Manchmal muss man etwas wagen, um ans Ziel zu kommen. Das war unser Motto als wir das Zanskar Tal in Nordindien verließen und eine Schotterstraße erreichten, die uns über die beiden Gebirgspässe Singe La (knapp 5.000 Höhenmeter) und Sirsir La (ca. 4.800 Höhenmeter) nach Lamayuru bringen sollte. Diese Straße war in früherer Zeit nur ein Wanderweg, wurde inzwischen jedoch so weit ausgebaut, dass sie kurz vor unserer Fahrt als durchgängige Bergstraße für den motorisierten Verkehr passierbar geworden ist. Nun ist „passierbar“ ein sehr dehnbarer Begriff und wir konnten uns nicht sicher sein, ob unser Bus diese Route meistern würde. Aber einen Versuch war es Wert! Im schlimmsten Fall müssten wir umdrehen und die Strecke über Kargil zurückfahren, von der wir gekommen sind. Das heißt, drei bis fünf Tage mehr Fahrzeit einplanen. Ein kalkulierbares Risiko. Na gut, den Spritverbrauch konnten wir auch noch nicht ganz vorhersehen. Unterwegs wären wir komplett abgeschnitten und eine Tankstelle würde es im Gebirge nicht geben. Außerdem müsste das Wetter mitspielen, denn in den Bergen ist es schnell mal wechselhaft und starker Regen kann zu Erdrutschen führen, die zu einer echten Gefahr werden könnten. Das alles im Hinterkopf machte die Fahrt dann doch zu einem aufregenden Unterfangen. Aber schon mal vorab: Es ist (fast) alles gut gegangen! Besonders das erste Drittel der Strecke ist dann allerdings doch ganz schön gruselig gewesen. Auf der rechten Seite überhängende Felsen, auf der linken Seite eine tiefe Schlucht und die Schotterstraße war gerade mal breit genug für ein Fahrzeug.



Rückblickend betrachtet war es eine steile Passage noch vor (!) den beiden fünftausender Pässen, die unseren Motor beinahe ans Limit brachte. Aber eben nur beinahe. Im sogenannten „Kriechgang“ bewältigten wir den steilen Straßenteil langsam – aber unaufhaltsam! Die Fahrt über den Singe La war dagegen schon fast ein Klacks und wir fassten beim Frühstück mit anschließender Meditation auf der Passhöhe neuen Mut, dass sicherlich auch der zweite Pass so gut befahrbar sein würde. Die atemberaubende Gebirgsstraße führte uns in das süße Örtchen Photoskar, wo wir durch grüne Wiese spazierten und die Nacht verbrachten.















Auch die Passhöhe vom Sirsir La erreichten wir am nächsten Tag problemlos, wie es zunächst schien. Jedoch fiel uns kurze Zeit später – noch mitten im Gebirge – ein fieses Geräusch in der Bremstrommel auf. Nach einer ersten Inspektion durch Marco entschieden wir uns aber, mit dem Auseinanderbauen zu warten bis wir wieder zurück in der Zivilisation sein würden und fuhren vorsichtig weiter. Die steinige Landschaft war wunderschön und so vielseitig. Bald tauchten wir in eine Schlucht aus pastellfarbenen Steinen ein, machten einen erfrischenden Zwischenstop bei einer Hot Spring Shower und erreichten schließlich den malerischen Ort Lamayuru, wo wir uns für zwei Nächte niederließen und von der aufregenden Fahrt erholten.















Dann ging es weiter nach Leh. Dort nahm Marco im Werkstattviertel die Bremse auseinander, denn falls wir Hilfe benötigten, wären wir dort schon mal an der richtigen Adresse. Wir dachten bis zu dem Zeitpunkt, dass während der Passfahrt ein kleines Steinchen in die Bremstrommel geraten ist und die Geräusche verursacht hat. Es stellte sich jedoch heraus, dass eine Feder gerissen war, die lose herumflog und tiefe Schlieren in die Trommel gekratzt hatte (oder um es in Marcos Worten zu sagen: „Furchen in der Größe des Himalayas!“). Nachgebaut werden konnte die Feder im Werkstattviertel leider nicht und da wir uns mit Leh bereits in der Hauptstadt der Region Ladakh befanden, blieb nach einiger Recherche keine andere Lösung übrig als die Nachbestellung des Ersatzteils aus Deutschland. Wir machten uns also auf etwas Wartezeit gefasst und stellten unseren Bus im Hof vom Goba Guesthouse ab. Um die nachfolgende Geschichte ein wenig abzukürzen: Wir wissen jetzt, dass der Versand eines UPS-Expresspaketes von Deutschland nach Indien ganze 4 Wochen dauert – davon steckte das Päckchen sage und schreibe 3 Wochen beim Zoll in Indien fest!












Von August bis September 2022 war das Goba Guesthouse (bzw. der Stellplatz im Hof des Gasthauses) aufgrund der langen Paketwartezeit einen ganzen Monat lang unser Zuhause. Und um ehrlich zu sein habe ich diesen Stillstand wirklich sehr genossen, wenn nicht sogar dringend benötigt. Ich will jetzt gar nicht so viel über unseren Nicht-Reise-Alltag in Leh schreiben. Erwähnenswert ist vielleicht, dass dort die Podcast-Folgen („Auf Weltreise mit dem Bus“ Teil 2 und Teil 3) vom Podcast „Jessi’s Heldenreise“ entstanden sind, die ich unten im Artikel verlinkt habe. Im dritten Teil sprechen Jessi und ich über den Alltag, der auch beim Reisen einkehrt. Thematisch also ziemlich passend. Außerdem fuhr eines Tages der Dalai Lama auf dem Weg zu einem Termin in Leh gleich zweimal an unserem Gasthaus vorbei. Mit Blumenschmuck und weißen Tüchern warteten wir am Straßenrand zusammen mit der ganzen Gasthausfamilie auf sein Erscheinen und ich war erstaunt mit welcher Präsenz uns „his holiness“ – natürlich abgesichert durch Militär und Polizeiautos – aus dem Autofenster zuwinkte und anlächelte. Ein ganz rührender Augenblick. Tja, und dann ist in dieser Zeit noch etwas passiert. Ich habe festgestellt (oder mir vielmehr eingestanden), dass ich die Rückreise antreten will. Mehr als zwei Jahre auf Weltreise unterwegs zu sein ist schon eine verdammt lange Zeit und wir können ja nicht einfach einen Flug zurück nach Deutschland nehmen, sondern müssen den Weg selber fahren. Und das muss logischerweise viele Monate im Voraus geplant werden. Es folgten emotionale und ehrliche Gespräche mit Marco und wir einigten uns schließlich auf eine grobe Rückreisedauer von zwölf Monaten bis anderthalb Jahren (ja, auch das ist eine verdammt lange Zeit, erschien uns jedoch realistisch zu sein). Und damit startete eine neue Ära der Reiseplanung. Wir skizzierten Reiseoptionen, wägten Land- und Seewege ab, schrieben Verschiffungsfirmen an und recherchierten Einreisebedingungen für Mensch und Hund. Wir planten Zugreisen, organisierten für Struppi eine Transportbox und schlugen uns mit Quarantäne-Regelungen zur Einfuhr von Haustieren herum. Es gab plötzlich so viel zu tun und zu recherchieren und zu entscheiden, da vergingen die 4 Wochen Expresspaket-Wartezeit dann doch wie im Flug. Nach erfolgreichem Einbau des Ersatzteils verließen wir Anfang September 2022 die Stadt Leh und befinden uns seitdem – bewusst und voller Vorfreude – auf einer ziemlich langen Rückreise!












Hier noch einmal der Link zu den Podcast-Folgen „Auf Weltreise mit dem Bus“: