Vom Regen in den Sulfur Pool

Das Wetter spielt auf einer Langzeitreise nicht immer mit. Anfang September 2021 war es uns in Georgiens Hauptstadt zu heiß. Auf dem Weg in die Berge folgte ein Mix aus Sonne und Regen. In den Bergen angekommen fielen einige geplante Wanderungen aufgrund von Dauerregen ins Wasser.  Manch einen Regentag kann man aber auch nutzen, um neue Freundschaften zu knüpfen. In Kutaissi lernten wir Igel und Paola auf einem Kirchenparkplatz kennen, wurden zu Kaffee und Keksen in ihren blauen Düdo „Big Blue“ eingeladen und quatschten uns stundenlang fest. Das Regenwetter in den folgenden Tagen saßen wir mit unseren liebgewonnenen Wahlnachbarn gemeinsam ab. Nachts hatte der Parkplatz einiges zu bieten: Kreisedrehende Autos, Bong-rauchende Jugendliche, im Chor singende Männer und frühmorgendliche Rasenmäher. Am Tag unserer Abfahrt fand in der Kirche eine riesige Veranstaltung statt und wir wurden komplett eingeparkt. Egal, so sind wir halt für eine weitere Übernachtung dort geblieben. Wir waren ja in bester Gesellschaft.

Es sollte eine gesellige Woche bleiben. Witzigerweise lernten wir an unserem nächsten Stellplatz gleich noch ein im Düdo reisendes Paar kennen: Frieda und Sebastian. Außerdem Arthur und Pepite (ein Franzose mit Hund), Tobias und Johanna aus Deutschland sowie ein belgisches Pärchen. Der Sulfur Pool war nicht nur für Reisende eine Attraktion. Auch viele Einheimische trafen sich hier über den gesamten Tag bis in die Nacht hinein zum Baden in der heißen Naturquelle. Von einer Familie bekamen wir Obst und Chacha geschenkt. Ein buntes Spektakel und definitiv eines meiner Reise-Highlights aus Georgien. Wir fanden den Ort so genial, dass wir zwei Wochen später auf unserem Rückweg aus den Bergen einen erneuten Halt dort machten.

Es regnete viel, doch das gute Wetter zwischendurch nutzten wir für diverse Ausflüge. Wir sammelten einige Earth Caches, besuchten mehrere Kloster, besichtigten die Prometheus Höhle und hatten einen wahnsinnig tollen Tag in Tskaltubo, wo wir in eines der verlassenen Sanatorien einstiegen.

Dank eines tollen Stellplatztipps von unseren neuen Freunden machten wir eine kleine Flusswanderung im Okatse Canyon. Den Abend zuvor kam ein Auto voller Georgier angefahren. Sie luden uns zum Chacha ein, tranken selbst eine bemerkenswerte Menge dieser hochprozentigen Spezialität, setzten sich kurz darauf wieder ans Steuer und fuhren davon. In Khoni füllten wir unsere Gasflasche auf. Nachdem die Suche nach einer Gasflaschenauffüllstation bereits einige Tage in Anspruch nahm, ging uns beim Installieren der gefüllten Flasche schließlich der Adapter kaputt. Es folgte die tagelange Suche nach einem passenden Adapter. In Khoni hatten wir damit keinen Erfolg, also zurück nach Kutaissi und dort rumgefragt. Ein General mit Trillerpfeife wies uns den Weg durch die Gassen vom Handwerkermarkt. An jeder Ecke trillerte er laut in seine Pfeife und am Ende wusste jeder Ladenbesitzer, dass wir Deutsche sind. Den Adapter haben wir mit seiner Hilfe auf dem Markt zwar nicht gefunden, aber wir sind ein paar Bezirke weiter auf einem anderen Markt im Alleingang fündig geworden.

Nun konnten wir endlich wieder kochen (was vor allem bezüglich Kaffee am Morgen für Marco lebensnotwendig ist). Also ab in die Natur, es waren mehrere Wanderungen angesagt. Beim Balda Canyon spazierten wir ein paar Kilometer am Fluss entlang zum Kaghu Wasserfall. Von dort aus versuchten wir am nächsten Tag die längerer Strecke zum Oniore Wasserfall zu wandern, was sich als abenteuerlich herausstellte, da es mehrere Flussdurchquerungen zu bewältigen gab. Wir kamen schlussendlich leider nicht ans Ziel, da aus dem anfänglichen Nieselregen irgendwann strömender Regen wurde und wir deshalb auf halber Strecke aufgegeben haben. Der Tag endete mit einem Bad in den heißen Quellen vom „weißen Wasserfall“, einem weiteren Naturschauspiel Georgiens (von dem wir leider keine Fotos gemacht haben).

Zwei Tage später machten wir in der Nähe des Enguri Staudamms noch eine kleine dreistündige Wanderung zum Intsra Wasserfall. Wir wollten schließlich unsere Fitness für die bevorstehenden Tagestouren in Swanetien aufbauen. Hin und hergerissen von den schlechten Wettervorhersagen stellten wir kurzzeitig in Frage, ob es sich überhaupt lohnen würde, weiter in die Berge zu fahren (es war Dauerregen angesagt). Letztendlich fuhren wir aber doch weiter nach Mestia, wo wir am nächsten Morgen nicht nur mit einer traumhaften Bergkulisse, sondern auch mit einem Kuchengeschenk von einem einheimischen Bauern belohnt worden sind.

Völlig unerwartet wurden wir bei unserer Aufwärmrunde zu einer Mineralquelle von der Sonne überrascht. Danach ging es auf Internetsuche (Marcos Arbeitstage standen an), welche uns zum Mestia Airport führte (ein klitzekleiner Flughafen, auf dem am Montagmorgen sogar ein winziges Flugzeug landete). Leider regnete es sich in den darauffolgenden Tagen so richtig ein und es war sogar Schnee angesagt, sodass wir die Berge wieder verließen ohne auch nur eine richtige Bergwanderung gemacht zu haben. Schade, aber wir behalten Georgien als Reiseland in bester Erinnerung und vielleicht führt uns ja irgendwann nochmal ein Wanderurlaub in den großen Kaukasus.

Unser vorerst letztes Sightseeing-Erlebnis in Georgien war die Besichtigung der Höhlenstadt Uplisziche (glücklicherweise wieder bei schönstem Sonnenschein).

Danach ging es zurück nach Tiflis, wo wir eigentlich noch einige Zeit verbringen wollten, denn die Hauptstadt ist der Wahnsinn. Jedoch durfte unser Fahrzeug nur maximal drei Monate im Land verweilen, weshalb wir Ende September 2021 einen kleinen Abstecher nach Armenien planten. Kurz ausreisen, ein zwei Wochen Armenien anschauen und dann wieder nach Georgien einreisen. Das war der Plan. Wir hätten nicht damit gerechnet, dass gleich die erste Woche in Armenien unser Reiseleben komplett auf den Kopf stellen würde.

One beer, two glasses.

Zurück von unserem dreitägigen Berliner Impfbesuch mussten wir in Tiflis erstmal wieder mit der Hitze klarkommen. Es war Mitte August 2021 und damit sicherlich die heißeste Zeit des Jahres in der Hauptstadt Georgiens. Also schnell raus aus der Stadt, ein paar Hundert Höhenmeter hinauf und in den Nationalpark Tiflis hinein. Wir blieben für Marcos Arbeitstage auf einem grünen Fleckchen neben einer Wasserquelle und einem niedlichen Holzhäuschen, wo wir an den Abenden frischgezapftes Bier und Grillspieße genossen. Selbst gekocht haben wir in den kommenden Tagen das georgische „Adjapsandali“ – eine Gemüsepfanne mit frischen Kräutern. Ein tierisches Highlight von unserem schönen Stellplatz: Nebenan gab es ein Bären-Gehege, das sich um gerettete Bären kümmert, die in der freien Wildbahn nicht mehr überleben könnten (weil sie beispielsweise aufgrund ihrer Vorgeschichte zu sehr an den Menschen gewöhnt waren). 

Etwas zu chaotisch und zu spontan ging unsere Reise weiter Richtung Nationalpark Tusheti. Wir stellten fest, dass wir an unserer gemeinsamen Reiseplanung noch arbeiten müssen. Es war schließlich die „most dangerous road in Georgia“, die uns als Pass-Straße bevorstand und die sollten wir nicht komplett unvorbereitet in Angriff nehmen. Wir fragten also bei den Einheimischen rum, ob die Straße zurzeit generell – und insbesondere mit unserem Fahrzeug ohne Allradantrieb – befahrbar wäre und ein paar hilfsbereite Jungs in Alvani erklärten uns „sometimes there are sheeps“ und „you should not drive drunk“. Da das Wetter weiterhin trocken und gut bleiben sollte, wagten wir es und starteten am nächsten Morgen los. Aus der Fahrt wurde eine Tagesaktion: Wir fuhren 80km über den Abano Pass (auf ca. 2900 Höhenmeter) von Pshaveli nach Omalo in 8 Stunden. Nach anfänglicher Aufregung und abenteuerlichen Abschnitten war die Strecke nach dem ersten Drittel erstaunlich leicht zu fahren und die Bergstraße war unserer Meinung nach in einem bemerkenswert guten Zustand. Da waren wir ganz andere Pisten gewöhnt. Dennoch war uns bewusst, dass ein Wetterumschwung die Straßenverhältnisse schnell verschlechtern könnte und tatsächlich hörten wir von anderen Reisenden ein paar Wochen später, dass ein Sturm im Oktober kilometerlange Passagen der Straße weggewaschen hatte. Das zeigt einmal mehr wie wichtig es ist, solche Strecken nicht einfach unbedacht zu befahren.

In Omalo angekommen blieb die Zeit für uns stehen. Okay, unser Fahrzeug blieb auch erstmal stehen, denn ganz unbeschadet hatte Waldrian die Passfahrt doch nicht überstanden und wir lernten die Dorfbewohner (und ihre Werkzeugkästen) in den ersten Tagen durch ihre tolle Hilfsbereitschaft beim Tausch unseres Motorlagers kennen. Es folgten zwei wunderschöne Wochen mit purer Bergdorfromantik. Ein Highlight in der ersten Woche war das Pferdereiten zum Oreti Lake. Wir ritten 6 Stunden lang (es waren insgesamt 24 Kilometer) auf dem Pferderücken durch steilen Wald und sanfte Wiesen. Ich glaube, unser Muskelkater war beinahe eine Woche lang zu spüren.

In der zweiten Woche fühlten wir uns im Dorf schon wie zu Hause, holten alle paar Tage unser Brot und etwas Käse auf den benachbarten Höfen, gingen in unserem Stamm-Gasthaus ein uns aus (abends bestellten wir standardmäßig zwei Teller Suppe und „one beer, two glasses“) und schafften es dann irgendwann sogar mal zu den historischen Wachtürmen hochzuwandern. Eine weitere Wanderung ins Nachbardorf Shenako machte zwar Lust auf mehr, doch Marcos Fuß war noch nicht stabil genug für eine Mehrtagestour (die wir jedem anderen ans Herz legen würden, denn der Nationalpark ist wirklich traumhaft schön und würde sich für ein mehrtägiges Trekking von Dorf zu Dorf wunderbar anbieten). Auf dem Rückweg über den Abano Pass hielten wir für eine Nacht bei der Torgva Heilquelle, vor der uns eine Frau im entgegenkommenden Auto zwar deutlich abriet („it’s dirty and there are strange people“), was uns jedoch nicht davon abhielt, dort trotzdem ein Bad zu nehmen. Die „strange people“ stellten sich schließlich als nette Opas heraus, die mit ihrem Auto dort steckengeblieben sind und denen wir am nächsten Morgen mit Abschleppseil eine kleine Starthilfe gaben.

Endlich hatten wir vollständigen Impfschutz und fühlten uns sicher genug, uns ins Hauptstadtgetümmel von Tiflis zu wagen. Die Lobby vom Fabrika-Hostel wurde unser zweites Zuhause (schon verrückt, wie durch die Reise das Wort „Zuhause“ für mich eine ganz neue Bedeutung bekommen hat), wir schnorrten uns eine Dusche und gönnten uns mehrere Abende hintereinander leckeres Essen im belebten Innenhof. Nur die Nächte im Bus an der (ebenfalls belebten) Straße habe ich immer noch laut und sehr heiß in Erinnerung. Das war wohl der Grund, warum wir beschlossen, den Rest der Stadt erst ein paar Wochen später weiterzuerkunden. Und so brachen wir Anfang September 2021 erneut in Richtung Berge auf.

Georgian Airways

Unsere Flüge nach Berlin waren gebucht. Mit Schmetterlingen im Bauch, aber auch mit ein klein bisschen Bauchschmerzen habe ich versucht mir vorzustellen wie unsere Rückkehr nach Deutschland werden würde. Nein, wir haben natürlich nicht unsere Reise abgebrochen. Und ja, es sollten nur ein paar Tage temporäre Heimreise sein. Einmal impfen und zurück. Nichts dramatisches. Trotzdem tobten meine Gefühle wie eine Achterbahn. Es war Ende Juli 2021 und wir „überbrückten“ die Woche vor dem Flug mit einer Fahrt über die georgische Heerstraße nach Stepanzminda (auf meinen Wunsch hin – warum das erwähnenswert ist, wird im Laufe des Artikels deutlich). Am Zhinvali Stausee machten wir einen kurzen Halt, um den traumhaften Sonnenuntergang zu würdigen. Aus dem benachbarten Auto klang laute Musik, die beiden betrunkenen und äußerst gut gelaunten Autoinsassen torkelten zu uns rüber und schenkten uns eine 2 Liter Flasche Fanta mit abgefülltem Chacha (selbstgebrannter Tresterschnaps) – anscheindend das Nationalgetränk Georgiens und nicht der letzte Schnaps, den wir noch geschenkt bekommen sollten. Wir fuhren (natürlich nüchtern) zu unserem nächtlichen Stellplatz etwas weiter nördlich am Fluss und setzten die Fahrt am nächsten Tag fort. Das Russisch-Georgische-Freundschaftsdenkmal passierten wir im dichten Nebel und auch die Arbeitstage von Marco verbrachten wir hauptsächlich bei Nebel und Regen auf einer Bergwiese nahe der Passhöhe vom Kreuzpass. Einmal hagelte es sogar. Die Tiere um uns herum bereiteten mir trotzdem viel Freude.

Als hätte das Wetter die Uhr für uns gestellt, klarte der Himmel am Dienstag pünktlich zum Feierabend kurz auf und wir nutzten unsere Chance, die paar Kilometer zum Denkmal zurückzufahren. Endlich konnten wir einen Blick auf das beeindruckende Bergpanorama um uns herum werfen und ein Fleckchen blauen Himmel genießen. Weiter ging es noch am gleichen Abend Richtung Truso Schlucht. Ich sag mal so, die Fahrt war abenteuerlich, aber wunderschön.

Auch im Truso Tal war es nass und feucht, doch wir ließen uns nicht aufhalten und wanderten mit Regensachen im Gepäck los (die wir kurz darauf auch schon wieder auspacken und anziehen mussten). Natürlich kamen wir klitschnass am Bus zurück, doch die Wanderung war alle Strapazen wert. Mit ihren sanften Hügeln, dem reißenden Fluss, den gelb- und rotgefärbten Schwefelquellen und dem kalt-sprudelnden Mineralsee ist die Schlucht einfach spektakulär anzusehen. Dank Heizung im Bus gelang es uns die Kleidung (und uns selbst) auch einigermaßen wieder trocken zu kriegen. 

Wieder auf der Hauptstraße angekommen, verging die restliche Fahrt nach Stepanzminda relativ zügig. Unseren Versuch über die Offroad-Strecke hoch zur Dreifaltigkeitskirche zu kommen mussten wir jedoch abbrechen (ich legte an einer besonders steilen und rutschigen Stelle mein Veto ein) und Marco war den Rest des Abends damit beschäftigt einen besonders hartnäckigen Stein aus unseren Zwillingsreifen herauszuoperieren. Ich hatte vom Wandern noch nicht genug und weckte Marco morgens um 6 Uhr, weil gegen Mittag schon wieder Regen angesagt war und der Kazbek zur frühen Stunde auch einfach toll von der Morgensonne angestrahlt wurde. Oben angekommen zog das Wetter bereits langsam wieder zu und „Georgiens beliebtestes Fotomotiv“ (die Kirche vor dem Berg) sah gar nicht so eindrucksvoll aus. An der Kirche selbst trübten die vielen Selfie-machenden Touristen (die sich overdressed mit dem Offroad-Taxi hochfahren ließen) und eine surrende Drohne das Bild. Doch immerhin lohnte sich ein Blick in die Kirche, denn dort fand gerade eine Zeremonie mit Gesang bei Kerzenschein statt. Von Marco musste ich mir die nächsten Tage ein mehrfaches „Hab-ich’s-doch-gesagt“ anhören und weitere Diskussionen über den Sinn und Unsinn, touristische Orte auf unserer Reise anzusteuern, folgten.

Auf dem Rückweg Richtung Tiflis hielten wir am Bazaleti See, wo wir eine große Aussortieraktion machten. Das bedeutete: Einmal den kompletten Bus ausräumen und nur die Sachen wieder einräumen, die wir auf der Reise behalten wollten. Der Rest wurde entweder entsorgt, verschenkt oder in einer Tasche verstaut, die im Flugzeug mit nach Berlin reisen durfte. In Tiflis drehten wir eine Auscheckrunde um den Flughafen. Über mehrere Ecken hatten wir zwar auch das ganz liebe Angebot bekommen, unseren Bus auf einem Privatgelände in der Stadt zu parken. Doch der überwachte Bezahlparkplatz direkt am Flughafen machte so einen sicheren Eindruck auf uns, dass wir uns trauten, Waldrian dort für drei Tage allein stehen zu lassen. Die letzten Tage vor Abflug (inklusive Marcos Arbeitstage) verbrachten wir „hinter den Kulissen“ – so nannte ich liebevoll die geteerte Fläche hinter einer Kunstinstallation, die von Fahranfängern für Autofahr- und Einparkübungen genutzt wurde. Einmal glaubten wir ein Kind am Steuer sitzen zu sehen. Manchmal drehte auf dem Platz auch ein Jogger seine Runden, der einen an einer Kette befestigten Autoreifen hinter sich herzog. Ein skurriles Bild. 

Dann war es soweit. Wir flogen tatsächlich nach Berlin, hetzten mal eben kurz innerhalb von drei Tagen von Termin zu Termin. Arztbesuche, Corona-Impfung (um die es ja primär ging), diverse Einkäufe (von Dingen, an die wir im Ausland nicht rankommen), Marco lernte seine Arbeitskollegen persönlich kennen … und neben dem Notwendigen noch das Wichtigste: Freunde und Familie treffen!!! Was soll ich sagen, es war wunderschön und viel zu kurz, aber wir haben es so gewollt. Es sollte bewusst nur einen gefühlten Herzschlag lang dauern, denn sonst hätte uns das Heimweh vermutlich viel zu doll gepackt und so fühlte sich das kurze Wiedersehen mit unseren Liebsten einfach nur an wie ein schöner Traum. 

Georgische Gastfreundschaft

Die Einreise nach Georgien war Mitte Juli 2021 ein kleiner Kulturschock. Wir sind zwar nur zwei Wochen in der Türkei gewesen, doch trotzdem war es merkwürdig auf einmal wieder freizügig gekleidete Strandtouristen zu sehen und überall Bier bestellen zu können. Gut für uns! Und: Genau diese Kontraste machen den Reiz des Reisens aus. Nach der Grenzkontrolle fuhren wir ziemlich direkt nach Batumi, um die üblichen organisatorischen Notwendigkeiten zu erledigen – was primär bedeutete, Bargeld in der Landeswährung abzuheben und auf Internetsuche zu gehen (was sich ohne Internet gar nicht so einfach gestaltete). Nach einigem Hin und Her sind wir dann an eine günstige SIM Karte gekommen und haben unseren finalen Stellplatz in einer Wohngegend gefunden, wo wir auch unser erstes georgisches Restaurant besuchten, das in den folgenden Tagen unser Stammlokal wurde. Wir machten uns kurz darauf den guten Vorsatz, dass wir mal eine Woche lang kein Fleisch und kein Brot essen würden. Dies in Georgien umzusetzen war jedoch schwieriger als erwartet (um nicht zu sagen unmöglich) und so gaben wir diese Regelung am dritten oder vierten Tag bereits wieder auf. Gearbeitet wurde bei der Hitze in einem klimatisierten Coworking-Space. In Batumi ließen wir außerdem Marcos Fahrrad reparieren, gingen mit Marcos Fußproblem zu einem russischen Arzt (Zitat am Ende der Behandlung: „Sie können mir vertrauen, ich habe den höchsten Abschluss in Moskau gemacht.“) und besorgten uns eine Gasflasche plus Adapter (klingt nebensächlich, doch die gesamte Gassuchaktion nahm mehrere Tage in Anspruch). Während dieser Zeit machten wir nette Bekanntschaften mit Einheimischen, wurden von einem Georgier namens Armin zum Tee eingeladen und bekamen von unserer neuen Freundin Rosa Kaffee und Schokolade zum Bus gebracht. Die Verständigung klappte dank Google Translate (Deutsch <> Russisch) ganz gut, auch wenn bei der Übersetzung manchmal sehr wilde Sachen rauskamen. 

Unser erstes Natur-Highlight in Georgien war eine lustige und holprige Fahrt über den Goderdzi Pass, der Batumi mit Akhaltsikhe verbindet. Für die 60 Kilometer lange Strecke benötigten wir 6 Stunden, ich glaube das sagt alles. Zum Glück gab es unterwegs kleine Holzhütten, die unter anderem Tklapi als Wegeproviant verkauften (das ist „Fruchtleder“ aus Tkemali-Pflaumen und erinnert an lappenförmiges Fruchtgummi). Auf der Passhöhe von 2.025 Metern wehte ein erfrischender, kühler Wind und wir zelebrierten das herzhafte Essen im Restaurant „Edelweiss“, zu dem wir nach einem herzlichen Gespräch mit Givi (ein junger Mann aus Tiflis, der uns viele tolle Tipps gegeben hat) sogar eingeladen worden sind. Wahnsinn, wie lieb ist das denn?! Wir sind von der Gastfreundschaft der Georgier einfach nur überwältigt! Am nächsten Morgen bekamen wir noch Besuch von zwei Dorfjungen, die interessiert in unseren Bus reinguckten. Marcos Mess-Schieber lag gerade rum und er zeigte den beiden am Beispiel einer Haarsträhne dessen Funktion, was für allgemeine Erheiterung sorgte. Es sind oftmals die kleinen Dinge, die unseren Alltag am meisten bereichern.

Die Fahrt ging weiter nach Abastumani, einem Kurort mit warmer Thermalquelle und Bergobservatorium, der uns von Givi empfohlen worden ist. Dort trafen wir auf Georgi und Georgi (ungefähr ein Drittel der männlichen Georgier trägt diesen Namen), mit denen wir im Ortskern ein bisschen quatschten. Abends besuchten wir das Thermalbad und morgens machten wir uns mit einem frischen Brot auf den Weg nach Sairme. Dieser führte uns erneut über eine Pass-Straße. Diesmal ging es noch höher hinaus und wir überquerten mit 2.182 Metern Höhe den Zekari Pass im kleinen Kaukasus. Unterwegs erhielten wir beim Pausemachen neben einer Berghütte prompt die Einladung zu Kaffee und Käsebrot von der dort im Sommer lebenden Familie. Der frisch hergestellte Sulguni-Käse war ein Delikatesse. Bei der Weiterfahrt durch die Berglandschaft konnten wir am Straßenrand einen kurzen Blick auf einen Bärenhintern erhaschen (der dazugehörige Bär verschwand ziemlich schnell im Gebüsch). Was für ein schöner Tag.

Die Woche neigte sich dem Ende und die nächsten Arbeitstage standen an. Wir richteten für Marco am Tkubuli Reservoir unter einem schattenspendenden Baum ein Outdoor-Office ein. Seine neuen Arbeitskollegen: Eine Herde Kühe, die uns jeden Tag zur gleichen Zeit unter dem Bäumchen Gesellschaft leisteten. Der See war leider nicht zum Baden geeignet (wirklich schade angesichts der heißen Temperaturen), aber wir hatten viel Spaß beim Beobachten von Kröten, Schweinen, Hunden und Pferden. Ansonsten war es angenehm ruhig, nur die Kuhrufe am Morgen erinnerten an Dinosauriergebrüll. Am zweiten Arbeitstag bekamen wir Stellplatz-Nachbarn. Wolfgang und Brigitta waren die ersten deutschen Overlander, die uns in Georgien begegneten und es war toll sich ein wenig auszutauschen (noch dazu bei leckerer, kalter Wassermelone). 

Wie beeinflusst Marcos Arbeit eigentlich unsere Reise? Anfangs mussten wir noch relativ viel Zeit investieren, um wöchentlich am Sonntag einen geeigneten Arbeitsplatz für Montag und Dienstag zu finden. Manchmal ging der halbe (oder ganze) Sonntag dafür drauf, doch mittlerweile sind wir ganz gut eingespielt und wissen worauf es uns ankommt. In Georgien kam dann eine neue Situation auf uns zu: Eine Arbeitskollegin aus Berlin wollte nach Tiflis fliegen, um Freunde zu besuchen. Das war auf der einen Seite eine gute Möglichkeit zum persönlichen Kennenlernen – schließlich hat Marco den Job angenommen als wir schon auf der Reise waren, somit kannte er die Gesichter seiner Kollegen bis dato nur über Videocalls. Auf der anderen Seite hatte ein Treffen in Tiflis auch praktische Gründe, denn Marco benötigte von seinem Arbeitgeber einen Laptop (sein privater Rechner fiel in Batumi leider einem Regenschauer zum Opfer). Also planten wir zur gleichen Zeit wie Marcos Arbeitskollegin in Tiflis zu sein. Für schnelle Autos wäre die Strecke kein Problem und innerhalb weniger Stunden zu meistern. Bei unserem lahmen Tempo bedeutete es aber immerhin, dass wir zwei bis drei volle Fahrtage einberechnen mussten. So düsten wir für das Treffen mal eben schnell durch halb Georgien. Nichts hielt uns auf, noch nicht einmal eine wilde Flussdurchfahrt, für die ich bis zu den Unterschenkeln ins Wasser gestampft bin. Kurz vor Tiflis legten wir in Mzcheta eine notwendige Übernachtung ein (ja, manchmal sind Fahrtage stressig, anstrengend und ermüdend). Bei der Platzsuche gerieten wir in Streit (ja, auch das gehört zum Busleben dazu) und entschieden uns schließlich für einen Bezahlparkplatz im Ortszentrum. Die gute Nachricht: Der Parkplatz hatte eine Grube und somit konnte Marco bequem den Fahrzeug-Service machen, während ich unseren neu erworbenen Liegestuhl einweihte. An einem Süßigkeitenstand vor der Swetizchoweli-Kathedrale probierten wir zum ersten Mal die leckeren Churchkhela: Das sind mit angedicktem Traubensaft überzogene Walnüsse-Trockenobst-Ketten. Der Verkäufer war so lieb und hat uns nebenan einen Blick in seine Küche werfen lassen, wo ich eine der Ketten selbst eintauchen durfte.

Endlich hatten wir nach mehrtägigem Fahrstress unser Ziel – die Hauptstadt Georgiens – erreicht und gönnten uns im Tiflis-See ein erfrischendes Bad. Eine Verabredung mit der Mutter eines georgischen Freundes aus Deutschland stand für die kommende Woche in Tiflis auch schon fest. Da ereilten uns gleich mehrere schlechte Nachrichten: 1) Die Arbeitskollegin musste ihren Flug stornieren, weil ihr Kumpel an Covid-19 erkrankt ist. 2) Georgien wurde zum Hochinzidenzgebiet erklärt. 3) Die Corona-Zahlen insbesondere in Tiflis sind in den vergangenen Tagen extrem in die Höhe geschossen. Mit diesen Nachrichten wurden wir unsanft in die Realität katapultiert. Bisher konnten wir der Pandemie auf der Reise geschickt aus dem Weg gehen, verbringen wir doch die meiste Zeit in unseren rollenden vier Wänden unter freiem Himmel. Nun zwangen uns die Umstände eine Planänderung auf: Leider doch keine Treffen in Tiflis. Weg aus der Stadt, wieder rein in die Natur. Zumindest solange wir noch keinen vollständigen Impfschutz hatten. Die Verabredung mit der Mutter meines Kumpels konnten wir glücklicherweise zu ihrem Garten außerorts verlegen und es entwickelte sich ein richtig schöner Nachmittag daraus (vielen Dank für das leckere Essen!). Ja, auch das ist Reisen. Immer flexibel bleiben. Nicht darüber ärgern, wenn Pläne nicht klappen. Stattdessen dankbar sein für das, was sich aus der neuen Situation ergibt. Denn eines ist sicher: Irgendwas passiert immer!