Varanasi am heiligen Ganges

Mit mulmigem Gefühl näherten wir uns der Grenze von Nepal nach Indien. Wir waren nicht sicher, ob unsere zweite Einreise problemlos klappen würde, denn auf unserem indischen Visum stand die nepalesische Landgrenze nicht drauf. Außerdem war da noch der Hund. Wir hatten uns zwar bemüht, ein tierärztliches Attest für Struppi zu bekommen, doch weder das Pet Hospital noch die Quarantäne Station in der Grenzstadt konnten mit unserer Anfrage etwas anfangen und so wurden wir ohne Attest weggeschickt. Na gut. Let’s try! Die Ausreise dauerte eine kleine Ewigkeit. Marco wurde irgendwann in ein Wohngebiet geführt, um den zuständigen Zollbeamte zu suchen, aber der Rest klappte reibungslos. Das Immigrationsbüro war gut besucht und glich einem Polizeipausenraum. Auf indischer Seite verlief es ähnlich chaotisch symphatisch. Die Zollabfertigung war diesmal schnell gemacht (niemand wollte den Hund sehen), dafür verbrachten wir etliche Zeit im Immigration Office. Es war mega nett und wir waren hauptsächlich mit Small Talk beschäftigt, denn aufgrund eines Systemabsturzes mussten wir zusammen mit den Beamten warten bis die Computer wieder betriebsbereit waren. Rückfragen gab es nur zu unserer Hoteladresse (wir wollten natürlich im Bus übernachten, aber eine konkrete Adresse anzugeben hatte sich in der Vergangenheit bei Grenzübergängen als nützlich erwiesen) und somit wurde der „fehlende“ Einreiseort auf unserem Visum zum Glück nicht hinterfragt. Es lief also alles glatt und wir durften mit neuem Einreisestempel ins Land. In den folgenden Tagen fuhren wir gefühlt durch eine „Saunalandschaft“. Nicht nur wegen des Wetters, auch die Kleidung der Landsleute veränderte sich und bestand nun zu großen Teilen aus Tüchern, die locker um die Hüfte gebunden oder lässig über die Schultern getragen wurden. Die Region Uttar Pradesh sah an vielen Stellen idyllisch aus. Durch das Busleben wurde uns aber deutlich bewusst, wie unglaublich viele Menschen dort lebten. Es wurde immer schwieriger, einen ruhigen Übernachtungsplatz zu finden. Manchmal suchten wir unsere Stellplätze nach potenziellen Laufrouten aus. Hatte ich erwähnt, dass Marco trotz der Hitze immer noch regelmäßig Laufen ging und dafür teilweise frühmorgens aufstand? Ich bewunderte seine Disziplin. Einer dieser Plätze war echt hübsch an einem Teich mit angrenzendem Friedhof gelegen. Klingt makaber, doch die stupaförmigen Grabsteine waren bunt angemalt und versprühten eine positive und sehr friedliche Stimmung. Ich stand dort beim Abendspaziergang unter Bäumen und blickte auf unendlich weite Felder. Am Horizont sah ich den Mond. Es war so kitschig schön und doch konnte ich nicht den Klangteppich im Hintergrund ausblenden, der von der angrenzenden kleinen Landstraße zu uns herüber schwappte. Automotoren, Mopedgeräusche, ständiges Gehupe und Gepfeife (egal wo du bist, in Indien ist immer irgendwo eine Trillerpfeife zu hören). 

An einem anderen Tag suchten wir spätnachmittags nach einem abgelegenen Wildcamping-Spot und wurden auf einem Feldweg zwischen Reisfeldern fündig. Natur pur. Denkste, nur 20 Minuten später hatte sich das halbe Dorf von nebenan um unseren Bus versammelt. Jeder wollte mal gucken. Verständlich, dort ist ja sonst wahrscheinlich nicht viel los. Als es schon dunkel war, wurden wir aus dem Bett geklopft. Einer der Männer meinte es gut und erklärte mit Händen und Füßen, dass wir besser im Dorf neben dem Hanuman Tempel stehen sollten. Tatsächlich blitzte die Stromleitung neben uns auf beunruhigende Weise, sodass wir seinen Rat befolgten. Am nächsten Morgen (eine laute Glocke weckte uns um 5:30 Uhr) standen die Dorfleute Schlange, um einen Blick in unseren Bus zu werfen. Ich kam gerade mit Struppi vom Morgenspaziergang, da beobachtete ich, wie Marco immer zwei Personen auf einmal in den Bus ließ. Danach waren die nächsten dran. Herrlich, wie locker Marco mit solchen Situationen umgehen kann. Über einen schnellen Highway erreichten wir die Stadt Varanasi, die als spirituelle Hauptstadt Indiens gilt. Unzählige Menschen pilgern nach Varanasi, um ihre Angehörigen zu bestatten und im heiligen Wasser des Ganges zu baden. Nach alter Tradition werden im Hinduismus die Toten auf öffentlichen Scheiterhaufen verbrannt. Diese Art der Feuerbestattung findet täglich in den Krematorien am Flussufer statt. Der Fluss Ganges hat eine besondere Bedeutung für Hindus: Wer am Fluss stirbt und sich dort bestatten lässt, entkommt dem ewigen Kreislauf des Lebens, Sterbens und Wiedergeborenwerdens. Den Kreislauf (Samsara) zu durchbrechen bedeutet ewige Glückseligkeit zu erreichen. Diese Erlösung wird Moksha genannt. Kein Wunder also, dass am „Mutter Ganga“, dem heiligsten aller Flüsse, jeden Tag fast rund um die Uhr Leichenverbrennungen stattfinden. Die vielen Feuerstellen können auf einem Boot vom Wasser aus beobachtet werden. An den weitläufigen Ufertreppen, den Ghats, werden mehrmals täglich Zeremonien durchgeführt und man sieht viele Hindus ins Wasser steigen, denn im heiligen Ganges zu baden, befreit sie laut ihrem Glauben von allen Sünden. Da waren wir also, in dieser wuseligen Stadt voller Leben und Tod. Es war das erste Mal auf unserer bisherigen Reise, dass wir uns ein Hotelzimmer gegönnt haben. Einen Stellplatz mitten in Varanasi zu finden, wo wir Struppi hätten im Bus allein lassen können, wäre unmöglich gewesen. Dafür war es viel zu heiß und die Stadt viel zu dicht bevölkert, als dass wir mit gutem Gewissen die Fenster hätten einen Spalt auflassen können, um mit unseren beiden Ventilatoren für Durchzug zu sorgen (was sonst immer unsere Taktik war, wenn wir den Hund mal für einen Einkauf oder Restaurantbesuch allein lassen mussten). Drei Nächte lang sind wir im Hotel „Temple on Ganges“ in der Nähe vom Assi Ghat untergekommen. Tatsächlich konnte man vom Rooftop aus den Fluss sehen und das Treiben in den anliegenden Gassen beobachten. Die Brachfläche nebenan wurde als Müllkippe genutzt. Auf dem Dach des Hotels befand sich ein kleiner Rasenabschnitt, auf dem ich notdürftig mit Struppi gassigehen und spielen konnte. Vor den indischen Straßenhunden hatte ich zu dieser Zeit echt Respekt. Wir wurden mehrmals am Tag Zeugen davon, wie die Hundegang im Hof ihr Revier verteidigte und selbst im Hotelzimmer hörten wir oft grausame Heul- und Jaulgeräusche von Artgenossen, die wohl nicht so glimpflich davongekommen sind. Auch wenn wir unser Hotel niemandem weiterempfehlen würden (die Ausführungen dazu erspare ich euch), so waren die Hoteltage wie ein kleiner Urlaub vom Busleben für uns. Purer Luxus, einfach die Zimmertür schließen zu können und Ruhe zu haben. Marco ging zum Laufen in „Bob’s Gym“ und wir aßen häufig in einem Restaurant namens „Roma’s“. Neben diesen Bequemlichkeiten war eines unserer größten Highlights in Varanasi eine Bootstour, die am frühen Abend vom Dashashvamedh Ghat aus startete. Schon die Tuktuk-Fahrt zum Ghat war ein Erlebnis. Das Boot teilten wir hauptsächlich mit indischen Gruppen und Familien. Alle trugen Schwimmwesten. Nach der Fahrt auf dem Ganges blieben wir noch einige Zeit sitzen, um uns die Zeremonie vom Wasser aus anzugucken. Plötzlich breitete sich eine ganz besondere Stimmung aus, denn trotz der Menschenmassen trat auf einmal eine Ruhe ein, die ich so in Indien noch nie erlebt hatte. Alle Leute um uns herum wurden ganz still und verfolgten die Zeremonie oder waren mit sich selbst und ihren eigenen Gedanken beschäftigt. Eine Frau zerpflückte Blumengirlanden am Uferrand. Meditativ ließ sie Blütenblatt für Blütenblatt ins Wasser gleiten. Ein Moment der Stille, des Innehaltens, des Loslassens.

An unserem letzten Abend in Varanasi besuchten wir ein Fort, spazierten nach Sonnenuntergang rüber zur Feuerzeremonie am Assi Ghat und zogen danach weiter auf ein Straßenfest in Lanka. Dort aßen wir Streetfood und drängten uns durch die Menge auf einen der Schauplätze, wo in dieser Nacht riesige Figuren verbrannt werden sollten. Das Feuer warteten wir allerdings nicht ab, denn einen besonders sicheren Eindruck machte dieses feierliche Vorhaben nicht auf uns. Stattdessen freuten wir uns über die Straßenumzüge und Festwägen, auf denen gutgelaunte Menschen tanzten. Eine wirklich lustige Stimmung war das. Tja, und dann passierte noch etwas an diesem Wochenende. Während meiner Recherche nach alternativen Reiserouten (wir wollten ja auf meinen Wunsch hin die Verschiffung nach Südostasien noch einmal überdenken), musste ich leider feststellen, dass die Arabische Halbinsel mit Hund nichts wird. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Oman wären schon schwierig geworden, aber Saudi Arabien verweigert beim Touristen-Visum die Einreise mit Haustier komplett. So sehr wir unseren Hund lieben, auf einer Weltreise stößt man mit Vierbeiner so manches Mal auf Grenzen, die es ohne Tier nicht gegeben hätte. Als wir Struppi in Armenien adoptiert haben, bin ich auf Social Media Kanälen einigen Reisenden gefolgt, die mit Hund unterwegs waren. In Europa überhaupt kein Problem. Dass uns die Mitnahme eines Haustiers in anderen Teilen der Welt an der Weiterreise hindern würde, hätte ich überhaupt nicht gedacht. Und dennoch bin ich sehr glücklich darüber, dass wir diese kleine Hündin mit im Gepäck haben!

Struppi hatte sich bereits prima an ihre Flugbox gewöhnt. Das wichtigste ist, dem Hund in ganz kleinen Schritten die Kiste „schmackhaft“ zu machen, um sie als Rückzugsort positiv zu besetzen. Seit Nepal stellten wir die Box (zunächst ohne Gittertür) während der Fahrt zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, so hatte Struppi ihren neuen gepolsterten Fahrplatz (und uns dabei noch im Blick). Wenn wir dann einen Übernachtungsort gefunden haben, gingen Struppi und ich oft einem gemeinsamen Hobby nach: Straßenhunde und andere Tiere beobachten (auf dem Foto jagt ein Hunderudel einem frechen Affen hinterher)! Auf dem Weg nach Agra machten wir einen dreitägigen Halt in Lucknow. Die Hauptstadt des Bundesstaates Uttar Pradesh gefiel uns auf Anhieb. Irgendwie haben wir es mit größeren Städten, wenngleich die Gegend drumherum auch Brandenburg hätte sein können (oder vielleicht gefiel es uns genau deshalb so gut dort). Wäschewaschen, Wasserauffüllen, Laufengehen und ein bisschen Sightseeing (z.B. die Begum Kothi Moschee und das Stadttor Rumi Darwaza). Am letzten Tag stand unser Übernachtungsparkplatz nach einem Dauerregen komplett unter Wasser. Ein Zeichen, dass es für uns weitergehen sollte. Also: Auf nach Agra!

Es war Mitte Oktober 2022 und das Thema Rückreise wurde immer präsenter, schließlich sollte unser Indien-Visum in gut einem Monat ablaufen. Da unser Plan B (die Arabische Halbinsel) mit Hund nicht möglich war, brauchten wir einen Plan C als Alternative zur Verschiffung. Wir gingen nochmal alle Himmelsrichtungen durch: China (Norden) war immer noch geschlossen (seit Beginn der Corona Pandemie, d.h. bereits 3 Jahre lang). Die Grenzen zu Myanmar (Osten) waren ebenfalls dicht und das würde auch bis auf Weiteres so bleiben. Somit war es zum Zeitpunkt unserer Weltreise ein Ding der Unmöglichkeit über den Landweg nach Südostasien zu kommen (was ursprünglich mal unser Ziel gewesen ist). Nach Sri Lanka (Süden) wollten wir nicht, dort herrschten zu der Zeit schwierige Umstände und das tropische Klima lockte uns auch nicht gerade dorthin. Außerdem hätte es meinen damaligen Wunsch, eine Verschiffung zu umgehen, nicht gelöst – sondern die Rückreise bloß nach hinten verschoben (und dafür hatten wir keine Geduld mehr, weshalb auch eine zweite Einreise nach Nepal nicht mehr wirklich in Frage kam). Blieb auf dem Landweg also „nur“ noch die Heimfahrt Richtung Westen. Und wisst ihr was? Dieser Gedanke hat sich auf einmal richtig gut angefühlt. Einmal schnell Pakistan durchqueren, noch einmal ganz bewusst Iran genießen und unsere iranischen Freunde wiedersehen, in der Region Kurdistan im Norden von Irak ein neues Reiseland entdecken und schließlich im Süden der Türkei klettern gehen. Wir sind immer davon ausgegangen, dass es langweilig wäre „einfach umzudrehen“. Aber als wir die Entscheidung getroffen hatten, bekamen wir richtig Lust darauf, einige dieser Länder ein zweites Mal (und damit irgendwie neu) kennenzulernen. Tja, und dann folgten wir – fassungslos und traurig – den Nachrichten. Der Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 hatte eine Protestwelle gegen die autoritäre Regierung des Staates ausgelöst. Sie wurde von der islamischen Sittenpolizei festgenommen, weil angeblich ihr Kopftuch nicht richtig saß. Nach ihrer Festnahme wurde sie misshandelt und durch Polizeigewalt getötet. Im Oktober 2022 wurden die landesweiten Proteste immer heftiger und es kam zu zahlreichen Verhaftungen sowohl von Einheimischen als auch von Reisenden. Auch wenn wir den Menschen im Iran gerne beigestanden und am liebsten selbst mit auf die Straße gegangen wären, war uns die Rückreise durch Iran vor diesem Hintergrund zu risikoreich. Das bedeutete, wir kamen über den Landweg nicht mehr nach Hause und somit um eine Verschiffung nicht herum. Mit dieser Erkenntnis erreichten wir Agra, die Stadt mit dem Taj Mahal, der zu den berühmtesten Sehenswürdigkeiten von Indien zählt. Doch bevor es auf große Sightseeing-Tour gehen sollte, verbrachten wir einige Tage in einer ruhigen Gegend der Stadt (wo nur wenige Menschen, dafür umso mehr Affen vorbeikamen), schauten uns „zum Aufwärmen“ das Itmad-ud-Daula-Mausoleum an und bewunderten den Taj Mahal zunächst aus der Ferne von einem View Point aus. 

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