Jahren auch dringend nötig war, es wäre doch eine Schande, wenn wir von unserer Weltreise ganz ohne Schnickschnack nach Hause kommen würden. Die Visumsverlängerung klappte wie geplant und wir bekamen statt den üblichen 30 Tagen sogar 60 Tage gutgeschrieben. Ein netter Iraner zeigte uns noch seine Hühner im Hof, nachdem wir bei ihm Wasser auffüllen durften und ein Glas Orangensaft in die Hand gedrückt bekamen. Dann verließen wir die Stadt in Richtung Abarkooh, wo wir einen 4000 Jahre alten Baum (Cyprus Tree) bestaunten. 

Es folgten Fahrtage, Arbeitstage und Besichtigungstage – nämlich von den Felsgrabstätten bei Pasargad und natürlich vom UNESCO-Welterbe Persepolis, der altpersischen Ruinenstadt, die einst zu den Hauptstädten des antiken Perserreichs gehörte. Und dann ging es weiter nach Shiraz.

Wüstentour und Werkstattwochen

Mitten im Januar 2022 machten wir uns mit unseren Reisefreunden zusammen auf eine Wüstentour. Es ging mit vier Fahrzeugen durch die Maranjab Wüste grob in die Richtung von Yazd. Da ein Defender dabei war, der uns im Zweifel rausziehen konnte (was tatsächlich mehrere Male eingetroffen ist), trauten wir uns und fuhren mit. Es folgen nun ein paar Stichpunkte aus meinem Reisetagebuch sowie jede Menge professioneller Bilder von unseren Fotografen-Freunden (Instagram: @friedamaelle // @sebastian_schubbe // @olgaontour_ // @globelotte53).

1. Tag: Alles einkaufen, alles auffüllen, Kolonne in die Wüste, Lagerfeuer und Kohltopf. Übernachtung neben Sandhügel. 

2. Tag: Frauen-Yoga am Morgen. Eine Kamelherde zieht vorbei. Kleiner Dünenspaziergang mit Hündin Ayla. Tour zum nächsten Stellplatz. Sonnenuntergang mit Weitblick über die Dünen. Lagerfeuer und Gemüseeintopf. Übernachtung neben den Dünen.

3. Tag: Frühmorgendliche Dünenwanderung. Oben fallen ein paar Regentropfen. Weiterfahrt fernab von Straßen und Wegen. Defender zieht jeden Mercedes-Bus mindestens einmal aus dem Sand. Ein platter Reifen bei Globelotte. Lagerfeuer und Risotto. Übernachtung im trockenen Flussbett. 

4. Tag: Waldrians Hecktür hängt. Sackgasse an Steinbau. Platter Reifen beim Malteser. Fahrt über Staubpisten. Lagerfeuer, Musik und Frittierparty. Frittiert werden Pommes, Gemüse-Sticks, Falafel-Bällchen und Eier. Übernachtung auf Salzseefläche. 

5. Tag: Morgen-Yoga mit Hundebesuch. Abschied von Defender Olga. Kurz darauf fährt sich Globelotte fest, schafft es aber mit Sandblechen wieder raus. Wir verlassen die Wüste. Die Männer gehen ins Schwimmbad. Women are not allowed to swim. Stellplatzsuche im Konvoi. Gemüsesuppe im Malteser. Übernachtung am Ardestan Windfelsen.

Der Wüstentrip hat unseren Fahrzeugen einiges abverlangt. Zum Glück war eine Werkstatt-Straße (oder besser gesagt ein ganzes Werkstatt-Viertel) in Isfahan nicht weit. Dass aus einem geplanten Werkstatt-Besuch gleich zwei ganze Werkstatt-Wochen werden sollten, war uns natürlich vorab nicht klar. Aber irgendwie sind wir da plötzlich in einem kleinen Overlander-Paradies gelandet und von einem Projekt ins nächste geschliddert. Da konnten wir uns einfach nicht zurückhalten und man soll ja die Chance ergreifen, wenn sie sich einem bietet, oder? Auch an dieser Stelle möchte ich die Notizen aus meinem Reisekalender für sich sprechen lassen. Die Fotos sind diesmal wieder die üblichen Schnappschüsse aus unseren Handykameras.

Woche 1: Erst Hinterhofwerkstatt, dann Overlanding Brothers. Chai-Trinken bei Vrezh (aka Fresh) in der Werkstatt. Kantinenessen und Polizeibesuch. Arbeitstage auf Werkstatthof. Feierabend mit den Arbeitern am Dieselofen. Shoppingtour durch Tuning-Läden. Tee-Einladung beim Hausmeister. Reparaturen / Pimp my ride: Kabinenlager, Kadanwelle, Seitentür schließt wieder, Hecktür gefixt, Getriebe, Sitzbezüge, Beifahrer-Hupe. 

Woche 2: Schiebefensterbeauftragung. Falafel und Traubensaft. Schwimmbad nur für Männer. Gemeinsame Abende im Malteser. Hostel-Dusche für die Frauen. Vergnügungsparkhügel. Einkaufstour in der Isfahan Mall. Minibus-Werkstatt. Noch mehr Chai bei Vrezh. Arbeitstage auf Werkstatthof mit Tee-Tablett-Bringdienst. Falafelfamilie und Abschied Malteser. Marktbesuch Main Square. Einkaufsbummel ohne Geld. Abschiedskaffee bei Overlanding Brothers. Reparaturen / Pimp my ride: Schiebefenstermontur, Fensterverschlüsse, Kühlerschläuche, Cockpitvorhänge, Feuerlöscherkauf.

Der Januar sollte in Gesellschaft enden und der Februar in Gesellschaft starten. Ein willkommener Zustand, hatte ich mich doch in den Wochen und Monaten zuvor manchmal etwas einsam auf unserer Reise gefühlt. Natürlich habe ich mit Marco und Struppi tagtäglich die beste Gesellschaft, die ich mir überhaupt vorstellen kann. Doch wenn man ständig unterwegs ist, dann fehlen einem die festen und beständigen Sozialkontakte wie Freunde und Familie schon sehr. Umso schöner, dass wir den Malteser-Bus ein paar Tage später bei den Taubentürmen bereits wiedertrafen. Dort haben wir uns von vier gutgelaunten, jungen Iranern spontan breitschlagen lassen, den Abend gemeinsam bei einem Lagerfeuer zu verbringen. Die Jungs waren so übermotiviert, dass sie sich unbedingt um alles kümmern wollten: Holzsammeln, Feuermachen, Essen und Getränke besorgen. Überraschenderweise bestand das Essen schließlich aus zwei ganzen Hühnchen, die sie komplett für uns zubereitet und gegrillt haben. Ich glaube, wir haben ihnen an diesem Abend die größte Freude damit gemacht, dass wir zugesagt haben. Hach, ihr lieben Iraner, bei euch kann „geben“ so herrlich einfach sein und ist oftmals mit „nehmen“ gleichzusetzen. Da verschwimmen die Begrifflichkeiten, was völlig egal ist, denn am Ende geht es doch schlichtweg darum, zusammen eine schöne Zeit zu haben. 

Eine schöne Zeit hatten wir auch die nächsten Tage in der Khara Wüste, wo wir Edgar und Verena mit ihrem roten Bulli kennenlernten. Es folgte eine tolle Mischung aus Gesprächsrunden, Dünenspaziergängen, Arbeitstagen und gemeinsamen Kochabenden in Waldrian. Die folgenden Foto-Credits gehen an Frieda und Edgar (Instagram: @traumlichtfabrik). Kurz bevor wir aufbrachen, stießen auch noch die Ungarn dazu, die wir bereits aus Armenien kannten. So schön klein kann die Reisewelt manchmal sein (Instagram: @peteydx // @cilus_wanderlust).

Ach, und Marco hat auch noch ein paar hübsche Bilder gemacht:

Soldaten, Sandsturm, Silvester.

Normalerweise lieben wir Hauptstädte. Aber Tehran? Mit der Hauptstadt vom Iran sind wir nicht wirklich warm geworden. Tehran war für uns eine Stadt voller Autos, Smog und lautem Verkehr. Doch vielleicht tun wir dieser Stadt ja unrecht. Ein paar schöne Momente gab es schon. Zum Beispiel Marcos Besuch bei Iran Kodhro Diesel. Er verweilte dort zwei Stunden auf der Suche nach Ersatzteilen, zwar erfolglos, jedoch im kundenfreundlichen Beisein von mehreren Mitarbeitern, die ihr Bestes gegeben haben. Einen besonders tollen Abend verbrachten wir im Zuhause von unseren neuen iranischen Freunden Farshid und Ziba, die wir in Dizin kennengelernt hatten. Die beiden luden uns zum Abendessen ein und wir durften eine heiße Dusche bei ihnen schnorren. Wie in tausendundeiner Nacht fühlten wir uns beim Anblick von einem Mausoleum, auf dessen Parkplatz wir übernachteten. Leider bemerkten wir am nächsten Morgen neue rote Flecken bei Struppi am Bauch, die darauf hindeuteten, dass ihre Vergiftung noch nicht geheilt war. Aus diesem Grund mussten wir länger in Tehran bleiben als gedacht – und zwar mal wieder direkt neben dem Pet Hospital. Statt Weihnachten zu feiern bestanden unsere Feiertage darin, bei Struppi Blut abnehmen und ihr zweimal täglich Vitamin-K-Spritzen geben zu lassen. Als sie von den Infusionen mehrfach allergische Reaktionen bekam, die wiederum mit Anti-Allergie-Spritzen behandelt werden mussten, war sowohl für uns als auch für Struppi (die seitdem tierische Angst vor Tierärzten hat) die Grenze erreicht. Wir brachen die Dauertherapie ab, um uns allen eine Pause von den Strapazen zu gönnen. Natürlich behielten wir unseren Hund in den folgenden Wochen ganz genau im Blick, um sofort zu erkennen, falls die Symptome wieder auftreten würden. Um es vorweg zu nehmen: Seitdem blieb Struppi glücklicherweise symptomfrei in Bezug auf den Rattengift-Vorfall. Ende gut, alles gut!

Ein paar Tage blieben wir noch in Tehran und Umgebung, um im Notfall schnell wieder in der Tierklinik sein zu können. Wir besichtigten den Golestan Palast, der trotz gepfefferter Eintrittspreise sehr zu empfehlen ist. Vor allem die „Spiegelhalle“ hatte es uns angetan und wir hatten sichtlich Spaß am Fotoschießen.

Am nördlichen Stadtrand gingen wir in einer Flaniermeile richtig gut essen, spazierten durch den Park vom Saadabad Palast Komplex und ließen uns zu Silvester auf einem Parkplatz über der Stadt nieder, wo wir beim Abendessen einen Kellner mit dem kunstvollen Namen Renaissance kennenlernten, den wir am nächsten Morgen auf der Aussichtsplattform wiedertrafen. In der Silvesternacht 2021/22 lagen wir um Mitternacht übrigens bereits im Bett und hörten maximal zwei oder drei Raketen steigen. Unser westlicher Kalender scheint den Iranerinnen und Iranern also ziemlich egal zu sein. Am Neujahrstag fuhren wir eine Runde Bob, bekamen in der Bank beim Kontoauszugholen ein paar Blümchen geschenkt, verließen die Hauptstadt in Richtung Süden und erhielten beim Videocall mit meinem Bruder und seiner Frau die frohe Botschaft, dass Nachwuchs auf dem Weg sei. Mit herzergreifenderen Nachrichten kann ein neues Jahr gar nicht starten. Alles Gute der zukünftigen Familie!

Endlich durfte Struppi nach anderthalb Wochen Stadtleben wieder freilaufen. Wir suchten uns bewusst Plätze in der Natur, wo das möglich war. Ein besonders schöner Ort war der Salzsee bei Qom. Diese Naturkulisse ludt zur ausgiebigen Fotosession ein und wir fuhren den Steg mit Begeisterung rauf und runter. Als Schlafplatz fanden wir ein nettes Plätzchen in der Nähe, wo wir bereits mit dem Kochen vom Abendessen anfingen, als wir ein Auto mit Blaulicht auf uns zurollen sahen. Zwei Männer stiegen aus. Ein älterer Polizist und ein junger Soldat mit Maschinengewehr. Sie erklärten uns in Zeichensprache mit Englisch-Bruchteilen, dass dieses Gebiet eine No-Go-Area sei und wir mitkommen müssten, um Fragen zu beantworten. Keine Diskussion. Was folgte war ein fünfstündiges Verhör, in dessen Zuge wir zu mehreren Orten eskortiert worden sind. Der Soldat hieß Ali und war extrem nett. Er witzelte die ganze Zeit mit uns rum und beim ersten Stop, einem Militär-Stützpunkt, wo die erste Busdurchsuchung und mehrere Fragerunden erfolgten, zeigte er uns ganz stolz die Hundebabies. Weiter ging es nach Qom, wo das Passport-Office exklusiv für uns öffnen musste, um unsere Pässe zu kontrollieren. Wir erzählten erneut unsere Geschichte, tranken Tee und ließen unsere Dokumente scannen. Bei der letzten Station sollten eigentlich nur noch unsere Telefone kontrolliert werden, doch die Männer vor Ort forderten „all digital devices“, durchsuchten unseren Bus erneut und prüften in unserem Beisein mehr oder weniger sorgfältig die zahlreichen Geräte. Witzig war, dass mein Vater mir an diesem Abend „Der Adler ist gelandet“ per Messenger schrieb (weil ein Paket in Deutschland für uns angekommen war) und der Beamte besonders skeptisch nachfragte, wer denn dieser Mann sei. Nach einer letzten Runde Tee verweigerten wir die Unterschrift des Polizei-Berichtes mit der Begründung kein Farsi lesen zu können. Okay, no problem! Dann durften wir nach 5-Stunden-Verhör endlich gehen.

Von Qom aus fuhren wir über Kashan – ehrlich gesagt ziemlich spontan – in die Wüste Maranjab: Wellblechpiste, Sandspaziergang, Sternegucken, Morgenspaziergang, Wüstenfahrt zu den Dünen und auf den Salzsee – bis hierhin ein erlebnisreicher Ausflug und an Highlights nicht zu toppen. Doch es sollte noch erlebnisreicher werden, denn Marco wollte unbedingt noch um die Dünen herumfahren. Die Piste wurde schmaler, die Straße verwehte, wir dachten drehen wir mal besser um… und plötzlich steckten wir fest. Dummer Anfängerfehler, aber da standen wir nun. Alleine in der Wüste, ohne Sandbleche, kilometerweit keine Menschenseele. Etliche Versuche des Ausgrabens wollten einfach nicht funktionieren und es bahnte sich ein Sandsturm an. Wasser hatten wir genug, aber unsere Lebensmittel- und Kochgasvorräte waren knapp. Und zu allem Übel hingen an der letzten Klopapierrolle nur noch wenige Blätter Papier. Ach ja, der Internetempfang war ebenfalls bei Null. Doch wir hatten auch ein bisschen Glück, denn am Checkpoint vom Wüsten-Eingang wurde uns die Nummer eines perfekt englischsprechenden Iraners gegeben. Also riefen wir Michel (so war sein Name) an und nach langem Hin und Her (es war Wochenende und Feiertag, weshalb es wohl eigentlich verboten sei, in die Wüste zu fahren) konnte er uns ein Rettungsteam für schlappe 150 Dollar klarmachen. Das tat weh, aber okay: Deal! Wir schwörten uns an diesem Tag, niemals mehr unvorbereitet und allein in die Wüste zu fahren. Wir lernten, dass ein kleines Allradfahrzeug einen schweren Truck wie Waldrian aus dem Sand ziehen kann. Und wir wurden völlig überrascht als uns auf dem Rückweg unsere Reisefreunde Martina und Tobias (aka „Olga on tour“) mit ihrem Defender entgegenkamen. Per Satellit hatten sie unsere Nachricht empfangen und sind prompt losgefahren, um uns zu retten. Oh man, hätten wir ihre Antwort erhalten, hätten wir uns den teuren Rausziehdienst sparen können. Hätte, hätte. Der Auftritt der beiden war jedenfalls unbezahlbar und auch wenn wir uns bis heute noch gar nicht richtig revanchieren konnten, unsere ewige Dankbarkeit ist ihnen gewiss. Der Abend endete übrigens mit einer Einladung zum Tee bei Michel, den wir bei uns im Bus mitgenommen hatten. Er machte der iranischen Gastfreundschaft alle Ehre, indem er uns zwei Fliesen aus der bemerkenswerten Kunst-Werkstatt seiner Frau schenkte und uns später am Abend noch Suppe zum Bus brachte. Vielen Dank, wie aufmerksam!

Nach morgendlichem Busausfegen (es war seeehr viel Sand drin) besichtigten wir den Schrein in Bidgol. Am Eingang wurde mir ein Ganzkörper-Hijab in die Hand gedrückt. So erfuhr ich zwangsweise am körperlichen Laibe welche Einschränkung den Frauen hierzulande aus religiösen Gründen auferlegt wird. Das Kopftuch ist ein Witz dagegen (auch wenn ich es aus meiner Sichtweise bereits einschränkend genug finde). Aus Respekt hielt ich mich in der Öffentlichkeit natürlich trotzdem an die Kleiderordnung und verspürte dabei sehr oft Dankbarkeit dafür, dass ich in Deutschland die Freiheit habe zu tragen was ich will. Die Suche nach einer Dusche in Kashan endete in einem malerischen Hotel. Die Mitarbeiter waren super nett und so interessiert an unserer Reise, dass wir sie noch auf einen Sprung in unseren Bus einluden. Zudem wollten wir in Kashan unser Visum verlängern lassen. Der Behördengang klappte am Freitag nicht, weil Wochenende war (im Iran immer donnerstags und freitags). Am Samstag klappte es nicht, weil der Chef im Urlaub war. Am Sonntag hatten wir schließlich Erfolg und erhielten die Bestätigung, erneut 30 Tage im Lande bleiben zu dürfen. In der Zwischenzeit schauten wir uns die Stadt an, besichtigten ein historisches Badehaus, schlenderten über den Bazaar und trafen unsere Reisefreunde Frieda und Sebastian wieder. Sie wollten mit Olga und der Globelotte-Familie, die wir auch schon aus Armenien kannten, in die Wüste. Wir nutzten die Chance und schlossen uns an. Schließlich haben wir ja gelernt, uns nicht mehr allein auf eine Wüstentour zu wagen. Diesmal wollten wir besser vorbereitet sein: Wasserfüllen, Gasfüllen, Tanken, Wocheneinkauf und einmal alle Schrauben festziehen. Es gab noch ein Gruppentreffen am Wüstenrand mit Lagerfeuer zum Einklang und dann ging es am Sonntagnachmittag zusammen los. Eine Kolonne in die Wüste Maranjab. Diesmal richtig.

Wer wird Millionär?

Der Grenzübertritt Armenien-Iran hatte es Mitte Dezember 2021 echt in sich. Die Ausreise aus Armenien dauerte zwei Stunden, die Einreise in den Iran nahm zusätzlich drei Stunden in Anspruch. Doch die Strapazen lohnten sich, schließlich waren wir auf iranischer Seite nach Besuch der Wechselstube plötzlich Millionäre. Nach einer wunderschönen Fahrt entlang der aserbaidschanischen Grenze kamen wir abends in Jolfa an, wo wir unser erstes iranisches Restaurant aufsuchten und vom Manager prompt zum Essen eingeladen worden sind (ähm nein, das war kein Taarof – wir haben ernsthaft versucht zu bezahlen, sind jedoch kläglich gescheitert). Beim SIM-Karten-Kauf am nächsten Tag bekamen wir Unterstützung von dem Barista Yashar, der in seiner Heimatstadt Marand für seine Hilfsbereitschaft gegenüber internationalen Touristen bekannt ist. In unseren ersten Tagen im Iran lernten wir generell so viele nette und hilfsbereite Menschen kennen wie in keinem Land zuvor. Allein in Tabriz fallen mir der Videotyp vom Bazaar, der Ticketverkäufer in der Metro, der Manager im Touristenbüro, die Teppichverkäufer, der Suppenstampfer und die Unigirls ein. Durch die vielen Small-Talks dauert alles sehr viel länger. Beispielsweise die Autoversicherung abzuschließen hat mindestens zwei Stunden gedauert. Tanken bedeutete für uns ab sofort A) eine Tankstelle zu finden, die überhaupt Diesel anbietet und B) dort mehrere LKW-Fahrer anzuquatschen, ob wir deren Diesel-Karte benutzen dürfen. Doch auch dieser Aufwand lohnte sich, schließlich zahlten wir pro Tankfüllung umgerechnet ein bis zwei Euro (richtig gelesen: nicht pro Liter, sondern pro Füllung!!!). Auf der Suche nach Ersatzteilen probierte Marco bei Iran Khodro Diesel sein Glück. Im Iran fahren nämlich überall Minibusse rum, vom gleichen Modell wie unser Düdo. Ein Augenschmaus im Straßenverkehr. Außerdem freuten wir uns über die vielen Kurzhauber, die teilweise hochbeladen und prominent geschmückt waren. 

Ein weiterer Augenschmaus im Iran sind die vielen Moscheen, Gedenk- und Grabstätten. Das Mausoleum in Ardabil war für uns die erste Sehenswürdigkeit, die wir bewusst besucht haben. Wenn schon die Fassade prunkvoll war, dann stellt euch mal vor, wie es Innen ausgesehen hat (dort haben wir jedoch aus Respekt keine Fotos gemacht). Ein Augenschmaus jagt den nächsten, ein Gaumenschmaus jagt den nächsten. Unser neues Lieblingsessen: Hühnchen mit Reis. Häufig serviert mit zwei gegrillten Tomaten, einer halben Zwiebel und einer halben Zitrone. Struppis Lieblingsessen: Alles was auf dem Boden zu finden ist. Eine echt doofe Eigenschaft, die man einer ehemaligen Streunerin nur schwer abgewöhnen kann. Angeleint nimmt sie mittlerweile nichts mehr ins Maul, aber ohne Leine denkt sie sich: Friss oder stirb. Leider im wahrsten Sinne des Wortes, denn nach einem schönen Abend in Ardabil (mit Einladung zum Tee bei Locals) mussten wir am nächsten Morgen einen Tierarzt aufsuchen. 

Struppi hatte sich nachts mehrmals übergeben und neben Stuhlproblemen zählten auch ein geschwollenes Auge und merkwürdige Flecken am Bauch zu ihren Symptomen. Long story short: Der Tierarzt in Ardabil war nicht zu gebrauchen (Stichwort: Antibiotika-Cocktail), deshalb fuhren wir noch am gleichen Tag zu einer Tierklinik nach Rasht. Eine Horrorstrecke von 250 Kilometern, für die wir 8 Stunden benötigten. Während der Fahrt mussten wir unsere kranke Hündin betreuen, die abwechselnd an Durchfall und Erbrechen litt. Wir schrieben parallel unsere Veterinär-Kontakte in Deutschland und Armenien an, die per Ferndiagnose vermuteten, was das Team in Rasht später herausfand: Verdacht auf Intoxikation durch Rattengift. Drei Tage mussten wir im Pet Hospital bleiben (bzw. „wohnten“ wir in unserem Bus einfach davor). Struppi erhielt zahlreiche Vitamin-K-Infusionen und ihr Blut wurde täglich untersucht. Wir freundeten uns mit dem Klinik-Team an, bekamen Tee zum Bus gebracht und verabredeten uns am letzten Abend (als es Struppi wieder deutlich besser ging) sogar zu einer kleinen Spritztour ans Meer, wo die Mitarbeiter uns mit einem Lagerfeuer und BBQ überraschten. So hatte die schlimme Situation am Ende auch ihre guten Seiten. Ende gut alles gut?

Unser Hund war wieder fit wie ein Turnschuh, was uns Struppi bei einer kleinen Wald-Wanderung mit Begeisterung beim Sprinten durch das Unterholz bewies. Am Kaspischen Meer führte unsere Strecke immer der Küste entlang, wo Struppi bei einer ausgiebigen Spazier-Pause zum ersten Mal das Meer und den Strand kennenlernte. Sie hatte wahnsinnigen Spaß beim Herumtollen mit Muscheln, Möwen und Meeresrauschen. 

In Chalus sind wir morgens bei sommerlichen Temperaturen am Meer aufgewacht. Über eine traumhafte Pass-Straße erreichten wir mittags die weißbedeckte Höhe und wurden vom Schneeräumer-Team zum Chai eingeladen. Weiter ging unsere Fahrt durch die Winterlandschaft bis nach Dizin, einem Ski-Gebiet mit kleinen Chalet-Hütten, wo wir gleich mehrere abendliche Einladungen erhielten. Es war der 21. Dezember 2021 und die Iranerinnen und Iraner feierten die Yalda-Nacht. Die Einladung von einer besonders herzlichen Familie nahmen wir dankend an und fanden uns zu später Stunde in einer gutgelaunten Meute wieder – bestens versorgt mit Köstlichkeiten, Musik, Shisha und lustigen Getränken. Leider waren die Pisten geschlossen, sonst hätten wir am nächsten Tag bestimmt noch eine Ski-Fahrt gewagt. Aber so genossen wir noch eine letzte Runde Sisha auf der Familien-Veranda, bevor wir in Richtung Tehran aufbrachen.

Mother Armenia und Hundepapa

Auf dem Weg nach Areni überraschte uns Armenien wieder einmal mit einer atemberaubenden Berglandschaft. Ein bisschen wehmütig gingen wir dort eine Runde mit Struppi, denn so sehr wir unser Hündchen auch lieben, mit einigen Einschränkungen müssen wir ab sofort leben – zum Beispiel, dass wir mit einem Welpen und Junghund noch gar keine großen Wanderungen machen können. 5 Minuten pro Lebensmonat, so lautet eine Faustregel für die Dauer von Spaziergängen, bis der Hund ausgewachsen ist. Der Spaziergang war natürlich trotzdem schön und abends belohnten wir unsere Hundegeduld mit einem Wine Tasting in Areni. Am nächsten Tag folgte eine Passfahrt mit Kaffeepause an einer alten Caravanserai, wo Struppi in einem Moment der Unaufmerksamkeit einen spitzen Hühnerknochen vom Boden aufnahm und genüsslich verspeiste. Puh, mit einem Hund braucht man Nerven, damit man sich nicht rund um die Uhr Sorgen macht. Ist letztendlich nichts passiert und die Nerven konnte uns unser Kumpel und Veterinär Matze ein wenig beruhigen. Danke lieber Matze, dass du bei jeglichen Tierarzt-Fragen immer für uns da bist!

Die Strecke führte uns erneut an den Sewansee. Da war ein Besuch bei Struppis Hundefamilie doch naheliegend. Je näher wir kamen, desto nervöser wurde ich. Sind die Hunde noch da? Oder hat der Wurf die kalten Minustemperaturen nicht überlebt? Wird Struppi ihre alte Heimat wiedererkennen? Was passiert eigentlich bei so einer tierischen Reunion? Freuen sich die Vierbeiner oder wird das Revier aggressiv verteidigt? Doch die Neugierde überwog und ich freute mich enorm als Struppis potenzieller Papa in seiner liebenswürdigen Hundeart auf uns zugelaufen kam. Vom jüngeren Wurf (von der kleinen Hündin mit dem dunklen Fell) konnten wir immerhin ein Hundebaby erblicken, das einen munteren und gesunden Eindruck machte. Aber wo war Struppis Hundemama mit den Geschwisterchen?! Das große Tor zum Privatgrundstück der Deutschlehrerin war geschlossen, doch eine kleine Tür stand offen. Wir gingen hinein und auf der Terrasse von dem Haus, wo wir damals mit Julia und ihrem Mann einen Kaffee tranken, blickten uns freudig schwanzwedelnd Struppis Mama und eines der Geschwisterhunde an. Ein Hund pro Wurf scheint also der Armenische Überlebensdurchschnitt zu sein. Oder aber die anderen Hundewelpen haben bereits ein neues Zuhause gefunden, dieser Vorstellung darf man sich ja durchaus hingeben. Wir haben uns jedenfalls riesig über das tierische Wiedersehen gefreut. Später ließen wir Struppi noch kurz aus dem Bus, wobei das Aufeinandertreffen wie zu erwarten eher vorsichtig und distanziert vonstatten ging. Das Geschwisterkind wollte Struppi sogar wegbellen, doch die Mama wies es in die Schranken. Vielleicht gab es also doch einen kurzen Moment des Wiedererkennens zwischen Struppi und ihrer Mutter. Wäre doch irgendwie romantisch.

Okay, wir müssen aufpassen, dass der Inhalt in diesem Blog nicht nur noch aus Hundefotos bestehen wird. Aber wer schonmal einen Hundewelpen großgezogen hat, der weiß, wie einnehmend (und zuckersüß!!!) so ein Hündchen in den ersten Lebensmonaten ist. Ein kleines Highlight aus dieser Zeit (neben der tollen Entwicklung, die man tagtäglich beim Tier beobachten konnte) war der Kauf eines Hundebetts. Bis dahin hat sich Struppi nämlich während der Fahrt im Beifahrerfußraum an unseren Wäschesack gekuschelt und ist manchmal ordentlich hin- und hergerutscht. Das Bett war sofort ihr neuer Lieblingsplatz und Rückzugsort bei Tag und Nacht. Außerdem diente es während der Fahrt sozusagen als Puffer. In Kissen und Polster eingebettet lassen sich auch die übelsten Rüttelpisten gut aushalten.

Fast eine Woche lang standen wir in Jerewan bei der „Mother Armenia“ zusammen mit Frieda und Sebastian sowie einer ganzen Reihe anderer Overlander. Einen Ausflug in die Kneipe konnten wir uns trotz Corona nicht verkneifen. Auch Struppi machte neue Freundschaften, denn neben Pepite (den wir ja schon kannten) tobte in der Runde auch das Hundemädchen Ayla herum, die nur einen Monat älter war als Struppi und mindestens genauso spielbegeistert. Es folgte eine Wocher voller Erledigungen. Marcos Brille ging kaputt, also ab zum Optiker. Ein Ölwechsel in der Truck Werkstatt stand an. Noch ein Paket musste abgeholt werden (auf die Geschichte rund um Marcos iPhone-Austausch möchte ich an dieser Stelle verzichten). Wir gingen für den Iran shoppen, denn lange Klamotten mussten her. An einem echten Pechsträhnen-Tag kränkelten wir nicht nur, es fuhr uns zu allem Übel ein Typ zweimal (mit Absicht!) in unsere Fahrräder rein und dann ging auch noch unsere Heizung kaputt. Diesmal nicht die Motorheizung, sondern die Standheizung, die uns bei den zu dem Zeitpunkt herrschenden Minustemperaturen warm halten sollte. Aber Marco schaffte es, das Teil innerhalb eines Tages (tagsüber bei Sonnenschein) zu reparieren. Unsere Pechsträhne war also zum Glück schnell wieder vorbei. 

Und dann hatten wir es auf einmal ziemlich eilig zur Iranischen Grenze aufzubrechen. Es war bereits Mitte Dezember 2021. Der Visumantrag über die Agentur wurde rasch bearbeitet und wir erhielten die ersehnte Zusage. Visum abholen, PCR Test machen, Gesundheitszertifikat beim Tierarzt einholen und dann innerhalb von drei Tagen am Grenzübergang sein. Das war ein straffes Programm. Bei einem Halt in Areni (wir wollten im Wine Tasting Souvenirladen, wo wir schonmal waren, eigentlich nur kurz ein hübsches Tischtuch kaufen) wurden wir nicht nur Zeugen eines LKW Unfalls (auf einmal knallte es und auf der Straße stieg dicker Rauch auf), dank Marcos blitzschneller Reaktion brachten wir unseren Feuerlöscher sofort an die Unfallstelle, wo die Fahrerkabine des einen Lastwagens bereits brannte. Wir holten noch weitere Feuerlöscher aus der unmittelbaren Umgebung und halfen dabei den Verkehr zu regeln, bis Feuerwehr und Krankenwagen eintrafen. Später erfuhren wir, dass der LKW Fahrer gerettet werden konnte. Hoffen wir, dass er mit nicht allzu schlimmen Verletzungen davongekommen ist. Der Tag endete bei den Vorotan Hot Springs, wo nicht nur Marco ein nächtliches Bad in der warmen Quelle machte, auch Struppi ist im Dunkeln versehentlich in den Naturpool geplumpst und hat bei ihrem ersten Tauchgang bewiesen, dass sie gut schwimmen kann. Morgens hab auch ich mich ins Wasser getraut. Ein natürlicher Whirlpool. Dann folgte ein weiterer Fahrtag über mehrere Bergpässe. Völlig fertig kamen wir abends etwa 20 Kilometer vor der Grenze an, tranken noch ein letztes Bier (auf Alkohol müssen wir im Iran ja erstmal verzichten) und fielen erschöpft ins Bett. Unsere letzte Nacht in Armenien war nicht besonders erholsam. Dank Coffee-to-go (in Armenien stehen überall an der Straße Kaffee-Automaten) rollten wir morgens trotzdem relativ fit dem Iran entgegen. 

Steinewerfende Karatekids

Auf dem Weg zum Berg Aragats – es war Anfang November 2021 – erblickten wir rein zufällig in der Ferne eine Satellitenschüssel, die uns neugierig machte. Also beschlossen wir kurzerhand einen Umweg dorthin zu fahren. Es war ein Radioteleskop, das wir entdeckt hatten und das „Radiophysics Research Institute / Aragats Scientific Center“ ließ uns netterweise für zwei Stunden auf das Gelände. Ein wirklich empfehlenswerter Ort, um Fotos zu machen.

Am nächsten Tag führten wir unsere geplante Route fort, und erreichten über eine erstaunlich gute Bergstraße die schneebedeckte Berglandschaft vom Aragats. Der erste Schnee in Struppis jungem Hundeleben und sie freute sich wie ein kleines Kind (naja, sie war ja auch noch ein kleines Hundekind) über die neue, kristallweiße Spielwiese. Auch wir hatten unseren Spaß im Schnee und genossen den ausgelassenen Spaziergang. Am Abend mummelten wir uns im Bus ein, denn es sollte eine eiskalte Nacht werden. Wir schauten uns in der ZDF Mediathek das weltbeste Musical „Der Eierwurf von Halle“ unserer Lieblings-Satire-Show (das ZDF Magazin Royal mit Jan Böhmermann) an. Dringende Streaming Empfehlung an dieser Stelle – bitte unbedingt gucken.

Weiter ging es nach Gyumri, wo wir Marcos Arbeitstage verbrachten und ich die kürzeste und krasseste Zahnreinigung meines Lebens hatte. Struppi freundete sich mit drei großen, schwarzen Parkhunden an und wir holten uns langsam unsere Freiheit zurück, indem wir eine ganze Stunde lang alleine Kaffeetrinken gegangen sind – ohne Hund. Oh man, das fühlte sich auch mal wieder gut an. Dann fuhren wir wieder Richtung Süden. Zwischendurch schneite es nochmal und wir bemerkten, dass unsere Motorheizung defekt war (der Motor sprang glücklicherweise trotzdem an). Kurzer Zwischenstop in Jerewan (wir erwarteten Pakete und guckten nochmal bei der Iranischen Botschaft vorbei) und dann ab zu den heißen Quellen nach Hankavan, wo wir uns einen privaten Thermalpool mit unserem Kumpel Florian teilten. Auf dem Rückweg (erneut nach Jerewan, irgendwie zog und die Hauptstadt sternenförmig an) trafen wir Frieda und Sebastian, die uns ein paar Einkäufe aus Georgien mitbrachten sowie ein Ersatzteil, das wir in Tiflis vergessen hatten abzuholen. Ein Parktreffen mit meiner Freundin Anke (die Frau auf dem Foto wollte unbedingt einen Hundekuss von Struppi) und ein Abendessen mit mehreren Reisenden in einem Tapas Restaurant füllten unsere Sozialspeicher wieder auf. Die Iranische Botschaft in Jerewan erteilte uns leider eine Absage, weshalb wir unser Visum für den Iran schließlich über eine Reiseagentur beantragten. Um die Wartezeit zu verkürzen, wollten wir noch eine Runde durchs Land drehen. 

Bei einem Übernachtungsplatz mit Blick auf den Ararat (nicht zu verwechseln mit dem Aragats) passierte dann eine ärgerliche und gleichzeitig lustige Geschichte: Ein paar Kinder waren übermütig und warfen einen Stein gegen unser Fahrzeug. Resultat: Beule im Auto, Lack abgeplatzt. Marco sprintet los, auf die Kinder zu. Kinder rennen weg. Marco hinterher. Struppi auch hinterher. Ich bleibe stehen. In der Ferne höre ich fremdes Hundegebell. Struppi sprintet zurück zu mir. Okay, immerhin ist der Hund wieder da. Aber wo bleibt Marco?! Kurz darauf bekomme ich Nachrichten auf mein Handy mit ein paar Namen. Noch etwas später schickt Marco mir einen Standort und eine Uhrzeit. Eine halbe Stunde nach dem Steinwurf kommt er zurück zum Bus. Zur vereinbarten Uhrzeit fahren wir im Dorf zu einer Karateschule. Marco hat nach einer Schnitzeljagd mit den Kids tatsächlich geschafft, ein Foto von einem der Kinder zu machen und hat im Ort rumgefragt, welches der Kinder den Stein geworfen hat und wo der Übeltäter zu finden ist. So bahnte er sich den Weg von Garten zu Garten und irgendwann landete er zusammen mit einer Traube an Kindern um sich herum in einer Karateschule. Der Karatelehrer hat ihm zunächst Geld angeboten, doch Marco war der pädagogische Lerneffekt wichtiger: Die verantwortlichen Kinder sollten unser Auto waschen. Im Gegenzug würde er das Foto von seinem Handy löschen. Nach großem Hin und Her und einer Fahrt im Schrittempo (ebenfalls mit einer Traube Kindern um unseren Bus herum) zu einer Waschanlage im Dorf, wurde unser Fahrzeug tatsächlich von Hand mit Schwämmen von der steinewerfenden Truppe gewaschen. Waldrian fuhr zwar nicht wirklich sauberer aus dieser Aktion davon, aber Marco war zufrieden, den Kindern eine Lehre erteilt zu haben: Wer Steine wirft, muss mit den Konsequenzen leben (oder schrubben). 

Armenien mit Fellnase

Nun waren wir also seit Mitte Oktober 2021 zu dritt und es fühlte sich noch ganz ungewohnt an, ab sofort ein felliges Lebewesen dabei zu haben. Der Fokus lag komplett auf dem Hund und unsere Reiseaktionen (z.B. einen Earth Cache angucken) wurden nebensächlich. 

Die folgenden Fotos zeigen ganz gut, dass wir eigentlich nur noch Augen für unsere bezaubernde Struppi hatten, auch wenn die Natur in Armenien durchaus sehenswert ist (vor allem zur goldigen Stunde am späten Nachmittag, wenn das gesamte Land in ein glänzendes Licht getaucht ist). 

Das Autofahren will geübt sein. Anfangs konnten wir nur wenige Kilometer einplanen und mussten viele Pausen machen. Es war gar nicht so einfach, einen geeigneten Platz für die Nacht zu finden, denn irgendwie waren alle äußeren Einflüsse für Struppi ziemlich überwältigend. Streunernde Hunde machten ihr Angst, selbst wenn diese weit weg waren. Duftende Wiesen waren so spannend, dass Struppi gar nicht wusste, wohin mit sich. Mit viel Geduld übten wir an geschlossenen Toren mit Wachhunden vorbeizugehen, wir lernten Fahrradfahrer kennen, wir trafen Pepite (den Hund von unserem französischen Bekannten Arthur) und legten immer wieder bewusste Ruhephasen ein. In der Stadt war es besonders aufregend, denn der ständige Verkehrslärm macht ja schon uns Menschen verrückt, wie soll es da einem kleinen Welpen gehen? Dennoch war es uns wichtig, Struppi früh genug an das Stadtleben zu gewöhnen. Das sorgte zwar auch bei mir für die ein oder andere überfordernde Situation, aber mit der Zeit entwickelten wir zusammen unsere Beruhigungsstrategien und es wurde irgendwann immer schneller immer besser. Mensch und Hund gewöhnen sich offenbar an alles. 

Ebenfalls gewöhnungsbedürftig war das ständige Sich-Sorgen-Machen. Struppi fraß am liebsten alles Pflanzliche (vorzugsweise giftig aussehende), was ihr so zwischen die Zähne kam. Das Resultat waren Verstopfungen oder Durchfall (glücklicherweise nur draußen), aber auch gerne mal ein sich nachts mehrmals übergebender Hund im Bus. Der erste Höhepunkt der Sorgenmacherei erfolgte als Struppi nach ihrer zweiten Impfung am nächsten Morgen mit einer ballonförmig geschwollenen Schnauze aufwachte. Also wieder zum Tierarzt: Anti-Allergie-Spritze und Infusion. Da tut einem das kleine Wesen schon leid. 

Wir machten zusammen aber auch super Fortschritte, lernten uns zu entspannen, konnten Spaziergänge an längerer Leine schon richtig gut genießen, machten viel Aufmerksamkeitstraining und tasteten uns langsam ans Alleinbleiben im Bus heran. Die Tollwut-Impfung beim Tierarzt verlief ohne Probleme und legte den Grundstein für unsere zukünftige Reiseplanung, denn nur mit einem „durchgeimpften“ Hund durften wir das Land überhaupt verlassen. Und als hätte das Schicksal nur darauf gewartet, machten sich erste Gerüchte breit, dass die Landesgrenzen zum Iran bald öffnen sollten. Ein paar organisatorische Steine lagen jedoch noch im Weg, schließlich wäre es das erste Land, für das wir ein „richtiges“ Visum benötigten und auch ein „Carnet des Passage“ für unser Fahrzeug beantragen müssten. Am besten kombiniert man Notwendiges mit Schönem und deshalb machten wir es uns für den Orgakram auf unserem geliebten Campingplatz bei Sandra bequem. Struppi freute sich über die Gesellschaft von den Platzhunden Max und Mickie. Wir freuten uns über die Gesellschaft von anderen Reisenden und blieben wieder eine knappe Woche auf dem tollen Overlander-Spot. 

Es war bereits Anfang November 2021, da fuhren wir los, um noch ein bisschen was vom Land zu sehen. An den Kapellen kommt man in Armenien nicht dran vorbei. Aber auch die unendliche Weite des Landes habe ich noch deutlich vor Augen. Struppi blühte beim Spielen mit einem Bauern-Welpen auf und wurde immer selbstbewusster. Dann ging es für uns Richtung Nordwesten.

Auf den Hund gekommen.

Vom goldenen Oktober war in Armenien nichts zu sehen. Unsere erste Woche im neuen Reiseland war durchgängig grau, düster und regnerisch. Die Gegend im Norden um Alawerdi erinnerte an Ostcharme und Rostcharme. Tatsächlich waren alle Häuser und Gebäude mit roströtlichen Backsteinen gebaut. Die Wiesen waren matschig und es dauerte nicht lange bis wir uns in den ersten Tagen in einem Tal festfuhren. Glücklicherweise schafften wir es kurze Zeit später wieder selbst heraus. Wir fanden ein sympathisches Restaurant, in dem wir uns zwei Abende hintereinander den „Homie-Wein“ schmecken ließen, eine urige Ausstellung im Felsen besichtigten und von einer lustigen Gruppe zum Tanzen aufgefordert wurden. Am zweiten Abend musste etwas an dem Frischkäse, den nur ich gegessen hatte, schlecht gewesen sein. Jedenfalls konnte ich die Fahrt zur Kobayr Klosterruine am nächsten Tag nicht wirklich genießen, sondern hing irgendwann „über der Schüssel“. Mir ging es so übel, dass Marco abends in Wanadsor alleine essen gehen sollte (ich hätte Essensgeruch im Bus nicht ertragen können). Er war so lieb und brachte mir aus der Apotheke eine Pille mit. Ja, tatsächlich eine einzelne Tablette ohne Verpackung und nichts. Hat geholfen, ich fühlte mich zwar weiterhin elend, aber mir war nicht mehr schlecht und so konnten wir nach einem halben Ruhetag weiter nach Dilijan fahren.

Es war nicht nur regnerisch, sondern wurde auch zunehmend kälter. Nord- und Zentralarmenien liegen relativ hoch oben und für die Region um den Sewansee waren bereits eisige Temperaturen angekündigt. Als wir dort waren, schneite es allerdings noch nicht und wir fanden abends kurz vor Dämmerung einen Platz direkt am See. Ein Privatgelände, wie sich im Dunkeln schließlich herausstellte. Doch wir hatten Glück: Die Besitzerin (eine Lehrerin) sprach fließend Deutsch und freute sich über unseren zufälligen Besuch. Wir durften auf dem Grundstück bleiben und sollten uns wie zu Hause fühlen. Ihr armenisch sprechender Mann schwamm am nächsten Morgen sogar eine Runde im See. So mutig sind wir nicht gewesen. Aber ich hatte kurz darauf sowieso nur noch Augen für die niedlichen Hundebabies. Es kam nämlich eine Hundemama mit ihrem fünfköpfigen Wurf vorbei und ich war ganz froh, dass Marco noch einige Stunden Laptoparbeit vor sich hatte. So konnte ich den ganzen Vor- bis Nachmittag Zeit mit der Hundefamilie verbringen. Es wurde gespielt, gesäugt, herumgetapst, sich saubergemacht. Das Hundefutter, das ich der Mutter hingeworfen hatte, überließ sie größtenteils ihren Schützlingen. Die Mama war ganz liebevoll zu den Kleinen und irgendwann folgten alle ihrer Mutter zum Trinken an das Seeufer. Und dann passierte es. Da gab es diesen ganz besonderen Moment zwischen mir, der Hundemama und dem einen kleinen Hundebaby, auf das ich schon die ganze Zeit ein besonderes Auge geworfen hatte. Da gab es diese Abmachung zwischen der Hundemama und mir. Zumindest bilde ich mir ein, dass sie ihr Hundekind sehr wohlwollend präsentiert und geradezu auffordernd zu mir rübergeschoben hat. Bis zu dem Zeitpunkt war ich überzeugt davon, dass Hundewelpen vor allem eines brauchen – ihre Hundemutter. Aber wann ist eigentlich der Zeitpunkt des Loslösens? Wann wäre ein guter bzw. ein angemessener Zeitpunkt Muttertier und Welpe voneinander zu trennen? Wann wäre eine Trennung vielleicht sogar förderlich für die weitere Entwicklung – sofern das Hundekind zukünftig in einer Menschenfamilie großwerden soll? Frage ich mal Marco, dachte ich mir. Und wurde auf einmal ganz schön nervös, weil ich vermutete, dass er generell dagegen sein würde, einen Hund zu adoptieren. War er aber nicht. Im Gegenteil, er nahm die Flausen aus meinem Kopf ziemlich locker auf und wies zwar auf jegliche Gegenargumente hin, jedoch war er gerne bereit dazu, sich in den kommenden Tagen gemeinsam mit mir Gedanken darüber zu machen, was so ein Hundebaby alles braucht, was es für Verantwortung mit sich bringt und was das für uns und unser (Reise-)Leben bedeuten würde.

Wir ließen der Deutschlehrerin einen Brief mit meiner Nummer zurück, fuhren jedoch vorerst ohne Hundebaby nach Jerewan. Ein paar Tage Bedenkzeit mussten bei so einer großen Entscheidung schon sein. In der Hauptstadt wartete dann endlich das goldige Oktoberwetter auf uns, nach dem wir uns sehnten. Noch dazu fanden wir einen idyllischen Platz in einer Schlucht mit Fluss, der mitten durch die Stadt führt. Mit den Rädern waren wir durch einen Tunnel schnell im Zentrum, wo wir unter anderem die Blaue Moschee und das Modern Art Museum besuchten. Dann endlich meldete sich die Deutschlehrerin per Whatsapp bei mir. Gerne dürfen wir ein Hundebaby mitnehmen, schrieb sie. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn meine Gedanken kreisten ständig um den Hund und die Hoffnung auf eine positive Antwort. Plötzlich war sie da und ich war mega aufgeregt. Marco freute sich auch so sehr wie ich und er hatte sogar einen Namensvorschlag, den ich sofort befürwortete: Unser kleines Hündchen soll Struppi heißen.

Wir verabredeten uns mit Julia, der Deutschlehrerin, zur Abholung am nächsten Tag. Die Fahrt von Jerewan nach Sewan verging wie im Flug und wir waren zwei Stunden zu früh da. Egal, so konnten wir noch Zeit mit den Hunden allein verbringen, Vertrauen aufbauen und Struppi im Beisein der Mama ein bisschen an den Bus gewöhnen. Als Julia mit ihrem Mann Chazhak ankam, luden sie uns noch zu Kaffee und Kuchen ins Haus ein. Es war ein richtig schöner Nachmittag und wir haben die Einladung sehr genossen. Beim Abschied draußen nahm ich Struppi wie selbstverständlich auf den Arm und das Hündchen fuhr die ganze Strecke zurück nach Jerewan wie selbstverständlich in der Spülschüssel auf meinem Schoss mit. Beim Tierarzt machten wir noch am gleichen Abend alle notwendigen Sachen: Impfung, Wurmkur, Flohkur, Microchip, Ausweis und Zubehör. Außerdem wurden wir mit der frohen Botschaft überrascht, dass Struppi ein Mädchen ist. Bis dahin hatte ich unwissenderweise auf ein Männlein getippt, aber wir waren uns schnell einig, dass Struppi selber entscheiden soll, was sie sein möchte. Dann fielen wir nach diesem aufregenden Tag völlig müde ins Bett (bzw. ins Spülschüsselkörbchen) und freuten uns beim Einschlafen auf den neuen Lebensabschnitt zu dritt.

Die erste Woche mit Hund verbrachten wir ganz „behütet“ auf einem Campingplatz bei Garni. Es gab so viel Neues zu lernen. Nicht nur für Struppi, sondern auch bzw. gerade für uns. Diverse Webseiten, Ebooks und YouTube Videos sorgten für den theoretischen Input. Daneben war aber auch viel „Learning by doing“ angesagt. Dank Campingplatzhund Mickie und den Gänsen gab es tierische Interaktionspartner für die Sozialisierungsphase und natürlich war Struppi auch bei den menschlichen Gästen sehr beliebt. Der Abschied von Campingplatzbesitzerin Sandra fiel uns nach sechs Tagen beinahe schwer, doch ein Reisehund sollte das Reisen lernen. Daher auf zu neuen Abenteuern mit hündischer Begleitung.

Vom Regen in den Sulfur Pool

Das Wetter spielt auf einer Langzeitreise nicht immer mit. Anfang September 2021 war es uns in Georgiens Hauptstadt zu heiß. Auf dem Weg in die Berge folgte ein Mix aus Sonne und Regen. In den Bergen angekommen fielen einige geplante Wanderungen aufgrund von Dauerregen ins Wasser.  Manch einen Regentag kann man aber auch nutzen, um neue Freundschaften zu knüpfen. In Kutaissi lernten wir Igel und Paola auf einem Kirchenparkplatz kennen, wurden zu Kaffee und Keksen in ihren blauen Düdo „Big Blue“ eingeladen und quatschten uns stundenlang fest. Das Regenwetter in den folgenden Tagen saßen wir mit unseren liebgewonnenen Wahlnachbarn gemeinsam ab. Nachts hatte der Parkplatz einiges zu bieten: Kreisedrehende Autos, Bong-rauchende Jugendliche, im Chor singende Männer und frühmorgendliche Rasenmäher. Am Tag unserer Abfahrt fand in der Kirche eine riesige Veranstaltung statt und wir wurden komplett eingeparkt. Egal, so sind wir halt für eine weitere Übernachtung dort geblieben. Wir waren ja in bester Gesellschaft.

Es sollte eine gesellige Woche bleiben. Witzigerweise lernten wir an unserem nächsten Stellplatz gleich noch ein im Düdo reisendes Paar kennen: Frieda und Sebastian. Außerdem Arthur und Pepite (ein Franzose mit Hund), Tobias und Johanna aus Deutschland sowie ein belgisches Pärchen. Der Sulfur Pool war nicht nur für Reisende eine Attraktion. Auch viele Einheimische trafen sich hier über den gesamten Tag bis in die Nacht hinein zum Baden in der heißen Naturquelle. Von einer Familie bekamen wir Obst und Chacha geschenkt. Ein buntes Spektakel und definitiv eines meiner Reise-Highlights aus Georgien. Wir fanden den Ort so genial, dass wir zwei Wochen später auf unserem Rückweg aus den Bergen einen erneuten Halt dort machten.

Es regnete viel, doch das gute Wetter zwischendurch nutzten wir für diverse Ausflüge. Wir sammelten einige Earth Caches, besuchten mehrere Kloster, besichtigten die Prometheus Höhle und hatten einen wahnsinnig tollen Tag in Tskaltubo, wo wir in eines der verlassenen Sanatorien einstiegen.

Dank eines tollen Stellplatztipps von unseren neuen Freunden machten wir eine kleine Flusswanderung im Okatse Canyon. Den Abend zuvor kam ein Auto voller Georgier angefahren. Sie luden uns zum Chacha ein, tranken selbst eine bemerkenswerte Menge dieser hochprozentigen Spezialität, setzten sich kurz darauf wieder ans Steuer und fuhren davon. In Khoni füllten wir unsere Gasflasche auf. Nachdem die Suche nach einer Gasflaschenauffüllstation bereits einige Tage in Anspruch nahm, ging uns beim Installieren der gefüllten Flasche schließlich der Adapter kaputt. Es folgte die tagelange Suche nach einem passenden Adapter. In Khoni hatten wir damit keinen Erfolg, also zurück nach Kutaissi und dort rumgefragt. Ein General mit Trillerpfeife wies uns den Weg durch die Gassen vom Handwerkermarkt. An jeder Ecke trillerte er laut in seine Pfeife und am Ende wusste jeder Ladenbesitzer, dass wir Deutsche sind. Den Adapter haben wir mit seiner Hilfe auf dem Markt zwar nicht gefunden, aber wir sind ein paar Bezirke weiter auf einem anderen Markt im Alleingang fündig geworden.

Nun konnten wir endlich wieder kochen (was vor allem bezüglich Kaffee am Morgen für Marco lebensnotwendig ist). Also ab in die Natur, es waren mehrere Wanderungen angesagt. Beim Balda Canyon spazierten wir ein paar Kilometer am Fluss entlang zum Kaghu Wasserfall. Von dort aus versuchten wir am nächsten Tag die längerer Strecke zum Oniore Wasserfall zu wandern, was sich als abenteuerlich herausstellte, da es mehrere Flussdurchquerungen zu bewältigen gab. Wir kamen schlussendlich leider nicht ans Ziel, da aus dem anfänglichen Nieselregen irgendwann strömender Regen wurde und wir deshalb auf halber Strecke aufgegeben haben. Der Tag endete mit einem Bad in den heißen Quellen vom „weißen Wasserfall“, einem weiteren Naturschauspiel Georgiens (von dem wir leider keine Fotos gemacht haben).

Zwei Tage später machten wir in der Nähe des Enguri Staudamms noch eine kleine dreistündige Wanderung zum Intsra Wasserfall. Wir wollten schließlich unsere Fitness für die bevorstehenden Tagestouren in Swanetien aufbauen. Hin und hergerissen von den schlechten Wettervorhersagen stellten wir kurzzeitig in Frage, ob es sich überhaupt lohnen würde, weiter in die Berge zu fahren (es war Dauerregen angesagt). Letztendlich fuhren wir aber doch weiter nach Mestia, wo wir am nächsten Morgen nicht nur mit einer traumhaften Bergkulisse, sondern auch mit einem Kuchengeschenk von einem einheimischen Bauern belohnt worden sind.

Völlig unerwartet wurden wir bei unserer Aufwärmrunde zu einer Mineralquelle von der Sonne überrascht. Danach ging es auf Internetsuche (Marcos Arbeitstage standen an), welche uns zum Mestia Airport führte (ein klitzekleiner Flughafen, auf dem am Montagmorgen sogar ein winziges Flugzeug landete). Leider regnete es sich in den darauffolgenden Tagen so richtig ein und es war sogar Schnee angesagt, sodass wir die Berge wieder verließen ohne auch nur eine richtige Bergwanderung gemacht zu haben. Schade, aber wir behalten Georgien als Reiseland in bester Erinnerung und vielleicht führt uns ja irgendwann nochmal ein Wanderurlaub in den großen Kaukasus.

Unser vorerst letztes Sightseeing-Erlebnis in Georgien war die Besichtigung der Höhlenstadt Uplisziche (glücklicherweise wieder bei schönstem Sonnenschein).

Danach ging es zurück nach Tiflis, wo wir eigentlich noch einige Zeit verbringen wollten, denn die Hauptstadt ist der Wahnsinn. Jedoch durfte unser Fahrzeug nur maximal drei Monate im Land verweilen, weshalb wir Ende September 2021 einen kleinen Abstecher nach Armenien planten. Kurz ausreisen, ein zwei Wochen Armenien anschauen und dann wieder nach Georgien einreisen. Das war der Plan. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass gleich die erste Woche in Armenien unser Reiseleben komplett auf den Kopf stellen würde.

One beer, two glasses.

Zurück von unserem dreitägigen Berliner Impfbesuch mussten wir in Tiflis erstmal wieder mit der Hitze klarkommen. Es war Mitte August 2021 und damit sicherlich die heißeste Zeit des Jahres in der Hauptstadt Georgiens. Also schnell raus aus der Stadt, ein paar Hundert Höhenmeter hinauf und in den Nationalpark Tiflis hinein. Wir blieben für Marcos Arbeitstage auf einem grünen Fleckchen neben einer Wasserquelle und einem niedlichen Holzhäuschen, wo wir an den Abenden frischgezapftes Bier und Grillspieße genossen. Selbst gekocht haben wir in den kommenden Tagen das georgische „Adjapsandali“ – eine Gemüsepfanne mit frischen Kräutern. Ein tierisches Highlight von unserem schönen Stellplatz: Nebenan gab es ein Bären-Gehege, das sich um gerettete Bären kümmert, die in der freien Wildbahn nicht mehr überleben könnten (weil sie beispielsweise aufgrund ihrer Vorgeschichte zu sehr an den Menschen gewöhnt waren). 

Etwas zu chaotisch und zu spontan ging unsere Reise weiter Richtung Nationalpark Tusheti. Wir stellten fest, dass wir an unserer gemeinsamen Reiseplanung noch arbeiten müssen. Es war schließlich die „most dangerous road in Georgia“, die uns als Pass-Straße bevorstand und die sollten wir nicht komplett unvorbereitet in Angriff nehmen. Wir fragten also bei den Einheimischen rum, ob die Straße zurzeit generell – und insbesondere mit unserem Fahrzeug ohne Allradantrieb – befahrbar wäre und ein paar hilfsbereite Jungs in Alvani erklärten uns „sometimes there are sheeps“ und „you should not drive drunk“. Da das Wetter weiterhin trocken und gut bleiben sollte, wagten wir es und starteten am nächsten Morgen los. Aus der Fahrt wurde eine Tagesaktion: Wir fuhren 80km über den Abano Pass (auf ca. 2900 Höhenmeter) von Pshaveli nach Omalo in 8 Stunden. Nach anfänglicher Aufregung und abenteuerlichen Abschnitten war die Strecke nach dem ersten Drittel erstaunlich leicht zu fahren und die Bergstraße war unserer Meinung nach in einem bemerkenswert guten Zustand. Da waren wir ganz andere Pisten gewöhnt. Dennoch war uns bewusst, dass ein Wetterumschwung die Straßenverhältnisse schnell verschlechtern könnte und tatsächlich hörten wir von anderen Reisenden ein paar Wochen später, dass ein Sturm im Oktober kilometerlange Passagen der Straße weggewaschen hatte. Das zeigt einmal mehr wie wichtig es ist, solche Strecken nicht einfach unbedacht zu befahren.

In Omalo angekommen blieb die Zeit für uns stehen. Okay, unser Fahrzeug blieb auch erstmal stehen, denn ganz unbeschadet hatte Waldrian die Passfahrt doch nicht überstanden und wir lernten die Dorfbewohner (und ihre Werkzeugkästen) in den ersten Tagen durch ihre tolle Hilfsbereitschaft beim Tausch unseres Motorlagers kennen. Es folgten zwei wunderschöne Wochen mit purer Bergdorfromantik. Ein Highlight in der ersten Woche war das Pferdereiten zum Oreti Lake. Wir ritten 6 Stunden lang (es waren insgesamt 24 Kilometer) auf dem Pferderücken durch steilen Wald und sanfte Wiesen. Ich glaube, unser Muskelkater war beinahe eine Woche lang zu spüren.

In der zweiten Woche fühlten wir uns im Dorf schon wie zu Hause, holten alle paar Tage unser Brot und etwas Käse auf den benachbarten Höfen, gingen in unserem Stamm-Gasthaus ein uns aus (abends bestellten wir standardmäßig zwei Teller Suppe und „one beer, two glasses“) und schafften es dann irgendwann sogar mal zu den historischen Wachtürmen hochzuwandern. Eine weitere Wanderung ins Nachbardorf Shenako machte zwar Lust auf mehr, doch Marcos Fuß war noch nicht stabil genug für eine Mehrtagestour (die wir jedem anderen ans Herz legen würden, denn der Nationalpark ist wirklich traumhaft schön und würde sich für ein mehrtägiges Trekking von Dorf zu Dorf wunderbar anbieten). Auf dem Rückweg über den Abano Pass hielten wir für eine Nacht bei der Torgva Heilquelle, vor der uns eine Frau im entgegenkommenden Auto zwar deutlich abriet („it’s dirty and there are strange people“), was uns jedoch nicht davon abhielt, dort trotzdem ein Bad zu nehmen. Die „strange people“ stellten sich schließlich als nette Opas heraus, die mit ihrem Auto dort steckengeblieben sind und denen wir am nächsten Morgen mit Abschleppseil eine kleine Starthilfe gaben.

Endlich hatten wir vollständigen Impfschutz und fühlten uns sicher genug, uns ins Hauptstadtgetümmel von Tiflis zu wagen. Die Lobby vom Fabrika-Hostel wurde unser zweites Zuhause (schon verrückt, wie durch die Reise das Wort „Zuhause“ für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen hat), wir schnorrten uns eine Dusche und gönnten uns mehrere Abende hintereinander leckeres Essen im belebten Innenhof. Nur die Nächte im Bus an der (ebenfalls belebten) Straße habe ich immer noch laut und sehr heiß in Erinnerung. Das war wohl der Grund, warum wir beschlossen, den Rest der Stadt erst ein paar Wochen später weiterzuerkunden. Und so brachen wir Anfang September 2021 erneut in Richtung Berge auf.

Georgian Airways

Unsere Flüge nach Berlin waren gebucht. Mit Schmetterlingen im Bauch, aber auch mit ein klein bisschen Bauchschmerzen habe ich versucht mir vorzustellen wie unsere Rückkehr nach Deutschland werden würde. Nein, wir haben natürlich nicht unsere Reise abgebrochen. Und ja, es sollten nur ein paar Tage temporäre Heimreise sein. Einmal impfen und zurück. Nichts dramatisches. Trotzdem tobten meine Gefühle wie eine Achterbahn. Es war Ende Juli 2021 und wir „überbrückten“ die Woche vor dem Flug mit einer Fahrt über die georgische Heerstraße nach Stepanzminda (auf meinen Wunsch hin – warum das erwähnenswert ist, wird im Laufe des Artikels deutlich). Am Zhinvali Stausee machten wir einen kurzen Halt, um den traumhaften Sonnenuntergang zu würdigen. Aus dem benachbarten Auto klang laute Musik, die beiden betrunkenen und äußerst gut gelaunten Autoinsassen torkelten zu uns rüber und schenkten uns eine 2 Liter Flasche Fanta mit abgefülltem Chacha (selbstgebrannter Tresterschnaps) – anscheindend das Nationalgetränk Georgiens und nicht der letzte Schnaps, den wir noch geschenkt bekommen sollten. Wir fuhren (natürlich nüchtern) zu unserem nächtlichen Stellplatz etwas weiter nördlich am Fluss und setzten die Fahrt am nächsten Tag fort. Das Russisch-Georgische-Freundschaftsdenkmal passierten wir im dichten Nebel und auch die Arbeitstage von Marco verbrachten wir hauptsächlich bei Nebel und Regen auf einer Bergwiese nahe der Passhöhe vom Kreuzpass. Einmal hagelte es sogar. Die Tiere um uns herum bereiteten mir trotzdem viel Freude.

Als hätte das Wetter die Uhr für uns gestellt, klarte der Himmel am Dienstag pünktlich zum Feierabend kurz auf und wir nutzten unsere Chance, die paar Kilometer zum Denkmal zurückzufahren. Endlich konnten wir einen Blick auf das beeindruckende Bergpanorama um uns herum werfen und ein Fleckchen blauen Himmel genießen. Weiter ging es noch am gleichen Abend Richtung Truso Schlucht. Ich sag mal so, die Fahrt war abenteuerlich, aber wunderschön.

Auch im Truso Tal war es nass und feucht, doch wir ließen uns nicht aufhalten und wanderten mit Regensachen im Gepäck los (die wir kurz darauf auch schon wieder auspacken und anziehen mussten). Natürlich kamen wir klitschnass am Bus zurück, doch die Wanderung war alle Strapazen wert. Mit ihren sanften Hügeln, dem reißenden Fluss, den gelb- und rotgefärbten Schwefelquellen und dem kalt-sprudelnden Mineralsee ist die Schlucht einfach spektakulär anzusehen. Dank Heizung im Bus gelang es uns die Kleidung (und uns selbst) auch einigermaßen wieder trocken zu kriegen. 

Wieder auf der Hauptstraße angekommen, verging die restliche Fahrt nach Stepanzminda relativ zügig. Unseren Versuch über die Offroad-Strecke hoch zur Dreifaltigkeitskirche zu kommen mussten wir jedoch abbrechen (ich legte an einer besonders steilen und rutschigen Stelle mein Veto ein) und Marco war den Rest des Abends damit beschäftigt einen besonders hartnäckigen Stein aus unseren Zwillingsreifen herauszuoperieren. Ich hatte vom Wandern noch nicht genug und weckte Marco morgens um 6 Uhr, weil gegen Mittag schon wieder Regen angesagt war und der Kazbek zur frühen Stunde auch einfach toll von der Morgensonne angestrahlt wurde. Oben angekommen zog das Wetter bereits langsam wieder zu und „Georgiens beliebtestes Fotomotiv“ (die Kirche vor dem Berg) sah gar nicht so eindrucksvoll aus. An der Kirche selbst trübten die vielen Selfie-machenden Touristen (die sich overdressed mit dem Offroad-Taxi hochfahren ließen) und eine surrende Drohne das Bild. Doch immerhin lohnte sich ein Blick in die Kirche, denn dort fand gerade eine Zeremonie mit Gesang bei Kerzenschein statt. Von Marco musste ich mir die nächsten Tage ein mehrfaches „Hab-ich’s-doch-gesagt“ anhören und weitere Diskussionen über den Sinn und Unsinn, touristische Orte auf unserer Reise anzusteuern, folgten.

Auf dem Rückweg Richtung Tiflis hielten wir am Bazaleti See, wo wir eine große Aussortieraktion machten. Das bedeutete: Einmal den kompletten Bus ausräumen und nur die Sachen wieder einräumen, die wir auf der Reise behalten wollten. Der Rest wurde entweder entsorgt, verschenkt oder in einer Tasche verstaut, die im Flugzeug mit nach Berlin reisen durfte. In Tiflis drehten wir eine Auscheckrunde um den Flughafen. Über mehrere Ecken hatten wir zwar auch das ganz liebe Angebot bekommen, unseren Bus auf einem Privatgelände in der Stadt zu parken. Doch der überwachte Bezahlparkplatz direkt am Flughafen machte so einen sicheren Eindruck auf uns, dass wir uns trauten, Waldrian dort für drei Tage allein stehen zu lassen. Die letzten Tage vor Abflug (inklusive Marcos Arbeitstage) verbrachten wir „hinter den Kulissen“ – so nannte ich liebevoll die geteerte Fläche hinter einer Kunstinstallation, die von Fahranfängern für Autofahr- und Einparkübungen genutzt wurde. Einmal glaubten wir ein Kind am Steuer sitzen zu sehen. Manchmal drehte auf dem Platz auch ein Jogger seine Runden, der einen an einer Kette befestigten Autoreifen hinter sich herzog. Ein skurriles Bild. 

Dann war es soweit. Wir flogen tatsächlich nach Berlin, hetzten mal eben kurz innerhalb von drei Tagen von Termin zu Termin. Arztbesuche, Corona-Impfung (um die es ja primär ging), diverse Einkäufe (von Dingen, an die wir im Ausland nicht rankommen), Marco lernte seine Arbeitskollegen persönlich kennen … und neben dem Notwendigen noch das Wichtigste: Freunde und Familie treffen!!! Was soll ich sagen, es war wunderschön und viel zu kurz, aber wir haben es so gewollt. Es sollte bewusst nur einen gefühlten Herzschlag lang dauern, denn sonst hätte uns das Heimweh vermutlich viel zu doll gepackt und so fühlte sich das kurze Wiedersehen mit unseren Liebsten einfach nur an wie ein schöner Traum. 

Georgische Gastfreundschaft

Die Einreise nach Georgien war Mitte Juli 2021 ein kleiner Kulturschock. Wir sind zwar nur zwei Wochen in der Türkei gewesen, doch trotzdem war es merkwürdig auf einmal wieder freizügig gekleidete Strandtouristen zu sehen und überall Bier bestellen zu können. Gut für uns! Und: Genau diese Kontraste machen den Reiz des Reisens aus. Nach der Grenzkontrolle fuhren wir ziemlich direkt nach Batumi, um die üblichen organisatorischen Notwendigkeiten zu erledigen – was primär bedeutete, Bargeld in der Landeswährung abzuheben und auf Internetsuche zu gehen (was sich ohne Internet gar nicht so einfach gestaltete). Nach einigem Hin und Her sind wir dann an eine günstige SIM Karte gekommen und haben unseren finalen Stellplatz in einer Wohngegend gefunden, wo wir auch unser erstes georgisches Restaurant besuchten, das in den folgenden Tagen unser Stammlokal wurde. Wir machten uns kurz darauf den guten Vorsatz, dass wir mal eine Woche lang kein Fleisch und kein Brot essen würden. Dies in Georgien umzusetzen war jedoch schwieriger als erwartet (um nicht zu sagen unmöglich) und so gaben wir diese Regelung am dritten oder vierten Tag bereits wieder auf. Gearbeitet wurde bei der Hitze in einem klimatisierten Coworking-Space. In Batumi ließen wir außerdem Marcos Fahrrad reparieren, gingen mit Marcos Fußproblem zu einem russischen Arzt (Zitat am Ende der Behandlung: „Sie können mir vertrauen, ich habe den höchsten Abschluss in Moskau gemacht.“) und besorgten uns eine Gasflasche plus Adapter (klingt nebensächlich, doch die gesamte Gassuchaktion nahm mehrere Tage in Anspruch). Während dieser Zeit machten wir nette Bekanntschaften mit Einheimischen, wurden von einem Georgier namens Armin zum Tee eingeladen und bekamen von unserer neuen Freundin Rosa Kaffee und Schokolade zum Bus gebracht. Die Verständigung klappte dank Google Translate (Deutsch <> Russisch) ganz gut, auch wenn bei der Übersetzung manchmal sehr wilde Sachen rauskamen. 

Unser erstes Natur-Highlight in Georgien war eine lustige und holprige Fahrt über den Goderdzi Pass, der Batumi mit Akhaltsikhe verbindet. Für die 60 Kilometer lange Strecke benötigten wir 6 Stunden, ich glaube das sagt alles. Zum Glück gab es unterwegs kleine Holzhütten, die unter anderem Tklapi als Wegeproviant verkauften (das ist „Fruchtleder“ aus Tkemali-Pflaumen und erinnert an lappenförmiges Fruchtgummi). Auf der Passhöhe von 2.025 Metern wehte ein erfrischender, kühler Wind und wir zelebrierten das herzhafte Essen im Restaurant „Edelweiss“, zu dem wir nach einem herzlichen Gespräch mit Givi (ein junger Mann aus Tiflis, der uns viele tolle Tipps gegeben hat) sogar eingeladen worden sind. Wahnsinn, wie lieb ist das denn?! Wir sind von der Gastfreundschaft der Georgier einfach nur überwältigt! Am nächsten Morgen bekamen wir noch Besuch von zwei Dorfjungen, die interessiert in unseren Bus reinguckten. Marcos Mess-Schieber lag gerade rum und er zeigte den beiden am Beispiel einer Haarsträhne dessen Funktion, was für allgemeine Erheiterung sorgte. Es sind oftmals die kleinen Dinge, die unseren Alltag am meisten bereichern.

Die Fahrt ging weiter nach Abastumani, einem Kurort mit warmer Thermalquelle und Bergobservatorium, der uns von Givi empfohlen worden ist. Dort trafen wir auf Georgi und Georgi (ungefähr ein Drittel der männlichen Georgier trägt diesen Namen), mit denen wir im Ortskern ein bisschen quatschten. Abends besuchten wir das Thermalbad und morgens machten wir uns mit einem frischen Brot auf den Weg nach Sairme. Dieser führte uns erneut über eine Pass-Straße. Diesmal ging es noch höher hinaus und wir überquerten mit 2.182 Metern Höhe den Zekari Pass im kleinen Kaukasus. Unterwegs erhielten wir beim Pausemachen neben einer Berghütte prompt die Einladung zu Kaffee und Käsebrot von der dort im Sommer lebenden Familie. Der frisch hergestellte Sulguni-Käse war ein Delikatesse. Bei der Weiterfahrt durch die Berglandschaft konnten wir am Straßenrand einen kurzen Blick auf einen Bärenhintern erhaschen (der dazugehörige Bär verschwand ziemlich schnell im Gebüsch). Was für ein schöner Tag.

Die Woche neigte sich dem Ende und die nächsten Arbeitstage standen an. Wir richteten für Marco am Tkubuli Reservoir unter einem schattenspendenden Baum ein Outdoor-Office ein. Seine neuen Arbeitskollegen: Eine Herde Kühe, die uns jeden Tag zur gleichen Zeit unter dem Bäumchen Gesellschaft leisteten. Der See war leider nicht zum Baden geeignet (wirklich schade angesichts der heißen Temperaturen), aber wir hatten viel Spaß beim Beobachten von Kröten, Schweinen, Hunden und Pferden. Ansonsten war es angenehm ruhig, nur die Kuhrufe am Morgen erinnerten an Dinosauriergebrüll. Am zweiten Arbeitstag bekamen wir Stellplatz-Nachbarn. Wolfgang und Brigitta waren die ersten deutschen Overlander, die uns in Georgien begegneten und es war toll sich ein wenig auszutauschen (noch dazu bei leckerer, kalter Wassermelone). 

Wie beeinflusst Marcos Arbeit eigentlich unsere Reise? Anfangs mussten wir noch relativ viel Zeit investieren, um wöchentlich am Sonntag einen geeigneten Arbeitsplatz für Montag und Dienstag zu finden. Manchmal ging der halbe (oder ganze) Sonntag dafür drauf, doch mittlerweile sind wir ganz gut eingespielt und wissen worauf es uns ankommt. In Georgien kam dann eine neue Situation auf uns zu: Eine Arbeitskollegin aus Berlin wollte nach Tiflis fliegen, um Freunde zu besuchen. Das war auf der einen Seite eine gute Möglichkeit zum persönlichen Kennenlernen – schließlich hat Marco den Job angenommen als wir schon auf der Reise waren, somit kannte er die Gesichter seiner Kollegen bis dato nur über Videocalls. Auf der anderen Seite hatte ein Treffen in Tiflis auch praktische Gründe, denn Marco benötigte von seinem Arbeitgeber einen Laptop (sein privater Rechner fiel in Batumi leider einem Regenschauer zum Opfer). Also planten wir zur gleichen Zeit wie Marcos Arbeitskollegin in Tiflis zu sein. Für schnelle Autos wäre die Strecke kein Problem und innerhalb weniger Stunden zu meistern. Bei unserem lahmen Tempo bedeutete es aber immerhin, dass wir zwei bis drei volle Fahrtage einberechnen mussten. So düsten wir für das Treffen mal eben schnell durch halb Georgien. Nichts hielt uns auf, noch nicht einmal eine wilde Flussdurchfahrt, für die ich bis zu den Unterschenkeln ins Wasser gestampft bin. Kurz vor Tiflis legten wir in Mzcheta eine notwendige Übernachtung ein (ja, manchmal sind Fahrtage stressig, anstrengend und ermüdend). Bei der Platzsuche gerieten wir in Streit (ja, auch das gehört zum Busleben dazu) und entschieden uns schließlich für einen Bezahlparkplatz im Ortszentrum. Die gute Nachricht: Der Parkplatz hatte eine Grube und somit konnte Marco bequem den Fahrzeug-Service machen, während ich unseren neu erworbenen Liegestuhl einweihte. An einem Süßigkeitenstand vor der Swetizchoweli-Kathedrale probierten wir zum ersten Mal die leckeren Churchkhela: Das sind mit angedicktem Traubensaft überzogene Walnüsse-Trockenobst-Ketten. Der Verkäufer war so lieb und hat uns nebenan einen Blick in seine Küche werfen lassen, wo ich eine der Ketten selbst eintauchen durfte.

Endlich hatten wir nach mehrtägigem Fahrstress unser Ziel – die Hauptstadt Georgiens – erreicht und gönnten uns im Tiflis-See ein erfrischendes Bad. Eine Verabredung mit der Mutter eines georgischen Freundes aus Deutschland stand für die kommende Woche in Tiflis auch schon fest. Da ereilten uns gleich mehrere schlechte Nachrichten: 1) Die Arbeitskollegin musste ihren Flug stornieren, weil ihr Kumpel an Covid-19 erkrankt ist. 2) Georgien wurde zum Hochinzidenzgebiet erklärt. 3) Die Corona-Zahlen insbesondere in Tiflis sind in den vergangenen Tagen extrem in die Höhe geschossen. Mit diesen Nachrichten wurden wir unsanft in die Realität katapultiert. Bisher konnten wir der Pandemie auf der Reise geschickt aus dem Weg gehen, verbringen wir doch die meiste Zeit in unseren rollenden vier Wänden unter freiem Himmel. Nun zwangen uns die Umstände eine Planänderung auf: Leider doch keine Treffen in Tiflis. Weg aus der Stadt, wieder rein in die Natur. Zumindest solange wir noch keinen vollständigen Impfschutz hatten. Die Verabredung mit der Mutter meines Kumpels konnten wir glücklicherweise zu ihrem Garten außerorts verlegen und es entwickelte sich ein richtig schöner Nachmittag daraus (vielen Dank für das leckere Essen!). Ja, auch das ist Reisen. Immer flexibel bleiben. Nicht darüber ärgern, wenn Pläne nicht klappen. Stattdessen dankbar sein für das, was sich aus der neuen Situation ergibt. Denn eines ist sicher: Irgendwas passiert immer!

Eins, zwei, Türkei.

Wir stehen am Mittwoch den 24.06.2021 an der Grenze zur Türkei. Vor so ziemlich genau einem Jahr haben wir Deutschland verlassen und sind über Schweiz, Italien, Slowenien, Ungarn, Serbien und Bulgarien nach Griechenland gefahren. Da wir von diesen 12 Monaten allein 8 Monate in Griechenland gelebt haben, ist es für uns in diesem Moment noch kaum vorstellbar, dass wir die Türkei innerhalb von 2-3 Wochen „mal eben schnell“ durchqueren werden, um die heißen Sommermonate in Georgien zu verbringen.

Was uns in der Türkei zuallererst auffiel, sind die nett hupenden Autofahrer. Es gibt das freundliche Hupen, um auf sich aufmerksam zu machen (beispielsweise bei einem Überholmanöver, wahlweise von rechts oder von links). Es gibt das freudige Hupen, um jemanden zu grüßen (meist ein Doppelhuper, der von dem anderen ebenfalls durch Doppelhupen beantwortet wird). Es gibt sogar das überschwängliche Hupen, aus dem Autofenster winkend und zum anderen Auto rüber rufend, dabei manchmal sogar aus dem Fenster lehnend (um sicherzugehen, dass der andere die Begrüßung mit Sicherheit mitbekommt). Nur ein einziges Mal wurden wir Zeuge vom bösen Hupen (in Deutschland wohlbekannt), das sogar uns galt, weil wir an einer Kreuzung verbotenerweise einen U-Turn machten, woraufhin gefühlt alle Autos an dieser Kreuzung ein Hupkonzert gegen uns eröffneten. Okay, vielleicht sogar zurecht. Unser erster Halt war ein Migros Supermarkt (den es übrigens auch in der Schweiz gibt). Direkt daneben besorgten wir uns in einem Vodafone Shop eine türkische SIM Karte, hebten Geld ab und kauften uns an einem Straßenstand von unseren ersten türkischen Lira ein extrem leckeres türkisches Eis. Ernsthaft, dieses Eis war so lecker, dass ich immer noch sehnsüchtig daran zurückdenke. Die Abkühlung vom Eis hielt leider nur kurz an (nicht so die schwülen Temperaturen, mit denen wir seit ein paar Tagen zu kämpfen hatten) und wir suchten uns ein schattiges Plätzchen in einem Waldstück zum Übernachten. Relativ zügig ging es am nächsten Tag weiter Richtung Istanbul. Ein Minibusfahrer überholte uns im Schneckentempo wild gestikulierend und blieb ein paar Hundert Meter weiter auf dem Standstreifen stehen. Vom ADAC, Auswärtigen Amt und Co. bekommt man ja ständig eingetrichtert, dass man im Straßenverkehr vor Trickbetrügern auf der Hut sein sollte, die dir Probleme an deinem Auto vorgaukeln, um dich dadurch abzulenken und ausrauben zu können. Mit dieser Warnung im Hinterkopf, aber auch weil ich seine Handzeichen nicht verstand, fuhr ich an ihm vorbei. An der nächsten Raststätte hielten wir für einen prüfenden Blick an, konnten jedoch nichts Auffälliges feststellen. Wir bekamen langsam Hunger und Marco lotste uns zu einem Restaurant, das ein echtes Flugzeug im angrenzenden Garten abgestellt hat. Noch vor dem Essen hatten wir sehr viel Spaß beim Besichtigen der „Köfte Airlines“. 

Ein ordentlicher Weltuntergangsschauer kühlte unseren Fahrtag ein wenig ab. Beim nächsten Tankstop nutzten wir die Möglichkeit, um auch unseren Reifendruck zu checken. Das war längst überfällig und als ich am Steuer darauf wartete, dass Marco vom Bezahlen zurückkam, machte mich ein netter Motorradfahrer auf den „low pressure“ unseres Vorderreifens aufmerksam. Da bei der Bezahlung etwas mit Marcos Karte nicht klappte, ging ich nochmal rein und bekam an der Kasse direkt Hilfe von einem wartenden Kunden. So viele zuvorkommende Menschen, wow. Am Luftdruckgerät stellte Marco schließlich fest, dass eines der Ventile an unseren hinteren Zwillingsreifen undicht war. Ach was, wollte uns das vielleicht der Minibusfahrer vorhin auf der Straße mitteilen?! Ich bekam direkt ein schlechtes Gewissen so misstrauisch gewesen zu sein. Unser zweiter Tag in der Türkei und wir sind schon auf so viele nette Menschen getroffen – wird Zeit auch die letzten Vorurteile abzulegen. Das Problem mit den Reifen konnten wir dann innerhalb von zwei Stunden bei einem 15 Kilometer entfernten Reifendienst beheben lassen. Die neuen Ventile hatten wir bereits dabei, nur den Wechsel hatten wir bis dahin noch vor uns hergeschoben. Schön, dass uns das Universum an diesem Tag einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben hat. Oder war es vielleicht eher ein freundliches Hupen?

Noch vor den Abendstunden erreichten wir Istanbul und ich war zum ersten Mal auf der Reise geflasht von der Skyline. Schon ein ziemlich berauschendes Gefühl, mit dem eigenen Fahrzeug in eine so große Stadt reinzufahren. Um dem Großstadtverkehr nicht länger als nötig ausgesetzt zu sein, steuerten wir auf direktem Weg einen Bezahlparkplatz an, den wir uns zuvor bereits rausgesucht hatten. Dank der günstigen Parkplatzgebühren wurde dieser Ort mitten in Istanbul für die kommende Woche unser Zuhause. Wir gewöhnten uns schnell an den Straßenlärm von gegenüber, an das Surren vom Stromgenenerator der Baustelle nebenan und an die Gebetsrufe der benachbarten Moschee um 4 Uhr nachts. Mit Ventilator im Dauerbetrieb war auch die Hitze einigermaßen auszuhalten. Die erste Runde durch die Stadtteile Galata (Fischwraps) und Besiktas (Biermeile) drehten wir mit den Fahrrädern bis ein platter Reifen uns einen Strich durch die Rechnung machte. Am Sonntag nutzten wir die Gunst der Stunde und machten mit Waldrian dann doch eine Stadtrundfahrt. Ein bisschen unfair war das schon, denn aufgrund der Corona Maßnahmen in der Türkei gab es zu dem Zeitpunkt sonntags für die Einheimischen eine Ausgangssperre – von der Touristen jedoch befreit waren. Da wir ohne vollständigen Impfschutz die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benutzen wollten, betrachteten wir es als einmalige Chance, die Straßen Istanbuls bei geringem Verkehrsaufkommen befahren zu können. So fuhren wir in Eigenregie nach Ortaköy (Touri-Ecke), überquerten aufgrund einer falsch genommenen Ausfahrt gleich dreimal hintereinander die Bosporus Brücke (und reisten somit fröhlich zwischen Europa und Asien umher), erklommen den Camilca-Hügel auf der asiatischen Seite, verspeisten in Kadiköy (Studentenviertel) ein Dürüm, versuchten vergeblich auf die europäische Seite zurückzukommen (der Tunnel war für unsere Fahrzeughöhe zu niedrig und die Fähre fuhr nicht) und rollten schließlich mit größerem Umweg ein viertes Mal über die Bosporus-Brücke auf unseren Parkplatz „nach Hause“. 

Den Montag und Dienstag verbrachten wir im Coworking-Space CoBAC (dort war so wenig los, wir hatten eine Etage für uns alleine). Nach seinen Arbeitstagen konnte ich Marco überreden, doch noch einen Touri-Spaziergang auf dem Goldenen Horn mit mir zu machen, wo wir auf dem Großen Bazaar gleich mehreren Teppichverkäufern in die Fänge kamen (aber keinen Teppich kauften), die Hagia Sofia anschauten (ich von außen, Marco von innen), an die Türen der Zisterne klopften (leider hatte der versunkene Palast aufgrund von Corona geschlossen) und in einem Souvenirladen tatsächlich eine Lampe erwarben.

Anfang Juli verließen wir Istanbul. Es folgten ein paar Fahrtage, da wir Strecke machen wollten, um zeitnah Georgien zu erreichen. Meine Motivation war es, der Hitze zu entkommen. Marco hingegen hatte Sorge, dass die Landesgrenzen wieder schließen könnten. Der Weg führte hunderte Kilometer am Schwarzen Meer entlang. Besonders gefallen hat uns die Grillkultur der Türken. Häufig sahen wir große Wiesen mit schattigen Plätzen unter Bäumen, wo die Einheimischen sich versammelten, um BBQ zu machen. Manchmal mit selbst mitgebrachten Grills und Picknickdecken, oftmals gab es aber sogar überall auf der Wiese verteilt Tische, Bänke, kleine Pavillons und feste Steingrills. Mein tierisches Highlight war eine Bande kleiner Hundewelpen, die auf einem unserer Übernachtungsplätze unter einem Baumstammstapel zum Vorschein kamen. 

Marcos Arbeitstage verbrachten wir in Samsun und dann ging es auch schon weiter nach Trabzon, wo wir unseren PCR-Test für den Grenzübergang machten. Am Ende sind wir tatsächlich innerhalb von zwei Wochen durch die Türkei gedüst. Kurz vor Georgien hauten wir unsere letzten türkischen Lira in einem Minimarkt auf den Kopf und verließen die Türkei mit dem Gefühl, dass wir dieses wundervolle Land auf unserer Reise bestimmt noch ein weiteres Mal besuchen werden.

Goodbye, Greece!

Unsere Weltreise geht endlich weiter. Beinahe hätten wir nicht mehr daran geglaubt. Ganze acht Monate haben wir in Griechenland verbracht. Haben das Land geliebt und verflucht. Haben einen großen Teil der Corona-Krise in einsamen Buchten und an traumhaften Stränden verbracht. Haben dem Wetter getrotzt und jede einzelne Nacht in unserem Bus geschlafen. Dieser Blog-Beitrag wird der letzte aus Griechenland sein und ich bin mehr als gespannt in welchen Ländern dieser Welt wir die nächsten acht Monate (und mehr) herumfahren werden.

Auf dem Weg Richtung Norden wollten wir uns die Meteora Klöster nicht entgehen lassen. Wir hatten Touristenmassen erwartet, doch es war um die Felsformationen herum erstaunlich ruhig und wir begegneten nur wenigen Leuten. Da es Anfang Juni 2021 schon knackig heiß war, freuten wir uns auf einen Campingplatz mit Pool, in den wir sofort nach unserer Ankunft hinein hüpften und der uns auch am nächsten Tag nach einer langen Wanderung die perfekte Abkühlung bot. Die Klosterrunde um die Felsen von Meteora zählt definitiv zu meinen persönlichen Wander-Highlights aus Griechenland. 

Gut ausgepowert vom Wandern fuhren wir den Tag darauf bis nach Thessaloniki durch, wo wir uns auf unseren altbekannten Hafenplatz stellten. Nach ein paar Gläsern Weißwein im Hafenrestaurant schmiedeten wir Pläne für unsere Weiterreise. In Richtung Asien war zu dem Zeitpunkt die Türkei über den Landweg leider die einzige Option (alle anderen Länder waren aufgrund von Corona geschlossen) und ich hatte mal den Wunsch geäußert, den Hochsommer nicht in der Türkei verbringen zu „müssen“. Eigentlich wollten wir deshalb auch schon im April in die Türkei fahren, doch dann kam uns irgendwie die Sache mit dem Klettern „dazwischen“ – und jetzt hatten wir bereits Juni. Bei meiner Recherche nach Reiseländer-Alternativen stieß ich auf Kasachstan. Das sonst visumfrei zu bereisende Land hatte zwar seit der Pandemie die Visumfreiheit aufgehoben, doch falls wir ein Visum bekämen, dann könnten wir mit einem Transit durch Russland nach Kasachstan einreisen und würden somit einen gewaltigen Schritt weiter nach Osten kommen. Von meiner Idee total angetan plante Marco noch am selben Abend (halb betrunken) die darauf basierende Route bis in die Mongolei mit Überwinterung in Usbekistan. So schnell können Reisepläne wieder an Fahrt gewinnen. An den Arbeitstagen von Marco (zwecks Internetverbindung mussten wir auf den IKEA Parkplatz wechseln) kümmerten wir uns nebenbei um diverse Visumsanfragen und waren schon ganz aufgeregt. Die Ernüchterung folgte als wir von mehreren Stellen die Absage erhielten. Kasachstan würde bis zum Ende des Jahres keine Touristenvisa erteilen. Mist, da hatten wir uns wohl zu früh gefreut, wie schade. Trotzdem war es sehr schön festzustellen, dass unsere Reiselust nicht verflogen war und dass wir – sobald sich Möglichkeiten öffnen – sehr schnell in der Lage waren zu planen und alles Notwendige zu organisieren. Und immerhin: Bei unserer Kasachstan-Recherche fanden wir heraus, dass Georgien seine Grenzen auf dem Landweg ein paar Tage zuvor seit über einem Jahr endlich wieder geöffnet hat. Also neuer Plan: Durch die Türkei ab nach Georgien (und da sind wir inzwischen auch gelandet)! Passend zu dem Reisechaos ist übrigens auch noch unser Wasserhahn undicht geworden und die Wasserleitungen haben sich aufgebläht, weshalb unser Bus mehrere Tage lang einer Baustelle glich, bis wir alle Teile für die Neuinstallation zusammen hatten. Wenn Chaos, dann richtig.

Es vergingen noch etliche Tage in Thessaloniki mit mehreren Besuchen im Wasserschlauchladen (von dem Parkunfall vor dem Geschäft fange ich gar nicht erst an), dem Einbau der Schläuche, weiteren Einbauten von Kühlschranklüfter und Wasserfilterdruckpumpenkombi, einem erfolglosen Besuch im Camping Store, einem erfolgreichen Besuch im Elektronikladen (die netten Mitarbeiter hatten vorab gemutmaßt, ob es sich bei Marco um den Magier „Marco Miele“ handeln würde, was als Steilvorlage für diverse Witze herhielt), einer Fahrt auf die Autowaage (wir hätten mit mehr Übergewicht gerechnet), dem Einkauf von Kokosziegeln für unser Kompostklo, einem Wäschereibesuch, Holzzuschnitt im Baumarkt, Werkstattsuche und Ölwechsel, Ausleihen einer Krimpzange, HNO-Artztermin … wir werden ja häufiger mal gefragt, was wir denn so den ganzen Tag machen … auch wenn ich diese Frage gar nicht so pauschal beantworten kann, eines steht fest: Es gibt immer was zu tun! Beim HNO-Arzt stellte sich heraus, dass Marco eine verschleppte Halsentzündung hatte und wir sollten eine Woche später (nach Antibiotika-Behandlung) noch einmal zur Nachuntersuchung in die Praxis kommen. Der Doktor gab uns einen Stellplatz-Tipp auf den Chalkidiki und so nutzten wir die Woche für eine letzte Rundfahrt um die Halbinsel Sithonia – dem zweiten Finger der Chalkidiki. Der Tipp vom Doktor entpuppte sich zwar als überlaufener Touristenort, doch wir fanden einige Kilometer weiter südlich den „Secret Paradies Beach“, der vielleicht kein völlig geheimer Ort war (immerhin zeigte uns ein Schild an der Straße den Weg), jedoch mit seiner schnuckeligen kleinen Beach-Bar und den zusammengewürfelten Sitzmöglichkeiten absolut unserem Geschmack entsprach. So konnte Marco zum ersten Mal von einer Strandbar aus arbeiten. Der Rückweg führte uns durch ein verwunschenes und vogelreiches Naturschutzgebiet. Zurück in Thessaloniki wurde Marco vom Doktor für gesund erklärt (außerdem zeigte er uns Drohnenvideos – sein neuestes Hobby) und wir konnten Richtung türkische Grenze aufbrechen.

Unsere letzten Tage in Griechenland waren angenehm mild und wir konnten die heißen Quellen in Loutra Elefheron richtig genießen. Das verlassene Gelände ludt zu einer Entdeckungstour ein. Dann ging es über das Nestos Delta nach Alexandroupolis, wo wir uns für Marcos Arbeitstage an einer prolligen Strandbarmeile niederließen (nicht schön, aber praktisch). Nachdem wir alle Vorkehrungen für den bevorstehenden Grenzübergang erledigt hatten, wollten wir ein letztes Mal in Griechenland klettern gehen und hatten dafür bereits einige Tage zuvor den Sportfels in Avantas ausgecheckt – ein Klettersektor, der laut Website „TheCrag“ im ersten Lockdown 2019 liebevoll eingerichtet worden ist. Es war dort auch mega gemütlich – sogar mit Bänkchen und Hängematte – doch diesmal spielte das Wetter nicht mit. Ein abendfüllendes Gewitter (mit Hagel!) zog auf und am nächsten Mittag mussten wir nach der ersten Route feststellen, dass die Felswand leider immer noch zu nass war. Manchmal macht erhöhtes Risiko eben doch keinen Spaß. Auf den Abschied vom griechischen Kletterfelsen folgte der Abschied von unserem bulgarischen Kuhschädel. Für die folgende Reise wollten wir nicht mehr so auffällig sein, zudem waren wir uns nicht sicher, in welchen Ländern die Kuh als heiliges Tier betrachtet wird. In der Türkei vielleicht?!? 

Nafplio, Korinth, Athen

Mit der ersten Dosis Astrazeneca im Arm fuhren wir Mitte Mai 2021 mit guter Laune von Leonidio nach Nafplio. War ja gar nicht so schlimm, dachten wir. Mitten in der Nacht wurden wir eines Besseren belehrt, denn wir bekamen beide hohes Fieber und lagen den nächsten Tag komplett flach. Als wir wieder einigermaßen fit waren, ging es weiter nach Kranidi, wo wir den Apollo Beach (eine verlassene Hotelanlage) durchforsteten und einen Präventionsbesuch in einer Hautarztpraxis machten. In Kranidi brachten wir außerdem Marcos Arbeitsvertrag zur Post. Seine Bewerbungsgespräche verliefen durchweg positiv und von nun an arbeitet er zwei Tage pro Woche von unterwegs aus. 

Der weitere Roadtrip führte uns über Methana an Hotelruinen, einem dauerhaft geschlossenen Thermalbad und Vulkangestein vorbei. Weiter nördlich trafen wir uns in Korinth mit unseren Reisefreunden Marga und Christian, beobachteten einen Waldbrand aus der Ferne und gingen im Sektor Solomos mit tollem Ausblick auf die Festung Akrokorinth klettern. Auf der Weiterfahrt Richtung Athen gönnten wir uns frittierte Bällchen von einer serbischen Straßenverkäuferin.

Als wir in Athen ankamen, fühlten wir uns sofort wie zu Hause. Natürlich ließen wir uns im alternativen Stadtviertel Exarchia nieder und fanden einen praktischen Stellplatz direkt neben dem Strefi-Hügelpark, der vom höchsten Punkt aus einen tollen Blick auf die Akropolis zu bieten hat. Die nett gemeinte Warnung eines Polizisten, dass wir aufpassen sollten, weil es sich um ein anarchistisches Wohnviertel handele, nahmen wir schmunzelnd zu Kenntnis – schließlich hatten wir uns diesen Bezirk sehr bewusst ausgesucht und waren uns einig, dass wir hier goldrichtig standen. Nach einem Wochenmarktbesuch schlenderten wir durch die Gegend und setzten uns mit Gyros und Bier auf ein Mäuerchen vom dreieckigen Exarchia Platz (auf Google Maps als „Treffpunkt der Gegenkultur“ betitelt), den wir in den folgenden Tagen noch häufiger besuchten, weil dort immer etwas los war. Prompt bekamen wir „Speed oder Souvlaki“ angeboten, lehnten jedoch dankend ab. Mit den Fahrrädern erkundeten wir auch die anderen Viertel, kümmerten uns um einige Erledigungen, fotografierten die Akropolis aus der Ferne und gingen Chinesisch essen. Marco verbrachte seine ersten beiden Arbeitstage mit Schreibisch und Sonnenschutz im Bus. Ich radelte zu IKEA und genoss ein paar Stunden lang klimatisiertes Shopping. Gemeinsam aßen wir am Montagabend „Pizza rolls (not gender roles)“ und stießen am Dienstagabend (nach einer „langen“ Arbeitswoche) mit einem Feierabendbier an. Hoch die Hände, Wochenende! 

Den Rest der Woche drehten wir eine Runde um Athen herum, machten Sport, wurden von Bienen verfolgt, kühlten uns im Meer ab und gingen klettern. Am Sonntag wollten wir in Athen einen neuen Platz zum Arbeiten finden und landeten nach einer dreistündigen Odyssee am Hafen, wo wir überraschenderweise unsere Freundin Lara wiedersahen und einen schönen Abend zusammen verbrachten. Nach zwei angenehmen Arbeitstagen mit Hafendusche und Eiskaffee trafen wir am gleichen Ort Jakob wieder und konnten uns somit von unserem Kumpel auch noch einmal persönlich verabschieden, bevor wir – Anfang Juni 2021 – die endgültige Fahrt Richtung Norden antraten. Mit Übernachtung bei den Thermopylen (abendliches heißes Bad im Naturpool) und Zwischenstop bei einem Schrottplatz (Ersatzteile-Düdo, der uns eine neue Fensterkurbel bescherte) wurden wir auf der Autobahn um etliche Euro Mautgebühren ärmer (denn „zufälligerweise“ war jedes Mal die Ausfahrt direkt vor der Mautstation gesperrt, sodass unwissende Autofahrende keine Chance hatten vorher abzufahren) bis es uns irgendwann zu bunt wurde und wir uns irgendwann einfach einen eigenen Ausweg verschafften… 😀

South-East-Peloponnes

Es war Anfang Mai 2021 und wir waren immer noch in Leonidio. Schon verrückt, wie das kleine Örtchen uns so in seinen Bann ziehen konnte. Aber irgendwie war auch immer etwas zu tun. Wir hatten gerade unsere Möbel fertig lackiert und montiert, da kamen auch schon Jakob und Lara aus Kyparissi zurück, um das griechisch-orthodoxe Osterfest mit uns zu feiern. In Leonidio werden in der Nacht von Samstag auf Ostersonntag traditionell Papierlaternen in den Himmel steigen gelassen. Dieses Spektakel wollten wir uns nicht entgehen lassen, auch wenn die Kombination aus trockener Natur und brennendem Material sicherlich zu hinterfragen ist (genauso wie wir das Abschießen von Feuerwerksraketen an Silvester kritisch sehen). Während wir im Festtagstrubel begleitet von Glockenläuten durch die geschmückten Gassen von Leonidio liefen und die um uns herum aufsteigenden, leuchtenden Himmelslaternen bestaunten, half Marco beim kontrollierten Auffangen von zwei herabstürzenden Ballons. Am Ostersonntag gab es traditionelles Osterbrot zum Frühstück. Lecker!

Nach dem Osterfrühstück wanderten wir zum Kloster Elonis, das in eine Felswand gebaut worden ist. Der Aufstieg war so schweißtreibend, dass wir uns an dem Wasserhahn vor dem Kloster erstmal eine Erfrischung gönnten. Kurz darauf schaute eine Nonne über die Mauer und rief etwas zu uns herunter. Sind wir etwa zu laut gewesen? Marco und ich gingen die Treppe hoch und da kam sie auch schon mit Obst und den zu Ostern traditionell rotgefärbten Eiern auf uns zu und drückte uns die Verpflegung in die Hand, während sie auf griechisch fröhlich plapperte. Ein Geschenk vom Himmel! Wir teilten unsere Beute mit den anderen und klopften später nochmal an die große Holztür, um einen Blick ins Kloster zu werfen. Prompt wurde uns eine Schüssel mit Süßigkeiten hingehalten. Ein Rollerfahrer aus dem Ort huschte auch gleich mit hinein (er brachte der Dame wohl etwas vorbei) und während wir den Innenhof besichtigten, telefonierte die niedliche Nonne lautstark mit einem Handy. So eine liebe Frau. Sie scheint gut vernetzt zu sein.

Wir wollten ein letztes Mal zu viert klettern gehen, bevor sich unsere Wege vorerst trennen sollten. Unser geliebter „Mini Canyon“ war der perfekte Schattensektor für das mittlerweile heiße Wetter im Mai. Am späten Nachmittag brauchten wir nur die Straße überqueren und schon waren wir am Sektor „Cool at the Pool“ direkt am Meer. Ein Zweierteam konnte hochsteigen, die anderen konnten baden gehen. Leonidio, was bist du doch für ein Kletterparadies! Ein Restaurantbesuch setzte diesem schönen Abschiedstag dann noch die Krone auf, da die Gastronomie in Griechenland nach monatelangem Lockdown endlich wieder öffnen durfte. 

Am nächsten Tag zogen Marco und ich los, um den dritten Finger der südlichen Peloponnes zu erkunden. Nach zweieinhalb Monaten Leonidio verließen wir unsere liebgewonnene Kletterstadt nicht ohne uns noch schnell eine AMKA Nummer beantragt zu haben, die wir für eine COVID-Impfung in Griechenland benötigten. Es war schön wieder unterwegs zu sein. Hier kommt „unser“ Südosten der Peloponnes in Bildern:

Pavlopetri Beach

Petrified Forest

Monemvasia

Klettern am Vlychada Beach

Gerade als wir in Kyparissi ankamen, wo wir eigentlich noch ein paar Tage klettern gehen wollten, bekamen wir die Bestätigung, dass unsere AMKA Nummern erfolgreich registriert worden sind. Da die Impfungen für uns eine persönliche Voraussetzung zum Weiterreisen waren, blieben wir nur auf einen Kletter-Quickie in der süßen Hafenstadt und fuhren erneut zurück nach Leonidio. Zwei Tage später wurden wir mit Astrazeneca geimpft.

Leonidio Climbing Crew

Ein Virus hat zugeschlagen. Das Klettervirus. Es hat uns Ende Februar 2021 eiskalt erwischt als wir nichtsahnend nach Leonidio fuhren, um eigentlich nur ein paar Tage lang unsere Berliner Freunde zu besuchen. Hätten wir geahnt, dass uns dort eine selbstgewählte Kletterquarantäne erwarten würde… okay, wir wären trotzdem hingefahren! Zweieinhalb Monate am Stück wurde Leonidio unser Wahl-Zuhause voller intensiver Erfahrungen. Zu Beginn nahmen Rosi und Fritz (die schon oft in Leonidio waren) uns sozusagen an die Hand. Nach ein paar entspannten Outdoor-Treffen an Stränden und auf diversen Dachterrassen wollten wir den beiden mal beim Klettern zuschauen – und fanden uns plötzlich im Klettersektor „La Maison de Chevre“ am Seil hängend (in „Toprope“) an der Wand wieder. Ich glaube, wir haben es bei unseren ersten Kletterversuchen nicht mehr als zwei Meter den Fels hoch geschafft. Aber es fühlte sich gut und irgendwie aufregend an. Schon waren wir angefixt und entschieden uns wenige Tage später dazu, einen Kletterkurs zu machen. Beim wärmstens empfohlenen weltreisebesten Klettertrainer, der ein Jahr zuvor quasi extra für uns aus Spanien nach Griechenland eingereist ist. Sergi, unser Coach!

Mitte März war es dann soweit und wir starteten unseren 4-tägigen Intensivkurs mit Sergi. Am ersten Tag lernten wir am „Cave of Panagia“ in Toprope das Sichern, Einklippen und den Achterknoten. Danach brauchten wir erstmal einen Tag Pause! Am zweiten Kurstag kletterten wir bei den „Twin Caves“ bereits im Vorstieg, jedoch noch doppelt abgesichert (d.h. mit einem zweiten Seil in Toprope). Am dritten Tag lernten wir im Sektor „Aresos“ das Umbauen und am vierten Tag machten wir in „Kokkinovrachos Main“ unser Kletterdiplom. Miger and Rocky were born! Wir waren super motiviert, deshalb kauften wir uns gleich am nächsten Tag nach dem Intensivkurs (Sergi verabschiedete sich mal eben schnell nach Bosnien zum Bolten) im Panjika Shop eine komplette Kletterausrüstung. Dann waren wir auf uns allein gestellt, zogen los und machten uns mit unserem neuen Equipment vertraut. Ein paar Ziegen leisteten uns Gesellschaft. Die folgenden Tage und Wochen waren wir mit unserem neuen Kletterhobby gut beschäftigt. An den Abenden trafen wir gerne unsere Freunde, grillten zusammen Fisch und schmarotzten hin und wieder eine warme Dusche.

Wir führten die ersten „Office Tage“ ein, um einerseits wieder etwas mehr Struktur in unser Reiseleben zu bekommen und um andererseits auszuprobieren, ob es für uns grundsätzlich möglich (und erwünscht) wäre von unterwegs aus zu arbeiten. Ein „Office Tag“ bedeutete acht Stunden konzentriertes Arbeiten im Bus am Laptop. Pro Woche haben wir zwei solcher Tage durchgezogen. Gegen Monatsende wurde es nochmal richtig kalt und da fiel es nicht schwer, tagsüber bei Schneeregen im geheizten Bus am Laptop zu sitzen. Ob das an schönen Sommertagen auch klappen würde? Einen Tag später strahlte an meinem Geburtstag zum Glück wieder die Sonne und wir konnten sogar in T-Shirts klettern gehen. Abends stießen wir bei Fritz und Rosi auf meinen Geburstag an, Marco bekochte uns. Ich war ganz gerührt von so vielen lieben Glückwünschen und durfte sogar ein Geschenk von unserem gemeinsamen Freundeskreis öffnen. Das war so eine gelungene Überraschung! Dann hieß es langsam Abschied nehmen, denn Rosi und Fritz mussten Anfang April nach Berlin zurück. Wir hatten noch einen richtig lustigen Grillabend am Fokiano Beach und denken gern an die gemeinsame Zeit in Leonidio zurück. Lang blieben wir jedoch nicht allein, denn Jakob kündigte sich an und brachte mit Lara eine neue (und uns auf Anhieb sympathische) Bekanntschaft mit. Die beiden hatten Kletterschuhe dabei. Perfekt, von da an waren wir ein spitzenmäßiges Anfängerteam. 

Nach anfänglichem Aprilwetter mit Regen und Nebel wurde der Monat doch überwiegend sonnig. Im trockenen Flussbett am Meer gründeten wir mit Jakob und Lara eine Outdoor-WG. Gemeinsame Office Tage, Spaziergänge, Lagerfeuer, Stadtbesuche und natürlich jede Menge Kletterausflüge gehörten zum WG-Leben dazu. Vangelis („Tomorrow climbing? After after?“) brachte uns gelegentlich Obst und Gemüse. 

Unser Kletterequipment teilten wir erstmal zu viert bis sich Jakob und Lara nach und nach eigene Ausrüstung besorgten. Lara brachten wir das Sichern bei (und Jakob ihr später auch das Vorstiegsklettern). Marco bekam einen Kletterburnout (oh ja, das Hamsterrad schlägt auch auf Reisen zu), deshalb fingen wir an, uns wieder vermehrt um andere Sachen zu kümmern, bestellten Holz zum Möbelbau und frischten im Krankenhaus Standard-Reiseimpfungen auf.

Irgendwann gegen Ende April verbannte uns die Polizei ganz freundlich aus dem Flussbett („Only parking for 24 hours“ – glücklicherweise hatte sich drei Wochen lang niemand bei uns beschwert). Natürlich folgten wir dieser Aufforderung sofort. In den Klettergebieten war wenig los, so konnten wir sogar ein paar Nächte bei den „Twin Caves“ stehen. Marco und ich holten zum vereinbarten Termin bei der Werkstatt die Holzboxen ab, die unsere neuen Sitzmöbel werden sollten. Es war niemand da (nur der schmusige Wachhund), also riefen wir die angeschriebene Telefonnummer an. Der Tischler erklärte uns, dass die Boxen vor der Tür stehen und wir sie einfach mitnehmen können. Bezahlen sollen wir dann an einem anderen Tag. Cooler Typ. Leider war er bis zum griechischen Osterfest komplett ausgebucht, sonst hätten wir noch mehr bei ihm in Auftrag gegeben. So wechselten wir zur anderen Tischlerei im Ort und ließen uns dort noch eine Schublade anfertigen. Diesmal gerieten wir an einen temperamentvollen Geschäftsmann. Der Holzbau war fertig, die Bretter wollten aber noch lackiert werden. Wir ließen uns von unserer Klettercrew mitreißen und fuhren nach Kyparissi, merkten aber schnell, dass Lackieren auf acht Quadratmetern und gleichzeitige Kletterausflüge nicht funktionierten. Also ging es für die Schleif- und Lackierarbeiten zurück nach Leonidio. Während Marco seine ersten Bewerbungsgespräche per Videocall hatte, freute ich mich über kletterspezifische Yoga-Sessions mit zwei erfahrenen Yoga-Lehrerinnen auf der Dachterrasse nebenan.

Mani Meditation

Ein toller Stellplatz-Tipp von Freunden war Mitte Februar 2021 die Felsenküste kurz vor Areopoli. Küstenromantik trifft Frühlingszauber. Und dennoch wollte bei mir nicht so richtig Stimmung aufkommen. Ich war ziemlich verkopft und Marcos Kommentar („Stell dir mal vor wie schön das hier im Sommer sein wird, dann könnten wir wieder hierhin fahren“) hat bei mir statt Freude eher Frust ausgelöst. Im Sommer immer noch in Griechenland sein?! Ich meine, klar wir sind da in so eine Pandemie reingerutscht. Natürlich kann unsere Reise nicht wie ursprünglich geplant laufen. Und ja, es ist wunderschön in Griechenland. Aber manchmal macht ungewollter Stillstand echt miese Laune. Nach einigen Tränen auf meiner Seite und langen tiefgehenden Gesprächen hat Marco es geschafft mich wieder aufzumuntern. Danke, dass du immer für mich da bist, mein Schatz!

Auch wenn die „große Reise“ nicht weitergeplant werden konnte, wollten wir zumindest die nächsten Wochen ein bisschen durchplanen. Auf dem Baggerhügel bei Kelefa (so haben wir ihn genannt, weil neben uns ein Bagger stand) setzten wir uns mit Laptop und Garmin Navigationsgerät hin und legten gemeinsam unsere nächsten Wegpunkte fest. So eine Auswahl an Zielorten basiert manchmal aufgrund von Recherchen (Wo kann man gut wandern? Was gibt es in der Gegend an Sehenswürdigkeiten? Wo ist der nächste Was-auch-immer?) und manchmal entscheiden wir uns aus dem Bauch heraus (z.B. weil der Ort auf dem Satellitenbild interessant aussieht). Letzteres führt nicht selten zu Überraschungen und manchmal auch in eine Sackgasse. Der Wald auf der Mani war so ein Fall und endete nach wilder Waldfahrt mit einer Übernachtung im Nirgendwo (das rostige Kinderfahrrad neben der Hütte im Wald sah übrigens echt gruselig aus).

Die nächsten beiden (besser durchdachten) Wegpunkte waren Porto Kagio (Tipp von Jürgen, toller Meerblick!) und Kap Tenaro (der südlichste Zipfel der Mani). Auf der Wanderung zum Leuchtturm vom Kap Tenaro begleitete uns ein aufgewecktes Hündchen. Ich liebe es, wenn wir Hundebesuch bekommen! Auch Waldrian bekam Gesellschaft von einem hübschen Düdo. Mit dem sympathischen Besitzerpärchen quatschten wir noch eine ganze Zeit lang auf dem Parkplatz.

Von der Südspitze der Mani fuhren wir die Ostküste des „mittleren Fingers“ hoch und fanden einen traumhaften Stellplatz an einer Kapelle bei Skoutari. Dort blieben wir drei Nächte und machten, was wir halt so machen. Meine persönliche Erkenntnis: Man muss nicht immer etwas tun, manchmal reicht es auch einfach nur zu sein. Bei mir ist in diesen Tagen sehr viel im Kopf passiert, ich habe meine Gelassenheit wiederentdeckt und mich dem Unbekannten bewusst geöffnet. Klingt jetzt irgendwie nach „Ich tanz meinen Namen“, aber am Ende ist es ziemlich simpel: Eine positive Grundeinstellung führt zu positiven Gefühlen.

An Tagen ohne Erwartungen ergeben sich oft die besten Dinge. Aus heiterem Himmel meldet sich Rosi bei mir. Sie ist mit Fritz in Leonidio – also quasi um die Ecke – und es wäre doch toll, wenn wir uns sehen. Pläne sind da, um geändert zu werden. Also verschieben wir die jüngste Routenplanung auf einen späteren Zeitpunkt und fahren auf direktem Weg nach Leonidio, um unsere Freunde zu besuchen. Um es vorweg zu nehmen – wir blieben letztendlich mehr als zwei Monate in Leonidio und lernten dort klettern!

Einen besonderen Zwischenstop auf dem Weg ins Kletterparadies wollten wir uns allerdings nicht entgehen lassen: Das Schiffswrack Dimitrios bei Gythio. Wir hatten schließlich eine Mission: Den Latzhosenmann finden und ihm ein Foto überreichen, das unsere Freunde Patrick und Jenni bei ihrem letzten Griechenlandurlaub von ihm vor dem Schiffswrack gemacht haben. Ankunftstag: Keine Spur von der Latzhose, bei der Hippie-Behausung sind die Schotten dicht. Nächster Morgen: Latzhosentyp spaziert mit Hund vorbei, wir liegen aber noch im Bett. Besuch beim violett gestrichenen Hippie-Haus nach dem Frühstück. Diesmal erfolgreich. Einladung zum Tee bei Joli und Mali am Nachmittag. Mali hat leckeren Kirschkuchen gebacken, wir bestauenen Jolis Handwerkskunst (www.joli-unikatschmuck.com) und führen tolle Gespräche mit den beiden bis in die Abendstunden. Abfahrtstag: Joggen, Stranddusche, Runa schützt das Kröten Biotop (rettet die Kaulquappen!), Luke hilft, Marco recherchiert für unsere Gesundheit, herzlicher Abschied von Joli und Mali, wir bekommen Ableger geschenkt (die Pflanze entwickelt sich seitdem in unserem Cockpit prächtig!) und besichtigen den Buddha-Bus. So eine außergewöhnliche und bereichernde Begegnung. Joli und Mali, wir werden noch oft an euch und eure inspirierenden Geschichten denken!

Februar Frühling

Die vierte Woche am Kalamata Tennis Club brach an. An einem regnerischen Montagmorgen (wir schreiben den 1. Februar 2021) schafften wir den Absprung und verabschiedeten uns von Jakob, der uns einen tollen Stellplatz empfohlen hatte. Auf diesem besagten Hügel bei Kalianeika machten wir es uns für drei Nächte bequem. Ich genoss das immer besser werdende Wetter am Nähtisch draußen, wohingegen Marco gefühlt tagelang drinnen im Bett an seiner Fitnessapp rumprogrammierte. Sportliche Spaziergänge und Sportübungen sorgten für den körperlichen Ausgleich und mit seinem ersten Benchmark Run läutete Marco den Beginn seines regelmäßigen Lauftrainings ein. Am dritten Abend bekamen wir Besuch von einem Schweizer Radreisenden. Wow, ich ziehe meinen imaginären Hut vor Leuten, die „nur“ mit Lastenrad und Zelt unterwegs sind. Näher an der Natur kann man fast gar nicht sein. Da leben wir in unserem Bus im puren Luxus. 

Als das Wetter beständig genug war wollten wir endlich mal wieder wandern gehen. Unser Ziel: Die spektakuläre Rindomo-Schlucht. Zusammen mit Jakob machten wir uns auf den Weg und folgten einem trockenen Flussbett, das anfangs noch flach war und uns später mit einigen Kletterpassagen über große Felsbrocken viel Vergnügen bereitete. Irgendwann rückten die Wände näher und wir fanden uns in der kühlen und dunklen Schlucht wieder. Fasziniert von den Wassertropfen, die rhythmisch auf uns runterrieselten entdeckten wir über uns eine alte Brücke und kamen nur knapp an einem Wasserfall vorbei, der an der engsten Stelle der Schlucht kraftvoll auf den Boden prasselte.

Am nächsten Tag machten wir noch einen Abstecher zu einer Dorfruine. Bei unserer Ankunft im anliegenden Ort erzählte uns ein Einheimischer, dass dort gerade Dreharbeiten stattfinden und wir am besten noch kurz warten sollten. Kurz darauf kamen uns etliche Autos mit dem (teilweise noch verkleideten) Filmteam entgegen. Die Outfits sahen sehr mittelalterlich aus. Im zerfallenen Dorf waren wir dann schließlich fast allein und Marco nutzte die Gelegenheit zum Geocachen.

Auch wenn wir eigentlich schon längst hätten weiterfahren wollen, ging es ein letztes Mal zurück nach Kalamata (home, sweet home), um Jürgen zu verabschieden. Überraschenderweise stellte er uns die hübsche Charly vor. Nein, keine neue Frau an seiner Seite, sondern eine liebenswerte Hündin, in die er sich während seiner ehrenamtlichen Arbeit im Tierheim verliebt hat. Auf Wiedersehen und viel Spaß mit deiner neuen Flamme, lieber Jürgen! Am Ende blieben wir dann doch nochmal eine ganze Woche am Kalamata Tennis Club. Unsere wöchentlichen Highlights waren Lachs mit Teriyaki Sauce, das erste „Videosaufen“ mit unserem Berliner Freundeskreis und Marcos erster 5-Kilometer-Lauf (RESPEKT – vor allem wenn man bedenkt, dass er einen Monat vorher keine 10 Minuten am Stück durchgehalten hat… und mittlerweile läuft er mir beim gemeinsamen Joggen davon!). Am Tag unserer Abfahrt bekamen wir noch Salz geschenkt von einem netten Typen, der in seinem Kurzhauber lebt und eine Badewanne hinten auf seinem Gepäckträger dabei hat. Als der Messertyp vom Elea Beach sich zwischen Jakob und uns stellte, machten wir uns ganz schnell fahrbereit. Goodbye, Kalamata!

Wir waren wieder „on the road“, bestaunten den Foneas Beach und Kataphygi und setzten uns als neues Ziel, die Peloponnes zu umrunden (man braucht ja immer Perspektiven im Leben). Rein zufällig landeten wir nach einer Bergfahrt auf einem Kirchplatz, der so idyllisch aussah, dass wir den Rest des Tages dort bleiben wollten. Es blühte überall (Mitte Februar bitteschön!) und kurz darauf entdeckten wir beim Spazierengehen ein wunderschönes Amphitheater. Die perfekte Kulisse, um den Tag ausklingen zu lassen.

Kalamata Tennis Club

Der Januar 2021 hat Bewegung in unseren Reisealltag gebracht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Jedoch nicht in Form von gefahrenen Kilometern, sondern in Form von sportlicher Aktivität. Dabei hatten wir uns für das neue Jahr gar keine Vorsätze gemacht. Aber der Körper sagt einem ja, was er braucht. Ich startete zunächst mit täglichen Spaziergängen, man soll ja schließlich klein anfangen. Auf dem Berg über Kalamata konnte ich Marco sogar dazu motivieren mitzukommen, aber oftmals spazierte ich in den kommenden Wochen auch allein los. 

Motivation ist im Reisealltag so eine Sache. Ohne geregelten Tagesablauf muss ich mich nunmal selbst motivieren, Dinge zu tun und Aufgaben zu erledigen. Könnte ich ja auch morgen machen. So schön das süße Nichtstun auch ist, wir hatten nach den vielen Feiertagen genug davon und sehnten uns nach Organisation und Struktur in unserem Leben. Sichtbare Erfolge mussten her, also führten wir ein Kanban Board ein, dass seitdem unsere Kühlschranktür ziert. Ein super Tool, um Aufgaben zu visualisieren. Da machen simple Dinge wie „Klo leeren“ doch gleich viel mehr Spaß, wenn danach das Kärtchen von der To-Do-Seite auf die Erledigt-Seite wandern darf.

Wo wir schon beim Thema Klo sind. Eine der eher unliebsamen Aufgaben war es einen neuen Klolüfter zu bestellen, weil unser alter kaputt gegangen ist. Unsere Kompost-Trocken-Trenn-Toilette riecht wirklich gar nicht. Vorausgesetzt der Lüfter läuft. Wenn nicht… naja, ihr könnt euch bestimmt vorstellen, dass wir es mit dieser Bestellung sehr eilig hatten. Bei der Post in Kalamata erfuhren wir, dass unser Paket in Koroni liegt. Also schnell nach Koroni zurückgefahren, Lüfter abgeholt, Gyros im Brot gegessen und ab ins Bett. Morgens fiel uns auf, dass wir am Hafen direkt neben einem ausrangierten Motor standen, der auch in unserem Düdo verbaut worden ist. Rest in peace! Ein ausgedehnter Tagesspaziergang führte uns zu Koroni’s Castle. Wir waren von der Burganlage echt begeistert, da hat sich die Extrafahrt nach Koroni doch gelohnt. 

Wieder in Kalamata angekommen, fanden wir einen praktischen Stellplatz am Meer. Die Schotterfläche hinter einem Tennisplatz war zwar nicht besonders hübsch, aber für ein paar Erledigungen in der Stadt sollte es reichen. Wir mussten Wäsche waschen und planten dafür zwei bis drei Tage ein. Manchmal sind es die unscheinbaren Orte, die einen auf ihre eigene Art und Weise fesseln. Aus drei Tagen wurden drei Wochen. Wir fielen in ein Zeitloch und waren plötzlich am Kalamata Tennis Club zu Hause.

Woche 1 im Schnelldurchlauf: Burgeressen, Zoomdates mit Freunden, Hafenwalks, Wartungsarbeiten am Bus, Kosmetikroutine, Ölwechsel, Baumarktversuch gescheitert, Geschäfte noch geschlossen wegen Lockdown, Wäsche, Werkstatt, Tachowelle, Bremsenprüfstand, Hafendusche, Kofferraum Aufräumaktion, Hausputz, Hecktüren, Paketabholung, Planung der nächsten Tage wegen Kälteeinbruch, fast wären wir aufgebrochen, dann kommt überraschenderweise Jürgen, Wiedersehensfreude, okay bleiben wir halt noch eine Nacht, Jakob kommt auch dazu, Wochenmarkt, Fahrradtour, Blogbeiträge, Motorkram, Weinrunde bei Jürgen.

Woche 2 im Schnelldurchlauf: Geschäfte haben wieder geöffnet, Einkaufstag bei Praktiker, Frühstück in der Stadt (geiler Bäcker), Stadtbummel, Runa geht joggen, Marco repariert den Anlasser, Outdoor/Indoor-Werkstatt, Spaß mit den Strandhunden, die Kölner kommen ebenfalls zu Besuch, Stammrunde bei Jürgen, Marco verliert Kontaktspraydose und bindet Runa in die Suche ein, Busauseinandernehmen, Sitzgelegenheitenplanungsaktion, Joggen, kurzes Meerbad, warme Dusche, Regentag, Marco werkelt, Runa näht.

Woche 3 im Schnelldurchlauf: Fahrradtouren, Smartwatch bestellt, die ultimative Motivation für Marco auch mitzujoggen, erster gemeinsamer Lauf mit Schwierigkeiten, Wäscherei, Paketabholung, Ersatzteil für die Anlasserreparatur ist da, Sonne, Regen, Regenbogen, Anlasser läuft, wir sind wieder fahrbereit, Testfahrt, Wasserholen, Behmes Apfelkuchen, Haarschneidetag, zweites Mal gemeinsam joggen gehen lief besser, Katzenbesuch, Smartwatch ist da, Watchface Programmierung, Wochenmarkt, Schilderwald, Weinabend mit J&J.

Beste Feste 20/21

Der Jahreswechsel von 2020 auf 2021 hatte für uns in Griechenland ein Highlight nach dem anderen zu bieten. Dank mehrwöchigem Quarantäne-Camp im November am Elea Beach, konnten wir mit unserer Wahlfamilie auch im Dezember und Januar die Reisegemeinschaft (RG) bedenkenlos fortführen. Zwischenzeitlich wurde unsere RG zu einer WG und später sogar zu einem Co-Working-Space. Dann fusionierten wir wieder zu einer SG (Strandgemeinschaft) bis sich unsere Wege vorerst trennten, um an einem anderen Strand wieder zusammenzufinden. Aber ich fange mal lieber von vorne an.

Kurz vor Weihnachten befanden wir uns auf dem Jakobsweg. Naja, mit dem Jakob auf dem Weg… also unterwegs mit Jakob… nennen wir es einfach „Jakob’s Reisen“. Gemeinsam erkundeten wir eine Kapelle zwischen Olivenhainen, kochten unser Lieblingsmoussaka, begleiteten Jakob per Walkie-Talkie bei einer Wanderung (genau, Marco und ich sind an dem Nachmittag faul im Bus geblieben), folgten Jakob in wilder Fahrt auf einen Berg hinauf und stiegen dort oben in ein verlassenes Kloster ein (naja, also es gab einen Hintereingang und ja, die Gebeine, die wir dort fanden, jagten uns einen gehörigen Schrecken ein).

Nun stand Weihnachten kurz vor der Tür. Unser erstes Weihnachten weit weg von unseren Familien. Ich habe richtig doll Heimweh bekommen (da halfen auch keine Schnapspralinen mehr), freute mich auf der anderen Seite aber auch auf das Abenteuer „Weihnachten am Strand“. Was hilft gegen Heimweh? Eine gewohnte Umgebung (zurück zum Elea Beach, check!), im Kreise gewaltig netter Menschen (Wiedersehen mit unserer Lockdown-Truppe, check!) und zu Weihnachten natürlich ganz gewöhnliche Weihnachtstraditionen (Weihnachtsbaum, Weihnachtslieder, Weihnachtsessen, check!). Das Ganze bei Sonnenschein und einer Außentemperatur von 21 Grad, großartig!

Und schwupps, war Weihnachten auch schon wieder vorbei. Kurzer Abschied (man sieht sich ja sowieso bald wieder) und ab zum nächsten Abenteuer – Wandern im Regenschauer („Walking in the rain“). Das erste Drittel von der Wandertour war noch ganz lustig, aber irgendwann wurde es neutral bis unangenehm. Von den Neda Wasserfällen haben wir nur das kleine, eher unspektakuläre Wasserfällchen gesehen und erst auf dem Rückweg gerafft, dass es eigentlich noch einen großen Wasserfall gibt. Nächstes Mal vielleicht. Dank Standheizung konnten wir immerhin unsere Klamotten trocknen und spätestens als uns auf der Weiterfahrt ein Hundewelpe entgegenkam, den wir mit Futter versorgten, hatte ich wieder gute Laune. Aus dem Cockpit heraus sah das Regenwetter sogar ziemlich romantisch aus und bei unserer Ankunft in Koroni strahlte der Himmel endlich wieder blau.

Von einem Fest zum nächsten. Silvester war für uns etwas Besonderes, denn die Kölner luden uns und den Rest unserer Lockdown-Familie (zumindest der Teil, der noch in Griechenland war) in ein Ferienhäuschen ein. Nach einem Dreivierteljahr Busleben fühlten sich vier Wände (vier „echte“ Wände) irgendwie merkwürdig an, aber irgendwie auch gut. Von der warmen Dusche will ich gar nicht erst sprechen. Waldrian wurde zum privaten Schlafzimmer mit Meerblick und die große Wohnküche zum geselligen Treffpunkt unserer Reise-WG. Bereits am ersten Abend mit Rotwein und Scotch am wärmenden Kamin wurde es richtig heimelig. Am Silvesternachmittag traf auch der Rest unserer kleinen Truppe ein und wir feierten das vergangene Jahr mit einem üppigen Silvesterbüffet. Auf das neue Jahr stießen wir gleich zweimal an – einmal zur griechischen Zeit und noch einmal (eine Stunde später) zur deutschen Zeit.

Leicht verkatert, dennoch tiefenentspannt wachten wir am Neujahrstag bei schönstem Wetter auf. Eine gemeinsame Wanderung am Nachmittag brachte unseren Kreislauf in Schwung und die Reste von Silvester verspeisten wir zum Sonnenuntergang auf der Terrasse. Ein gemütliches Lagerfeuer bildete den krönenden Abschluss vom ersten Tag des Jahres. Willkommen 2021. Die folgenden Tage lebten wir ein ruhiges, harmonisches WG-Leben mit Spaziergängen, Spielrunden, Kochabenden, Laptoparbeiten im „Co-Working-Space“ und dem einen oder anderen Gläschen Aperol Spritz (Resteverwertung von Silvester). Tausend Dank an unsere lieben Gastgebenden für diese tolle Ferienwoche.

Man soll die Feste feiern wie sie fallen. Und zufälligerweise fielen die Geburtstage von J&J (Jakob und Jürgen) beide auf Anfang Januar. Also gleich zwei gute Gründe zum Anstoßen. Jamas! Bei unserer Ankunft am Vorabend verbuddelten wir uns direkt im Sand, sodass wir die erste Nacht in Schräglage schliefen. Gar kein Problem. Am nächsten Morgen nutzte Marco das Rausschaufeln als Frühsport. J&J waren so lieb und luden die Reise-WG nicht nur zu Kaffee und Geburtstagskuchen, sondern auch zu einem extrem leckeren Abendessen mit Grillgemüse und griechischen Köstlichkeiten ein. Ein Hoch auf die Geburtstagskinder. Nach so viel Programm und Feierei fuhren wir erstmal allein weiter. Doch es sollte nicht der letzte Strand gewesen sein, an dem wir unsere lieben Freunde noch treffen würden.

Corona-konformes Reisen

Nach der Ebbe kommt die Flut, nach der Ruhe kommt der Sturm, nach dem Lockdown ist vor dem Lockdown bzw. hört er gar nicht erst auf. Was tun? Im Dezember 2020 hatten wir nach knapp 5 Wochen Stillstand genug vom Elea Beach und wir brauchten dringend einen Tapetenwechsel. Also bauten wir unser Camp ab, machten Waldrian wieder mobil, schnappten uns unsere Mitbewohner Jürgen & Jakob (aka J&J) und fuhren im Konvoi zur Ochsenbauchbucht (auch Ochsendingsbucht genannt). 

Was soll ich sagen. Selbst bei Regenwetter war die Ochsenbauchbucht am Voidokilia Beach ein faszinierender Ort und wir konnten uns dort ein paar Tage mit ausgiebigen Spaziergängen und Wanderungen beschäftigen. Ich lasse mal die Bilder für mich sprechen (das Aussortieren fiel mir schwer, deshalb sind es hier ein paar mehr Fotos geworden).

Der Regen hörte nicht auf, so wurde es Zeit weiterzuziehen. Wir fuhren zum Wäschewaschen nach Pylos, aßen dort zwei oder drei Mal Gyros im Fladenbrot zum Mitnehmen (nach mehrwöchiger Fleischabstinenz ein Hochgenuss), fuhren als Reisegruppe im Konvoi weiter nach Methoni, flanierten um die Burg herum, besuchten Lockdownfreunde in Finikounda, steckten mal kurzzeitig in matschigen Pisten fest und wanderten an steilen Felsküsten entlang.

Endlich ließ sich auch wieder die Sonne blicken, was Marco und mich dazu bewegte auf eigene Faust weiterzufahren. Unsere Reisefreunde wollten wir spätestens zu Weihnachten wiedersehen. Doch erstmal genossen wir ein paar Tage in wundervoller Zweisamkeit.

Beim Wandern blieben wir jedoch nicht lange zu zweit. Zwar lief uns in den Bergdörfern kaum eine Menschenseele über den Weg, aber dafür hatten wir sehr viel Spaß mit tierischen Begleitern.

An einer Kapelle bei den Polylimnio Wasserfällen begegnete uns sogar eine Schildkröte. Die Abende verbrachten wir zusammen mit dem Känguru. Welches Känguru – fragt ihr euch? Na, DAS Känguru. Überzeugter Kommunist und Mitbewohner von Marc-Uwe Kling. Nach so viel tierischer Unterhaltung freuten wir uns dann aber doch darüber, dass Jakob bei den Wasserfällen wieder zu uns stieß. Und so verbrachten wir die Tage kurz vor Weihnachten zu dritt.

Lockdown Camp

Plötzlich stand die Welt für uns still. Der Elea Beach wurde im gesamten November 2020 und zu großen Teilen auch im Folgemonat unser permanentes Zuhause. Wie fühlt sich so ein Lockdown in Griechenland an? In den ersten Wochen ziemlich aufregend, schließlich war das für alle „Gestrandeten“ eine neue Situation. In den weiteren Wochen und Monaten folgten für uns auch ernüchternde Momente und weniger spektakuläre Zeiten. Der Lockdown hat bis heute das Land fest im Griff, auch wenn einige Maßnahmen inzwischen gelockert worden sind. Dennoch können wir uns mit den landesweiten Einschränkungen gut arrangieren und sind unglaublich dankbar darüber, so viel Zeit bei mildem Klima in der Natur verbringen zu dürfen.

Aber zurück zum Elea Beach, unserer temporären Wahlheimat. Ein ganz besonderer Ort mit scheinbar endlosem Sandstrand, Pinienwäldern, Wiesenflächen, Dünen und klarem Meerwasser. Ein Ort, den es zu schützen gilt. Die meiste Zeit im Jahr bietet der Platz sogar eine kleine Infrastruktur mit Trinkwasser, Outdoor-Dusche, Gemüsestand und Brötchenlieferwagen. Nicht zuletzt lebt der Ort von der Gemeinschaft und einer spannenden Dynamik, die entsteht, wenn Reisende auf Dauercamper und Einheimische treffen. Elea Beach, du hast uns verrückt gemacht mit deinen speziellen Charakteren und Beziehungskisten, mit Buschfunk und Gerüchten, die in die Welt gesetzt wurden. Ich könnte stundenlang Geschichten darüber schreiben, was alles passiert ist, wer was erzählt hat, wie das miteinander zusammenhängt, wieso, weshalb, warum. Aber das würde definitiv den Rahmen sprengen. Außerdem wären das reine Spekulationen meinerseits. Und überhaupt möchte ich an dieser Stelle so unpersönlich wie möglich bleiben. Ist ja schließlich das Internet hier.

Um euch trotzdem einen amüsanten Einblick in unseren Lockdown-Alltag zu gestatten, bleibe ich bei den nachfolgenden Ausführungen stichpunktartig und abstrakt.

Ganz besonders ins Herz geschlossen (mit 2 Meter Mindestabstand natürlich) haben wir unsere Elea Gang: Die Mädels, J&J, das Blaubärpärchen, das Bullipärchen, die Kölner und (last but not least) unsere tierischen Freunde Rosi, Struppi und Jamas.

Zentrale Nebenrollen haben gespielt: Der Gemüseverkäufer, der Brötchenmann, die Hundelady, der Präsident und alle „Friends of the beach and the forest“, die Polen mit ihrem Kater, ein Pole mit einer Machete (aka „der Messertyp“), ein paar Engländer und Franzosen, die Prollogruppe, die Katzenfamilie, der Weihnachtsmann. 

Highlights der Woche 1: Quarantäne-Einkauf, Polizeidrohnen, Turtle-Geschichte, Camp-Aufbau (Steingarten, Lampen, Schachbrett, Tetraederpyramide), Kölner Karneval, Arabisches Dinner.

Highlights der Woche 2: Pfannkuchen, Vogelbeerdigung (R.I.P.), Walkie Talkies, reifer Pfirsich, Shakshuka Battle, Fernsehteam, TV-Interview, Krisenmeeting, Hundefutter.

Highlights der Woche 3: Schlagermusik, Wassermanipulation, SUP Board, Crêpes, Gemeinschaftsdinner mit Gitarre und Singen, Bananenpancakes, Räucherstunde, Einkaufsfahrt.

Highlights der Woche 4: Sehr viele Katzen, Wanderung, Bootswrack, Tornadosonnenuntergang, Basalt-Schnaps, Paketlieferung, Müsli-Revolution, Schaukel, Thermalquelle, Kaifal See.

Unsere „All-Time Favorites“ (in alphabetischer Reihenfolge): Aperol Spritz, Backen, Baden, Basteln, Beachvolleyball, Buskram, Gesellschaftsspiele (u.a. Halt mal kurz, Secret Hitler, Werwolf und Wizard), Kaffee und Kuchen, Kochen, Lagerfeuer, Laptopkram, Nähen, Sonnenuntergangfotos, Yoga.

Diesen Lifestyle haben wir knapp 5 Wochen am Stück „durchgehalten“. Eine lustige Zeit, dank unserer zusammengewürfelten Quarantäne-Familie. Eine lehrreiche Zeit, weil wir nicht vom Reisen „abgelenkt“ waren, sondern uns oft, lange und ausführlich mit uns selber beschäftigen durften. Eine unvergessliche Zeit, die meine positive Grundeinstellung gestärkt hat und mich mit deutlich mehr Gelassenheit auf unsere künftige Reise (inklusive Phasen des Stillstands) blicken lässt.

Ab in den Süden.

Wie Corona unser Reisetempo beschleunigte – ein Rückblick auf unsere ersten Wochen in Griechenland. Wir überlegten gerade auf dem mittleren Finger „Sithonia“ der Chalkidiki Halbinsel wandern zu gehen, als wir von der veränderten Situation in Thessaloniki hörten. Dort sollte es bereits einen Mini-Lockdown geben, weshalb wir unsere Pläne für den nördlichen Teil von Griechenland vorerst über den Haufen warfen und die Entscheidung trafen, ganz schnell in den Süden zu fahren (…“schnell“ ist bei unserem Tempo natürlich relativ). Wir wollten verhindern, dass ein landesweiter Lockdown uns einholt und wir im kalten Norden des Landes steckenbleiben. So ging es nach einer knappen Woche Chalkidiki auch schon zurück nach Thessaloniki, wo wir eine romantische Nacht auf dem Parkplatz von Goody’s Burger House gegenüber von IKEA verbrachten. Wir kamen nicht umhin uns Burger und Pommes zum Mitnehmen zu bestellen und verspeisten unser Candle Light Dinner im Bus. Es ist so unglaublich schön, das eigene Zuhause immer dabei zu haben. Selbst die Parkplatzrowdies, die nachts um 1 ihre Reifen auf dem freien Platz quietschen ließen, störten uns nicht. Ganz im Gegenteil genieße ich es auf der Reise immer mehr, ein Zuhause zu haben, das uns ständig an neue, spannende Orte führt und uns immer wieder andere, facettenreiche Ausblicke schenkt.

Es war Anfang November als wir den Weg Richtung Süden antraten. Wir fuhren die Ostküste entlang und suchten uns zum Übernachten einfach immer spontan einen Strand aus, der gerade in der Nähe war. Es reihten sich ein paar Fahrtage aneinander, doch wir nahmen uns auch genug Zeit zwischendurch zum Baden, Sport machen, Kochen (unten auf dem Bild: Griechischer Bohneneintopf). Marco holte an einem Tag sogar die Angel raus, machte jedoch keinen Fang. Manchmal schauten wir abends einen Film. Als wir am Olymp vorbeikamen, spielte das Wetter leider nicht mit, um den Berg zu besteigen. Also beschlossen wir stattdessen in Pilio wandern zu gehen und den Olymp auf das Frühjahr zu verlegen (wir werden ja noch eine Weile in Griechenland sein). Doch auch die Wanderpläne in Pilio mussten wir kurze Zeit später sausen lassen, da sich die Lage im gesamten Land zuspitzte und die „Lockdown Zone“ immer größer wurde.

Eine Nachmittagspause bei den Thermopylen gönnten wir uns trotzdem und hatten im Naturpool von den heißen Thermalquellen einen Riesenspaß. Endlich kam auch mal die Unterwasserfunktion von unserer Kompaktkamera zum Einsatz. Irgendwann bekamen wir Besuch von einer Familie aus dem Flüchtlingscamp von nebenan. Nach einigen Kommunikationsversuchen schafften wir es mithilfe von Sprachfetzen uns zu verständigen, zu lachen und zu scherzen. Ein unvergesslicher Nachmittag und durch diese Begegnung eine Erinnerung, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubert.

Durch die Fahrt zu den Thermopylen hatten wir es ins Landesinnere geschafft. Nach unendlichen Küstenstraßen war das eine willkommene Abwechslung für uns. Wir lieben Berglandschaften und können uns an Felsen und Steinen nicht satt sehen. Da wir in Griechenland zu dem Zeitpunkt noch nicht so viele Reisende kennengelernt hatten, freuten wir uns außerdem sehr, dass wir an unserem nächtlichen Stellplatz nicht allein blieben. Birgit und Claus gesellten sich mit ihrem Magirus-Deutz (ein beeindruckendes Reisemobil) zu uns und luden uns netterweise auf ein (paar) Gläschen Wein ein. Unser Kater am nächsten Morgen verriet uns, dass es ein paar Gläschen mehr waren. Wir ließen den Tag daher langsam angehen und ich setzte mich gemütlich mit dem Feldstecher in die Sonne und beobachtete aus der Ferne einige Hirtenhunde beim Ziegenhüten. 

Ein genaues Ziel für die Wintermonate hatten wir noch nicht. Klar war nur, dass wir den Winter auf der Peloponnes – das ist die handförmige Halbinsel im Süden des griechischen Festlands – verbringen wollten. Die Peloponnes kann über den Landweg entweder nördlich bei Patras oder östlich bei Korinth befahren werden. Wir entschieden uns für Patras, da wir somit den östlichen Corona-Hotspot um Athen herum vermeiden konnten. Beide Wege führten an Delphi vorbei. Die antike Ruinenstadt war perfekt für einen Nachmittagsausflug. Das dachten sich wohl auch Birgit und Claus, die wir auf dem Parkplatz wiedertrafen.

Wir hatten Glück, dass das Ausgrabungsgelände von Delphi, welches sich über 300 Höhenmeter am Hang erstreckt, für Besucher (natürlich mit Maskenpflicht) noch geöffnet war. Gleich zu Beginn zeigte uns ein netter Herr, der dort häufiger zu Besuch war, das Orakel. Die Weissagungsstätte befand sich seiner Angabe nach an einem (eher unscheinbaren) Stein, den wir ohne seine Hilfe sicherlich nicht wahrgenommen hätten. Der Apollontempel und das Theater hingegen bilden das Zentrum der antiken Stadt und waren nicht zu übersehen. Ein stimmungsvoller Ort zum Verweilen. Am höchsten Punkt vom Gelände erreichten wir nach einem sportlichen Fußmarsch das Stadion von Delphi. 

Völlig geflasht von der geschichtsträchtigen Atmosphäre und der mystischen Landschaft fuhren wir zum Übernachten runter an die Küste und freuten uns über eine funktionierende Stranddusche. Dann wurde es ernst. Es war Donnerstag und der landesweite Lockdown wurde offiziell für Samstag, den 8. November 2020, ausgerufen. So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr. Würden wir einen guten Stellplatz finden? Wir mussten davon ausgehen, wochenlang auf einem Fleck zu verweilen – also das genaue Gegenteil von unserem bisherigen Reisealltag. Neben Zugang zu Wasser und Lebensmitteln bestand unsere größter Wunsch darin, einen Ort zu finden, an dem wir nicht völlig vereinsamen werden. In den letzten Monaten hatten wir genug Plätze ganz für uns allein. Wir recherchierten und fragten bei unseren Reisebekanntschaften nach. Es gab mehrere Tipps, aber ein Ort hat uns ganz besonders neugierig gemacht: Elea Beach bei Kyparissia. Nach einer beinahe schlaflosen Nacht (ja, so aufgeregt war ich) und einer Morgendusche ging es los. Auf nach Elea!

Dass es für uns an die Westküste der Peloponnes ging, passte mit unserem Plan über Patras zu fahren prima überein. Statt der Autobrücke für 15 Euro wählten wir die Fähre für 11 Euro, um auf die Halbinsel zu kommen. Sehr zu empfehlen und Waldrian war ja inzwischen im Fährefahren schon geübt. In Patras haben wir den Nachmittag im Waschsalon verbracht. Einen Teil der Wäsche hängten wir ausnahmsweise im Bus auf, zu dem Zeitpunkt waren wir Trocknern gegenüber noch skeptisch (teilweise zurecht wie wir kürzlich feststellen mussten). Den restlichen Tag verbrachten wir am Steuer (150 Kilometer sind bei unserem Schneckentempo verdammt viel Strecke) und als die Dunkelheit bereits eingebrochen war rollten wir im Schritt-Tempo in den Pinienwald am Elea Beach.

Nicht wissend, was uns erwartet, waren wir auf alles gefasst. Wir dachten uns, entweder treffen wir auf gähnende Leere oder aber die Hölle ist los. Leise knirschten unsere Reifen über den dunklen Waldweg. Ab uns zu erblickten wir einzelne Wohnmobile, die zwischen den Bäumen versteckt standen und wie verlassen wirkten. Irgenwie gruselig. Ich fragte mich schon, ob wir hier richtig sind. Doch dann erblickten wir eine Freifläche und konnten unser Glück kaum fassen. Ein kleines Camp mit einem Mix aus bunten, alten Bussen lag vor uns und sah so einladend aus, dass wir sofort wussten: Hier bleiben wir. Vor einem der Busse saß eine kleine Gruppe, der wir uns prompt mit einem Gläschen Wein anschlossen und für den Abend sehr nett in Empfang genommen wurden. Oh, ja. Wir waren angekommen. 

Stadt, Strand, Griechenland.

Wie die Zeit vergeht. Vor drei Monaten sind wir in Griechenland angekommen mit dem erklärten Ziel, hier den gesamten Winter zu verbringen (was bisher auch echt verdammt gut klappt). Vor mehr als einem halben Jahr startete unsere Reise mit ausgiebigen Familienbesuchen in Deutschland und der Schweiz. Seitdem sind wir über Italien, Slowenien, Ungarn, Serbien und Bulgarien gefahren – bis wir schließlich gegen Ende Oktober die griechische Grenze erreicht haben. Vom reibungslosen Grenzübergang hatte ich ja schon im letzten Blogbeitrag berichtet. Ein paar hundert Meter hinter der Grenze zettelte Marco jedoch eine Diskussion über die Mautgebühren mit der Mitarbeiterin an der Schranke an (es ging ums Prinzip, da aufgrund von Corona nur ein einziger Grenzübergang geöffnet war und wir somit gezwungen waren ein kurzes Stück über die mautpflichtige Autobahn zu fahren bevor die erste Ausfahrt kam). Irgendwann habe ich die Maut gezahlt. Das wiederum hatte zur Folge, dass Marco und ich die nächsten paar Kilometer damit verbrachten, über unsere Meinungsverschiedenheit zu diskutieren. Wie anstrengend. Manchmal möchte ich solchen Diskussionen lieber aus dem Weg gehen. Klappt nur so schlecht in unserem 1-Raum-Fahrzeug mit acht Quadratmetern Wohnfläche. So wird die Reise zu einer ständigen Paartherapie, was zwar nicht immer angenehm ist, aber langfristig betrachtet durchaus positive Auswirkungen hat. Wir lernen im Umgang miteinander achtsam zu sein, die Wünsche des anderen zu respektieren, aber auch auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. Und das lernen wir am besten, wenn wir miteinander reden. In diesem Fall über Mautgebühren und Prinzipien.

Das Stadtleben zog uns mal wieder magisch an. Also fuhren wir direkt nach Thessaloniki und verbrachten unseren ersten Abend in Griechenland auf einem asphaltierten Parkplatz mit Meerblick, worüber ich mich echt gefreut habe. Mir war zu dem Zeitpunkt noch nicht klar, dass es in Griechenland schon eher eine Besonderheit ist, wenn man mal nicht zufällig direkt am Meer steht (ich freue mich trotzdem jedes Mal wieder erneut darüber, einen schönen Spot mit Blick aufs Meer zu erwischen – Waldrians Panorama Fenster sei Dank).

Die folgenden Tage in Thessaloniki waren wir mit Erledigungen in der Stadt beschäftigt. Mit den Fahrrädern fuhren wir etliche Baumärkte, Gartencenter, Tierhandlungen und Headshops (ja, richtig gelesen) an, denn wir brauchten neue Kokosziegeln für unser Kompostklo. Bei der Zoohandlung „Feeders“, die sich auf Reptilien und Terrarien spezialisiert, wurden wir schließlich fündig.

Wir wechselten noch einmal den Stellplatz und machten es uns auf einer Wiese am Wasser in Hafennähe gemütlich. Bei schönstem Wetter besichtigten wir ein altes Kriegsschiff, das als Museumsschiff im Hafen liegt, gingen Eis essen und drehten eine weitere Runde durch die Innenstadt.

Als Nächstes stand die Halbinsel Chalkidiki (auch „Poseidons Dreizack“ genannt) auf unserem Programm, die in ihrer Form einer Hand mit drei Fingern gleicht (das sind die fingerartigen Landzungen „Kassandra“, „Sithonia“ und „Athos“). Unser Ziel war es, die ersten beiden Finger zu umrunden, denn der Zutritt zur Mönchsrepublik „Athos“ wird ausschließlich Männern genehmigt und das auch nur mit Einreiseerlaubnis. Ganz fasziniert waren wir von einem trockenen Salzsee am Hals des westlichen Fingers „Kassandra“, der im Abendlicht seinen besonderen Charme versprühte als wir auf dem trockenen Boden des Salzgewässers herumspazierten.

Weiter ging es zu einem Traumsandstrand. Baden im Meer, Yoga im Sand und lustige Strandhunde, die uns Gesellschaft leisteten. Marco nutzte die Urlaubsstimmung, um genüsslich am Laptop zu „nerden“ und nützliche Funktionen in unserem Garmin Navi zu programmieren. Ich ließ beim Sonnenbaden mit Podcast auf den Ohren oder E-Book in den Händen die Seele baumeln.

Die Anstrengungen der letzten Wochen fielen langsam von uns ab, während wir an der Küstenroute von „Kassandra“ entlang ganz gemütlich von einem Strand zum nächsten tingelten. Unser neues Hobby hieß Strandhopping. Täglich wechselten wir den Stellplatz, sprangen ins Meer, beobachteten Wellen in der Bucht, entdeckten geschlossene Beach Bars oder gingen am Strand spazieren. Am „Possidi Cape“ lernten wir Jakob mit seinem Postwagen „Kurt“ kennen. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, wie ich jetzt schon verraten kann. Am Strand einer Lagune haben wir uns das erste Mal festgefahren und wieder ausgegraben (es gibt schlimmere Orte für sowas) und das schöne Wetter nutzten wir, um unseren Kofferraum aus- und wieder einzuräumen (ob das für mehr Ordnung sorgte, sei mal dahingestellt). 

Heiß, heiß, Baby!

Mitte Oktober traten wir den Weg Richtung griechische Grenze an. Auf der Fahrt aus Plovdiv heraus hielten wir noch kurz bei Decathlon, um uns (oder vielmehr mir) endlich den Wunsch nach einer ordentlichen Yoga-Matte zu erfüllen. Diese wurde auch gleich am nächsten Morgen an einem malerischen Stellplatz auf einer Wiese am Fluss eingeweiht. Das war das erste (jedoch bislang auch das einzige) Mal, dass Marco und ich zusammen morgendliche Sportübungen gemacht haben (Yoga ist wohl eher mein Ding, während Marco lieber mit dem Fahrrad Sprints fährt).

Die letzten Tage in Bulgarien fuhren und spazierten wir durch Schluchten, besichtigten eine Höhle mit dem Namen „Devil’s Throat“, kümmerten uns um die Online-Anmeldung für unseren Grenzübertritt und suchten uns ein Krankenhaus in Grenznähe für den notwendigen PCR Test. 

In Petrisch fanden wir sowohl ein passendes Krankenhaus mit Labor als auch einen Campingplatz mit Waschmaschine, denn auch das wollte mal wieder erledigt werden. Das Tor vom „Sunny Paradise Camp“ war verschlossen, also klingelten wir. Ein Hund bellte, doch es dauerte noch eine Weile bis die Tür aufging. Ein strahlender Mann begrüßte uns, gab uns eine kleine Führung (wir waren übrigens die einzigen Gäste) und erwähnte so ganz nebenbei, dass wir uns auf dem Gelände ganz frei fühlen und auch gern nackt rumlaufen dürfen, falls wir möchten. Auch seine Frau erklärte uns beim Einchecken nochmal, dass sie und ihr Mann am liebsten unbekleidet sind, sofern die Gäste kein Problem damit haben. Wir ließen zwar selbst die Klamotten an, gaben den beiden aber gern unseren Segen und keine halbe Stunde später sahen wir das lustige Pärchen für den Rest des Tages nur noch nackig über den Platz hüpfen. Zwei herzliche Menschen, die sich wahrlich ihr eigenes Paradies erschaffen haben.

Am nächsten Tag machten wir im Krankenhaus den PCR Test. Die Suche nach dem richtigen Zimmer dauerte eine gefühlte Ewigkeit und erinnerte uns mal wieder an Asterix‘ und Obelix‘ Passierschein A38. Das Prozedere mit dem Abstrich im Labor ging dann schließlich ganz fix und wir nutzten die Wartezeit von 1-2 Tagen für einen Besuch bei den heißen Quellen in Rupite bis wir das (glücklicherweise negative) Testergebnis abholen konnten. Der Stellplatz bei den Thermalquellen ist übrigens einer meiner bisherigen Top-Favoriten. Nicht nur das heiße Bad in den Naturbecken (besonders nachts zu empfehlen!) war der absolute Wahnsinn, auch die Landschaft drumherum ist bezaubernd und zudem scheint der Ort ein beliebter Treffpunkt für Reisende zu sein. Nach wochenlangem Alleinreisen haben wir uns jedenfalls extrem darüber gefreut, auf Gleichgesinnte zu treffen und haben uns mit einer ganz lieben Familie angefreundet, die auch auf dem Weg nach Griechenland zum Überwintern war. Wäre der PCR Test nicht gewesen, wir wären definitiv noch länger geblieben. Doch das Testergebnis durfte an der Grenze nicht älter als 72 Stunden sein. Der Grenzübergang verlief übrigens blitzschnell (es waren nur drei Autos vor uns) und mega routiniert (Ausweisdokumente und Testergebnisse vorgezeigt, QR Code gescannt, Beifahrer für einen weiteren PCR Test nach dem Zufallsprinzip eingereiht, Stäbchen in die Nase gesteckt, zack, fertig). Das hat alles gefühlt keine 30 Sekunden gedauert. Und so erreichten wir Griechenland – unser erstes großes Etappenziel – am 21. Oktober 2020 schneller als erwartet bei schönstem Sonnenschein.

Petar und der Rakija

Ich hatte euch noch mehr bulgarische Highlights versprochen, hier kommen sie. Im Oktober verbrachten wir einige Tage mit Geocaching. Die Caches haben uns wieder einmal an zauberhafte Orte in Bulgarien geführt.

Auf dem Weg zu einer Talsperre kletterten wir über organische Felsformationen und fanden auf einem zerfallenen Schulgelände einen Kuhschädel, der seitdem als Souvenir die Frontseite von Waldrian schmückt. Ein weiterer Cache war neben einem Stoppelfeld in einem Kalksteinfelsen versteckt (der Titel dieses Geocaches hieß „Vulva“, die Fotos verraten euch wieso). Der Rückweg übers Feld wurde uns von einer Schafsherde mit zwei niedlichen Hütehunden versüßt. Ein abendlicher Halt bei den „Stone Mushrooms“ überzeugte uns hingegen nicht wirklich, was an der Lage (direkt neben einer Straße) und an der damit einhergehenden Menschenmenge lag.

Deshalb fuhren wir über Nacht auch lieber ein paar Kilometer weiter zu einem Hügel, auf dem eine kleine Hütte trohnte. Ich konnte Marco davon überzeugen, sich mit mir zusammen frühmorgens den Sonnenaufgang vom Flachdach der Hütte aus reinzuziehen. Er fand die Idee mittelmäßig, machte aber mit. Ich fand diesen Ort so wunderbar, dass ich gleich noch eine Yoga-Session auf dem Hüttendach dranhängte. Gut, dass der Morgen so entspannt anfing, denn es wurde ein ereignisreicher Tag.

Es war einer dieser Tage, an denen wir eigentlich „nur“ einen Geocache suchen wollten. Aber dann verselbstständigte sich alles irgendwie. Das Wetter war grandios und wir fuhren zu einem verlassenen Flugplatz, der von einem Hund und angeblich auch von Kameras überwacht worden ist, was uns jedoch nicht aufhielt mit unseren Rädern über den (bereits zerlöcherten und flach auf dem Boden liegenden) Zaun zu steigen. Das Gelände war so weitläufig, dass es eine gute Idee war, die Fahrräder mitzunehmen (zumal es sich bei dem Geocache um einen Multicache handelte, also um mehrere Geocaches, die thematisch zusammengehörten, jedoch über mehrere Kilometer verteilt lagen). Nachdem wir einige Stunden unbemerkt auf dem Flugplatz verbracht hatten, kamen wir am anderen Ende des Geländes an. Dort trafen wir auf einen Bewohner aus dem Nachbar-Dorf, der seiner Tochter (die glücklicherweise Englisch sprechen konnte) zeigen wollte, wo er früher gearbeitet hatte (er war damals als Flugzeugmechaniker tätig). Leider kam zwei Minuten später ein Security-Fahrzeug um die Ecke gefahren. Wir bekamen keinen Ärger (der Vater sprach ja Bulgarisch und hat das Gespräch mit dem Sicherheitsdienst übernommen), jedoch wurden wir gebeten, das Gelände auf direktem Weg (d.h. durch den hinteren Ausgang) zu verlassen. Unser Bus stand zwar noch am Vordereingang, aber wir hatten unsere Fahrräder dabei, also halb so wild. Schön war, dass wir Vater und Tochter draußen unsere Fotos zeigen konnten, somit haben die beiden zumindest einen digitalen Eindruck davon bekommen, wie das Gelände heute aussieht. Der Vater hat ein paar Geschichten über die Gebäude erzählt und die Tochter hat übersetzt. So konnte jeder etwas beitragen und es wurde zu einer richtig netten Begegnung. 

Tja, nun mussten wir „nur“ noch zu unserem Bus zurückfahren. Problematisch war, dass der ca. 3 Kilometer lange Flugplatz umzäunt war und kein Weg drumherum führte. Der Vater hat uns erklärt, dass wir einen Umweg von 15 Kilometern fahren müssten. Zuerst ins benachbarte Dorf, dann in die nächstgrößere Stadt und dann über die Hauptstraße wieder zum Flugplatz. Auf die Räder, fertig und los. Das erste Drittel bis ins Dorf ging ganz gut, auch wenn die Sonne brannte. Umso erfreulicher, dass der Dorfladen geöffnet hatte und wir eine Pause mit Erfrischungsgetränk einlegen konnten. Am „Stammtisch“ vor dem Geschäft lernten wir Petar kennen, der dort mit einem Bier saß und uns in gebrochenem Deutsch anquatschte. Nach einem längeren Plausch (wir fragten insbesondere nach der typisch bulgarischen Küche) verabredeten wir uns mit ihm für den Abend (wir sagten in zwei bis drei Stunden) zum Essengehen in der Kneipe nebenan. Kein Problem, wir könnten einfach wiederkommen, er würde dann sowieso noch vor dem Dorfladen sitzen. Gesagt, getan. Wir stiegen wieder auf die Räder und fuhren das zweite Drittel in die Stadt, diesmal über eine vielbefahrene Landstraße (natürlich ohne Radweg), was leider nicht mehr so angenehm war. Kurz vor Ortseingang wurde die Straße immer enger und schneller, wir flüchteten auf einen Feldweg, um in die Stadt zu kommen und Geld abzuheben, da wir nichts Bares mehr in den Taschen hatten. Langsam ging die Sonne unter und wir ahnten schon Böses als wir quer durch die Stadt fuhren. Am Ortsausgang war klar, dass wir das letzte Drittel der Strecke nicht mehr per Fahrrad bestreiten wollen, da wir auf eine zweispurige Schnellstraße mit Leitplanken blickten. Nun hatten wir keine Schlösser dabei (die hätten wir beim Geocachen schließlich nicht gebraucht), also wartete ich mit den Rädern an einer Tankstelle während Marco ein Taxi nahm, um unseren Bus zu holen. Mittlerweile war es stockdunkel, was für eine Odyssee. Witzigerweise saß Petar wirklich noch mit seinem Bier (das wievielte es wohl gewesen ist) am Stammtisch als wir ins Dorf zurückkamen (übrigens genau drei Stunden später, d.h. wie verabredet). Es folgte ein feucht-fröhlicher Abend, der hart eskalierte (zu viel Rakija) und uns (trotzdem) in guter Erinnerung bleibt. „Viel Spaß mit der bulgarischen Gastfreundlichkeit!“, wünschte uns unsere ehemalige (aus Bulgarien stammende) Mitbewohnerin aus Berlin. „Lernt NEIN zu sagen!“, hat sie uns geraten. Jetzt wissen wir warum. 

Den Kater am nächsten Morgen konnten wir erfolgreich mit Baniza (sehr lecker) und Boza (sehr speziell) bekämpfen. Weiter ging es nach Plovdiv, der Heimatstadt unserer besagten Mitbewohnerin und Freundin, die uns ganz viele tolle Tipps für die Stadtbesichtigung geschickt hat. Wir haben es geliebt im Künstlerviertel Kapana Essen zu gehen und können sowohl das Pavaj als auch das Aylyakria wärmstens weiterempfehlen. Von A wie Altstadt und Antikes Theater bis C wie Craftbiertrinken – wir haben die Zeit in Plovdiv sehr genossen uns standen drei Nächte lang stadtnah und trotzdem von der Natur umgeben auf einer Wiese am Wasser. Am zweiten Abend haben wir Jürgen kennengelernt (unsere erste deutsche Bekanntschaft in Bulgarien). Wir fanden Jürgen auf Anhieb sympathisch und haben uns riesig gefreut, als er uns abends zu sich ins Wohnmobil auf einen „Basalt-Schnaps“ eingeladen und uns viele gute Reisemöglichkeiten für Griechenland gezeigt hat.

Yin und Yang

Unser erster Eindruck von Bulgarien (Ende September 2020): Neblig, ruppig, schön. Ruppig im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Straßenqualität (die in Serbien bereits schlimm war) nahm rapide ab. In Slivnitsa brauchten wir erstmal eine Pause, die wir zum Geldabheben und Döneressen nutzten. Überraschenderweise wurde die Straße kurz darauf wieder richtig gut, weshalb wir am gleichen Tag noch bis Sofia durchfuhren. In Sofia wollten wir sowieso etwas länger verweilen, da uns ein lieber Freund viele gute Tipps aus seiner Heimatstadt gegeben hat. Unsere erste Anlaufstelle war jedoch erstmal der Praktiker Baumarkt. Der Parkplatz dort war so praktisch, dass wir gleich zwei Nächte blieben und einen Hartgammeltag im Bus bei Dauerregen eingelegt haben. Darf auch mal sein. 

Am Sonntag schien wieder die Sonne, perfekt um die Stadt zu entdecken. Ganz in der Nähe vom Zentrum haben wir eine super Parklücke in einer wenig befahrenen Straße neben dem sogenannten Hundepark erwischt. Auf unserer Radtour durch den Park (der uns stark an den „Görli“ erinnerte) haben wir uns sofort wie zu Hause gefühlt. Ich denke, wir waren von Sofia auch deshalb total begeistert, weil sich mal wieder dieses Berlin-Gefühl bei uns eingestellt hat. Nachmittags haben wir in absoluter Wohlfühlatmosphäre („The Apartment“ – welch tolle Empfehlung!) Schach gespielt. Der Tag war so schön, dass wir schon richtig Lust auf die folgenden Tage bekommen haben. Doch unsere Radfahrt am nächsten Morgen mussten wir nach der ersten Etappe abbrechen, weil es Marco auf einmal immer schlechter ging. Er wurde tatsächlich krank und bekam immer höheres Fieber. Den Rest der Woche war für ihn Bettruhe angesagt. Nach zwei Tagen heftigem Fieber wurde es ab Mittwoch langsam besser, somit blieb uns der Gang ins Krankenhaus zum Glück erspart. Dennoch blieb Marco die gesamte Woche im Bett liegen. Ich habe mich derweil mit Lebensmitteleinkäufen, Spaziergängen, Yoga, Lesen und Laptopkram beschäftigt. Das Wetter war ziemlich wechselhaft, umso mehr habe ich den Park direkt neben unserer Bustür genossen, sobald sich die Sonne hat blicken lassen. Mal abgesehen von Marcos Krankheit hat uns die Woche „Zwangspause“ aber richtig gut getan. Reisen kann nämlich auch ganz schön anstrengend sein, wenn man (wie wir bis zu dem Zeitpunkt) immer nur ein bis maximal zwei Nächte an ein und demselben Ort bleibt. Am Hundepark standen wir insgesamt acht Nächte. Eine echte Höchstleistung für uns.

Als die Krankheit weitestgehend überstanden war, haben wir noch für zwei Tage einen Campingplatz in Sofia angesteuert, um dort Wäsche zu waschen, warm zu duschen, Strom zu zapfen, Wasser aufzufüllen und mit dem Internet nicht sparsam zu sein (die üblichen Verdächtigen halt). Dann hatten wir aber wirklich genug vom Rumgammeln. Leider kündigten sich ein paar Tage Dauerregen an, also schnell raus aus der Stadt (Sofia, wir kommen wieder!) und rein in die herbstliche Regenfahrt. 

Auch wenn wir nicht genug Zeit für das komplette Land hatten (es war inzwischen bereits Oktober und das Wetter zog uns immer deutlicher Richtung Süden), so wollten wir zumindest eine kleine Runde durch Bulgarien drehen. Wir hätten jedoch niemals gedacht, in den folgenden Tagen auf so viele Highlights zu treffen. Da war zum Beispiel die Überraschungsfahrt zu einem UFO-ähnlichen Monument, das eigentlich ein kommunistisches Denkmal darstellt und auf einer Bergspitze steht. Überraschungsfahrt deshalb, weil Marco gar nicht wusste, was ihn erwartet (ich hatte dieses Ziel ausgesucht) und weil Regen und Nebel immer dichter wurden, je höher wir den Berg hinauf fuhren. Der Ausflug war geheimnisvoll und gruselig zugleich. Die Nacht dort oben haben wir bei Außentemperaturen von 4 Grad dank Heizung gut überstanden, auch wenn der Wind extrem laut war und Waldrian davon ordentlich durchgeschüttelt wurde.

Unten im Tal wurde das Wetter besser und 150 Kilometer später fanden wir uns in einer Traumlandschaft wieder. Diesmal hatte Marco mich mit dem Ausflugsziel überrascht: Die Felsenstadt Perperikon. Einfach unbeschreiblich. Wir sind stundenlang durch die Ruinenstadt gelaufen, haben so viel entdeckt und die besondere Stimmung auf uns wirken lassen. Abends auf dem Parkplatz habe ich mich über einen Schnupie gefreut, der die Nacht zusammengerollt vor unserem Bus geschlafen hat.

Wow, das waren jetzt erst zwei von den angekündigten Highlights (die nächsten folgenden bald). Bulgarien, du ruppig schönes Land. Du zeigst uns, wie vielseitig unsere Reise sein kann. Mal Sonne, mal Wolken. Mal Regen, Wind und Nebel. Ausruhen, aufstehen, loslaufen. Egal, ob im T-Shirt oder mit Regenmantel. Auf Ruhe folgt Sturm – und unsere Reise lebt von genau diesen Gegensätzen.

Traumkulisse am Uvac

Einer meiner bisher schönsten Reisemomente (von denen es natürlich unzählige gab) ereignete sich in Serbien zwischen dem 21.-23. September 2020 auf unserer Fahrt zum Uvac – einem Fluss, der äußerst kurvenreich durch Kalksteinfelsen verläuft, wodurch die Uvac Schlucht sicherlich einen Platz in jedem Reiseführer erhält. Die schlangenförmigen Mäander waren durchaus nett anzusehen, doch mein Highlight des Tages war ganz anderer Natur. Apropos Natur, die traumhafte Landschaft auf dem Weg zum Aussichtspunkt gehört ebenfalls zu meinen absoluten Reisefavoriten. 

Die Aussichtsplattform selbst war hingegen eine weniger liebevoll hergerichtete Sammelstelle für Touristen mit der obligatorischen Souvenirverkaufseinheit. Auf dem Parkplatz hing ein rosa Schlüpfer am Baum, sehr witzig. Wir waren (mal wieder) komplett allein an diesem Ort. Nur ein einsamer, irrer Schnupie („Schnupies“ – mit langem „U“ und langem „I“ – so nenne ich seit ein paar Wochen die vielen süßen Straßenhunde, die uns auf unserer Reise begegnen und manchmal auch ein kleines Stück begleiten) kam auf dem Parkplatz auf uns zugelaufen und freute sich einen Ast ab, uns zu sehen. Im ersten Moment dachte ich wirklich, dass der Hund irre sein muss, weil er total aufgedreht und hyperaktiv hinter uns hergelaufen ist und dabei die ganze Zeit wie verrückt gehechelt hat. Doch nach einer Weile war klar, dass es sich um ein ganz liebes Hündchen handelte. Als es langsam dunkel wurde, fuhren wir ein paar Kilometer in die Traumlandschaft zurück – gefolgt von unserem treuen Schnupie-Freund. Zum Einschlafen hörten wir das Finale aus der Hörspielreihe „In zweiter Instanz“ von Bastian Pastewka (leider nicht zu empfehlen, auch wenn wir den Bastian P. eigentlich mögen). 

Unser Stellplatz war so unglaublich schön, dass ich mir um 6 Uhr extra einen Wecker getellt habe, um vor dem Sonnenaufgang aufzustehen, damit ich das Naturspektakel frühmorgens live miterleben kann (und zwar draußen an der frischen Luft, nicht nur aus dem Bett heraus, wie sonst immer). Sogar Marco hat sich von mir motivieren lassen aufzustehen. Mit der Kamera bewaffnet gingen wir den Hang hinauf, erfreuten uns an der Schönheit der aufsteigenden Sonne und als ob dieser Moment nicht schon mitreißend genug war, kam uns auf einmal unser Schnupie freudig entgegen. Doch er war nicht allein. Und er war gar kein „er“. Unser Schnupie entpuppte sich als Schnupie-Mama und sie hatte vier fröhlich Hundebabies im Schlepptau. Der Sonnenaufgang, die Traumkulisse, die Schnupie-Mama mit ihren Baby-Schnupies. Kann es einen herzergreifenderen Moment geben? Wir haben noch den ganzen Vormittag mit der Hundefamilie verbracht und waren überwältigt wie liebevoll die Mama mit ihren Kids gespielt und sich um die Kleinen gekümmert hat. 

Der Schotterweg sorgte an diesem Tag zum ersten Mal für einen Stein zwischen unseren Zwillingsreifen (wir prüfen das zum Glück regelmäßig). Nachmittags fuhren wir vom Uvac zum Nationalpark Kopaonik, wo wir am nächsten Tag eine kleine Wandertour durch das Skigebiet machten (wobei wir feststellen mussten, dass die Atmosphäre von Skigebieten nicht so unser Ding ist). Auf der Weiterfahrt Richtung Bulgarien sind wir in einen Hagelsturm geraten, haben Äste von der Straße geräumt und hätten beinahe das Ende eines malerischen Regenbogens erreicht. 

Und am Schluss noch ein Hinweis an alle Hundefreunde unter euch: Das neue Waldigram „Schnipp Schnapp Schnupies“ ist online! Ein Waldigram für alle, die sich auch so sehr über niedliche Hunde freuen, wie ich es tue. Hier teile ich mit euch meine tierischen Lieblingsfotos im Schnupie-Format.

Wir Wa-Wa-Wa-Wa-Wandern

Warum die letzten Tage hier Funkstille gewesen ist? Wir waren Wandern! Im wunderschönen Tara Nationalpark. Eine wunderschöne Bilderauswahl werden wir sicherlich in den nächsten Tagen (oder eher Wochen) ((oder vielleicht Monaten)) als Blogbeitrag zusammenstellen. Vorher muss unser Fotoauswahlprozess noch optimiert bzw. überhaupt erstmal eingeführt werden. Mir geht es jedenfalls so, dass ich beim Wandern immer viel zu viele Fotos schieße, weil ich von der Natur und der Atmosphäre so begeistert bin und mich da total reinsteigere und dieses Gefühl am liebsten in tausend Fotos festhalten möchte. Klappt aber meistens nicht, bin halt nur eine Schnappschussjägerin. Quantität vor Qualität. Heute gibt es jedenfalls kein Foto für euch, weil es mir gerade viel zu schwer fällt, die zwei drei „besten“ Schnappschüsse auszusuchen (die Königsdisziplin bei der Bilderauswahl). Also müsst ihr euch noch ein wenig gedulden. Bis bald!

Tagebucheintrag vom 21. September 2020

Nach zwei (!) Monaten ist es soweit. Hier kommt die versprochene Fotoauswahl. Ein Versprechen an mich selbst, denn für mich dient dieser Blog dazu, unsere Fotoerinnerungen zu kanalisieren. Da wir uns aktuell im Lockdown in Griechenland befinden, bin ich besonders dankbar über das Freiheitsgefühl und die schönen Momente, die wir beim Wandern in Serbien erleben durften. Die folgenden Fotos sind im Zeitraum vom 17. bis 21. September 2020 im Tara Nationalpark entstanden.

Gestartet sind wir in Bajina Basta mit einem kurzen Stop in der Touristeninfo, um eine Karte vom Nationalpark zu besorgen. Nach einer waldigen Fahrt und einer Pause bei Sljivovica erreichten wir den Tara NP in Mitrovac – ein leergefegtes Touristenörtchen mit geschlossenen Souvenirläden und unbelebten Hotelanlagen. Da die Ortschaft nicht gerade einladend auf uns wirkte, fuhren wir weiter zu dem Waldparkplatz, von dem aus wir bei einem Abendspaziergang die Aussichtspunkte Ostra Stena und Vila Dren bzw. Kozja Stena erreichten. Auf dem Parkplatz sagte uns ein Fuchs gute Nacht und am nächsten Morgen erwachten wir zauberhaft umhüllt von einem Nebelvorhang. Unser Morgenspaziergang führte uns schließlich zum Aussichtspunkt Banjska Stena.

Dann ging es weiter über offroadige Straßen („not maintained for passenger cars“) einmal quer durch den Nationalpark. Auf der einzigen asphaltierten Straße kamen wir in eine krasse LKW-schneidet-die-Kurve-und-wir-sowie alle-nachfolgenden-Autos-müssen-zurücksetzen-Situation. Die restlichen Straßen waren nur noch Schotterwege mit Schlaglöchern, aber Waldrian meisterte sie alle. Zwischendurch haben wir uns auf einem Bauernhof verfahren, ich habe mich in meinen Traumhund verliebt, auf eine kleinere Wanderung folgte eine größere und wir ließen uns auf einer Lichtung bei Borovac nieder. Während unserer Hauptwanderung haben wir sogar Bärenspuren entdeckt. Den dazugehörigen Bären haben wir allerdings (glücklicherweise?) nicht gesichtet.

Unseren letzten Abend im Tara NP verbrachten wir am Jezero Zaovine (der See „Zaovine“) in einer Sackgasse vor einem ominösen, verschlossenen Tunneltor. Marco hat dort unsere Handbremse eingestellt. Dummerweise haben wir am nächsten Tag beim Wegfahren unseren Keil vergessen, weil wir die Straße nur rückwärts rausfahren konnten und dabei so konzentriert waren, dass wir nicht mehr in Tunnelrichtung geblickt und ihn auf der Straße liegen gesehen haben. Wir verließen den Tara NP und wollten eigentlich die auf der Karte gelb und orange eingezeichneten Straßen nach Mokra Gora nehmen. Irgendwie wich das Kartenmaterial jedoch signifikant von der Open Street Map Karte auf unserem Garmin Navogationsgerät ab, sodass wir plötzlich die gesamte Strecke auf nirgends eingezeichneten Wald- und Wanderwegen fuhren. Mit einer blinkenden Tankanzeige im Augenwinkel eine aufregende Fahrt, da wir bei den unbefestigten Straßenverhältnissen hinter jeder Kurve einen umgefallenen Baum oder andere Hindernisse erwarteten. Lief aber alles glatt und wir kamen unversehrt in Mokra Gora an. Die Nacht verbrachten wir auf einem Campingplatz in Zlatibor, da nach so vielen Wandertagen mal wieder Wäsche waschen angesagt war. Ich hatte dort sehr viel Spaß mit dem Platzstreuner, der leider den Pullover von Marco vom Wäscheständer geholt und den Ärmel angefressen hat, weshalb Marco den kleinen Hund am nächsten Tag nicht mehr leiden konnte (ich habe das Loch aber inzwischen wieder zugenäht).

Dünen und Fähren.

Es ist Mitte November und wir stehen in Griechenland im Lockdown (Tag 7) – also endlich Zeit, um mal wieder einen Blogartikel rauszuhauen. Die letzten zwei Monate sind wie im Flug vergangen und ich grabe mich immer noch durch hunderttausend Fotos aus Serbien und Bulgarien. Das mit den Fotos ist echt Fluch und Segen. Einerseits freue ich mich darüber, so viele Eindrücke eingefangen zu haben. Andererseits schwebt auch ständig die Frage über meinem Kopf, ob wir uns jemals wieder diese unzähligen Schnappschüsse angucken werden und ob sich die ganze Mühe dahinter (angucken, löschen, sortieren, auswählen, nochmal sortieren, nochmal auswählen und schließlich hochladen) überhaupt „lohnt“? Die gleiche Frage habe ich mir auch schon im Hinblick auf unsere Blogartikel gestellt. Liest das überhaupt jemand? Interessiert es irgendwen, was wir irgendwann einmal gekocht haben, wo wir gewandert sind und welchen tollen Sonnenuntergang wir zum Tagesabschluss hatten? Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Ergebnis, dass ich diese Art und Weise der Dokumentation primär für mich ganz persönlich mache. Sekundär natürlich auch für jeden nahestehenden Menschen, der ein bisschen mitverfolgen möchte, was Marco und ich so treiben und wie unser Alltag „on the road“ eigentlich ist. Doch im Grunde geht es mir um mein ganz persönliches Gefühl. Das ist dieses Gefühl, das mich dazu bringt, jeden Abend erneut an den Strand zu pilgern und schon wieder einen Schnappschuss von dem Sonnenuntergang zu machen, der mich dort erwartet und mich jedes Mal aufs Neue staunen lässt. 

In diesem Sinne lasse ich im vorliegenden Blogartikel mal die Fotos für mich sprechen und schreibe diesmal keine Geschichten in Textform nieder. Auf den Bildern befinden wir uns irgendwann im September irgendwo in Serbien…

Hey, kiffen?

Es ist geschafft, wir sind in Bulgarien. Aber bis es soweit gekommen ist, haben wir echt was erlebt, daher wird das jetzt etwas ausführlicher.

Prolog

Fangen wir mal an, etwa vor 3 Tagen wurde uns klar, dass wir uns langsam mal mit dem Covid-19 PCR Test auseinandersetzen sollten, welchen wir zur Einreise in Bulgarien benötigen, um nicht für 14 Tage in Quarantäne ausharren zu müssen. Wir haben uns also die nächstgrössere Stadt – Leskovac – in Grenznähe ausgesucht und haben da erstmal Apotheken abgeklappert, um zu erfragen, wo man hier denn einen „Corona Test“ machen lassen kann. Die zweite Apotheke wusste auch bereits Bescheid und verwies uns an eine Adresse, wo wir dann hingelaufen sind. An der Adresse angekommen fanden wir ein kleines Krankenhaus vor, nach dem Betreten hatten wir auch das erste Mal auf unserer Reise ernsthafte Sorgen, dass wir uns mit Covid-19 anstecken könnten, aber erstmal der Reihe nach.
Am Empfang verwies man uns erstmal an eine andere Abteilung, wir liefen also um das Haus herum, um da in der Notaufnahme noch einmal zu fragen. Die freundliche Frau dort sprach Englisch und zeigte uns dann auch wo die „Teststation“ zu finden ist – einmal über die Strasse.
Da angekommen wurde uns klar, dass es sich dabei um ein eigens eingerichtetes Corona Sonderkrankenhaus handelt – au Backe, wenn wir da mal wieder gesund rauskommen…
Der Wartebereich war menschenleer, offenbar ist Serbien wirklich kaum betroffen. Dennoch waren Türen mit Folie abgeklebt, und es gab eine Art Schleuse. Nach einiger Wartezeit fiel uns ein Knopf auf, der Kyrillisch beschriftet war. Ist das eine Klingel? Ich drücke mal.
Prompt öffnet sich eine Türe und zwei Männer stehen vor uns. Ein Krankenhelfer mit Maske und Haube und Schutzkittel und ein Arzt, der pflegte aber keine Maske zu tragen…
Wir machen hier keinen PCR Test, für PCR müssen Sie hier die Strasse runterlaufen… wissen Sie wo die Post ist? Vor der Post links, etwa 200 Meter vorher rein. Corona Test Center 3! – ööööh… Ookay. Die haben sich offenbar auch auf was Grösseres vorbereitet. Gut wir laufen also zum Corona Testcenter 3 und stehen dann vor einem Gebäude mit Krankenwagen viel kyrillischer Schrift und einer 3 daneben – hier muss es sein! Wieder kein Schwein da. Rechts eine Türe mit grossem „Biohazzard“ Zeichen, rechts die Tür ist mit einer Plombe versiegelt. Wir laufen weiter rein und sehen einen Soldaten. Ähm, Coronatest?
Wir wurden darüber in Kenntnis gesetzt, dass das Testcenter nebenan ist, offenbar sind wir in Militärisches Sperrgebiet eingedrungen.
Im Testcenter 3 angekommen war auch mehr los. Eine Krankenschwester mit Schutzbekleidung und Schutzbrille lief vorbei, die Empfangsdame aber hatte keine Lust auf Mundschutz. PCR Test? Do you have symptoms? No? Then you have to go to this address: …
Wir mussten also schon wieder in ein anderes Testcenter. Wir sind dann am Ende in einer Privatklinik mit Ledersesseln vom Typ „Shisha Bar“ angekommen, wo man uns freundlich empfangen hat – PCR Test, Yes we do that! 120 Euro per person! What? Aber da steht doch 6000 Dinar – Yes for foreigners its 120 euros.
Da hatten wir dann keinen Bock drauf.

Die Optionen

Wir sollten uns jetzt also überlegen wie wir nach Bulgarien einreisen ohne einen PCR Test vorweisen zu müssen.
Option A: Transit nach Griechenland
Option B: 14 Tage Quarantäne.
Da wir mit unserer Karre kaum in der kurzen Transitzeit das Land durchfahren können, haben wir uns ziemlich schnell mit der Quarantäne angefreundet. Der Plan war dann am Ende, die Adresse eines Campingplatzes an der Grenze zu Griechenland zu verwenden, da würden wir „ausharren“ oder aber das Land einfach verlassen, wenn wir keinen Bock mehr haben. Wie lange wir brauchen bis wir unsere häusliche Quarantäne erreichen, kann man uns ja nur schwer vorschreiben, solange wir auf mehr oder weniger direktem Weg hinfahren. Wir müssen ja auch Fahrpausen einlegen und uns kann kaum wer vorschreiben, dass wir schneller fahren müssen als es die Situation zulässt. Nachdem wir dann noch vergeblich versuchten die exakte Verordnung im Internet zu besorgen haben wir uns dann entschlossen einfach zur Grenze zu fahren und mal zu schauen was da genau los ist.

Psst, Express Check?

Wir fahren auf direktem Weg zum Grenzübergang in den Bergen. Ein ganz kleiner, mal schauen.
In der ersten Kurve schneidet uns ein entgegenkommendes Auto in der Kurve und macht auch keinen Anstand auf seine Spur zurückzukehren. Ich mache eine Vollbremsung – die armen Reifen… In der zweiten Kurve noch einer, fährt einfach auf unserer Spur direkt auf uns zu. Wir fahren jetzt nur noch 20 km/h bis zur Grenze.
Da angekommen steht schon ein LKW vor uns. Wir warten am Stopschild. Runa liest bei Google die Bewertungen für den Grenzübergang.

„Sehr korrupte Beamte, sowohl auf Bulgarischer als auch auf Serbischer Seite […] drängen einen auf Geld zu Geld zu geben […] bitte meidet diesen Grenzübergang. Hier könnte man auch glatt einen Horrorfilm drehen!“

„Nach zwei Stunden Fahrt kommt man prompt an die Grenze, einzelne kleine Schlaglöcher, aber man kann bis 100 km/h fahren. Wenn Sie keine Eile haben, gute Landschaft geniessen. Stellenweise sehr kurvig, unbedingt am Tag fahren. Gegenverkehr kann eigene Spur schneiden. Gute Alternative wenn man nicht 3…h warten will. Kontrolle normal, leider wollte der bulgarische Beamte nicht korrekt gewesen musste von meine Geschenke abgeben. Serbische Seite war gut nett geplaudert. Trotz allem gute Alternative“

„Die serbische Polizei wollte Geld haben von mir und haben mich bedroht das sie sonst mein Kofferraum leeren und ich musste das Geld zahlen weil ich sehr viel Gepäck bei mir hatte und keine Lust hatte da stundenlang zu warten deswegen werden ich diesen Grenze nicht mehr überfahren und werde wie immer die normale Rute nach Türkei fahren“

Google Maps

Phu Okay, das kann jetzt gut oder schlecht sein in unserer Situation ohne Corona-Test…

Wir sind dran! Bitte vorfahren!
Und Schwupps wird unsere Karre auch schon durchsucht. Die eine Beamtin war dabei doch sehr gründlich „Marihuana?“ „How much money do you have?“ 20 Euro und 1000 Dinar. „… keine Antwort …“ sucht weiter.
In der Zwischenzeit steht plötzlich ein Typ neben mir, ich glaube der Polizist. „psst, want express check?“ „give me money, i give you express check!“
Och ne, wir haben Zeit, „No Expresscheck, No Problemo!“
Dann kommt die Beamtin wieder „Hey, Marihuana??? How much money do you have?“ „20 euro, 1000 Dinar“ „…keine Reaktion, sie quatscht bereits mit nem Kollegen“.
„Hey, psst, express check? you can go with no check, we don’t check you, just give me money!“
„No we don’t“
„hey Psst, Kiffen? Will Kiffen?“
„Kaffe? Do you want a Coffee?“ frage ich ihn.
Wir lassen die Truppe also ihr Ding machen und setzen uns auf die Bank neben dem Bus. Da kommt direkt der Polizist „Hey, no! don’t sit here, you can’t sit here, because here is no good“ – Oookay alles klar, stehen wir halt.

Nach ner halben Stunde hatten die dann auch keinen Bock mehr auf uns und haben uns ausreisen lassen. Ausreisen genau, das war erst die Ausreise aus Serbien. Die Einreise nach Bulgarien ohne den Corona Test steht uns erst bevor!

Wir fahren vor zum bulgarischen Grenzübergang da kommt schon eine total lieb wirkende Mutti in Uniform und mit Pistole im Holster, die sie mit Sicherheit niemals nutzen würde, aus dem Häuschen heraus.
Stahlend über beide Ohren sieht sie uns an und wir strahlen zurück. Sie nimmt uns die Pässe ab und sagt irgendwas auf Bulgarisch – wir verstehen kein Wort – No Serbski! English or German?
Sie lief dann rüber zu Runa und warf einen Blick in unseren Bus. Dabei warf Sie laut Runa einen verschwörerischen Blick zu ihr schaute in meinen Pass, machte ein Herzchenzeichen mit ihrer Hand und sagte sowas wie „Chocolatte“. Runa interpretierte dies als sowas wie „Guten Fang gemacht“.
Wir bekommen die Pässe zurück und können nach Entrichten unserer Mautgebühr einreisen. Kein Test, kein Formular, keine Quarantäne.

Es ist also alles wie immer und wieder einmal zeigt sich, dass man lieber fährt als zu planen, es kommt eh immer anders als man denkt!

Fahrt mit Höhepunkt

Der Tag begann heute relativ früh, ich war schon um 7 Wach, Runa nicht. Ich dachte ständig das Micky gleich kommen würde. Die ersten Leute versammelten sich bereits vor dem Laden und als wir dann gegen 0830 aufgestanden sind hatte der erste auch schon sein Bier in der Hand – ach so, so läufts hier also, verstehe.

Micky, das ist der Typ der uns gestern Abend noch zu mehr Bier überredet hat, wollte uns heute tollen Serbischen Rotwein und seine Bienen zeigen, er ist aber leider nicht aufgetaucht. Dafür ein anderer (der, der 40 Jahre in Österreich auf dem Bau gearbeitet hat) es stellte sich heraus, dass er der Vater von Micky war! Der Sohn von Micky soll sich gestern wohl in den Finger gehackt haben und ist jetzt im Krankenhaus, aber ist wohl nicht so schlimm. Jedenfalls haben wir aber nicht herausgefunden, ob Micky deswegen nicht aufgetaucht ist, wir haben aber den Verdacht, das Micky von um 8 Uhr am Abend sprach. Dumm gelaufen.

Nach dem Frühstück ging es weiter Richtung Tara Nationalpark, wieder recht viel Strecke, dafür aber hatte das Ende und unser Übernachtungsdomizil einen echten Höhepunkt zu bieten, den man nur in Fotos beschreiben kann.
Da gab es heute ein improvisiertes Steinpilzrisotto und jetzt schauen wir aber wirklich „das Schweigen der Lämmer!“