40 Grad und 1 Ventilator

Nach unserer eintägigen Zwangspause auf dem Polizeihof in Loralai, wo wir mit Tee und Keksen nur so überschüttet wurden und sich immer, wenn ich mit Struppi draußen vor dem Bus war, eine Selfie-Traube mit Polizisten um mich herum gebildet hat, fuhren wir allein weiter (d.h. natürlich mit polizeilichem Begleitschutz, aber ohne den Malteser). Marco war aufgrund seiner Lebensmittelvergiftung einen Tag lang fahrunfähig und deshalb verabschiedeten sich Frieda und Sebastian von uns. Wir wollten die beiden in Lahore wiedersehen. Marco lag so richtig flach und war von morgens bis abends nicht in der Lage aus dem Bett aufzustehen. Alle 20 Minuten klopfte es an unsere Bustür mit der Frage, ob Marco einen Arzt bräuchte. Man könne einen Doktor kommen lassen. Ich hielt die Stellung und sagte jedes Mal ab. Ganz freundlich erklärte ich jedem Besucher, dass Marco vor allem eines braucht: Ruhe zum Auskurieren! Und schon kam die nächste Person mit TUC-Keksen und Grüntee vorbei. Das war einerseits total lieb („It’s our duty to help“), andererseits kam zusammen mit dem Tee und der Frage nach ärztlicher Hilfe auch ständig die Frage, wann wir denn (endlich?) weiterfahren würden. Das fühlte sich nach einem höflichen Rausschmiss an. Mit diesem „Druck“ im Nacken und dem Fakt, dass Marcos Zustand am Nachmittag immer noch nicht besser war, ging ich zum Boss und sagte, dass wir nun doch gern auf das ärztliche Angebot zurückkommen würden. Als Antwort kam, man würde uns die Adresse geben, ins Krankenhaus müssten wir dann jedoch allein fahren. Haha, na da blieben wir lieber im Polizeihof stehen, schließlich brauchte Marco vor allem eines: Zeit und Ruhe zum Auskurieren! Abends ging es ihm glücklicherweise etwas besser und wir waren uns einig, dass er zumindest als Beifahrer den nächsten Fahrtag mitmachen könnte. Wie man auf dem folgenden Foto sieht, ging das gut und es folgte ein anstrengender aber schöner Eskort-Tag von Loralai bis Darazinda, der durch hübsche Natur und eine tolle Schlucht führte. Wir verließen Belutschistan und wurden von der Polizei nur einige Meter weit bis in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (kurz: KPK) gebracht. Dort wurden wir „abgesetzt“, mit den Worten es sei sicher hier und wir könnten allein weiterfahren. Als die Dämmerung einbrach und uns doch etwas mulmig bei der Platzsuche wurde, fragten wir bei einem eingezäunten Krankenhaus, ob wir auf dessen Hof übernachten dürften. Ein langes Gespräch mit dem HR-Manager sowie ein paar Stunden Wartezeit später wurden wir von der Polizei aus dem Bett geklopft und mussten ein noch längeres Gespräch über uns ergehen lassen. Die Polizisten waren aber sehr nett und ließen uns dort nächtigen. Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass mehrere bewaffnete Polizeimänner (ausgerüstet mit Feldbetten und Decken) die Nacht ebenfalls auf dem Krankenhaushof verbracht haben, um uns zu beschützen („It’s our duty to help“). So viel zum Thema es sei sicher in KPK. Zum Abschied verteilten wir ein paar Kaugummis und bedankten uns ganz herzlich für den Dienst. 

Ein weiterer Eskort-Tag (irgendwann habe ich aufgehört die Tage zu zählen) führte uns von Darazinda bis Jhang. Für eine Strecke von 100 Kilometern haben wir 4 Stunden gebraucht. Als wir KPK verließen und die Provinz Punjab erreichten, wurden wir bei einer Polizei-Stelle zum Lunch eingeladen während wir dem grimmig dreinguckenden, aber (mal wieder) sehr freundlichen Polizei-Chef unsere Dokumente vorzeigten und (mal wieder) etliche Fragen beantworteten. Landschaftlich wurde es langsam grüner. Kurz vor der Stadt Jhang verloren wir (mal wieder) unser Eskort-Fahrzeug. Diesmal weil wir dringend tanken mussten und es einfach nicht schafften uns durch hupen und winken und langsamer werden bemerkbar zu machen. Die sind einfach weitergefahren ohne auf uns zu achten. Na gut, dann fuhren wir halt in Eigeninitiative zur nächsten Polizei-Station und fragten, ob wir dort die Nacht verbringen dürften. Ein super netter Polizist (dem wir wohl schon während der Eskorte begegnet sind – sorry, aber es waren einfach zu viele wechselnde Gesichter in der ganzen Zeit) kam mit seinem Bruder vorbei und brachte uns Cola und Zigaretten. Die beiden waren extrem hilfsbereit und zuvorkommend. Nachdem man uns unseren Schlafplatz zuteilte schenkte uns der Polizist sogar noch frisch gepressten Orangensaft und ein paar Stangen Rohrzucker. Das war super lieb. Marco quatschte noch eine ganze Weile mit unserem Freund. Ich musste mich leider hinlegen, weil ich an dem Tag schlimme Magenbeschwerden bekam, die während unserer gesamten Zeit in Pakistan (2 Monate lang!) nicht aufhören sollten.

Die Soldaten in Jhang waren witzige Kerle. Nach einer Selfie-Session am Morgen (wir wurden ja ständig gefragt, ob man mit uns zusammen Fotos machen könne) drehte Marco den Spieß um und machte lustige Blümchen-Fotos mit den Männern. Anschließend konnten wir die Truppe sogar dazu bringen, ein Geburtstagsständchen für unseren Kumpel Tobias zu singen. Als wir uns lachend von allen verabschiedeten, drückte uns der Chef noch eine Pappbox mit leckeren Backwaren in die Hand. So ein tolles Frühstückspaket! Wir waren richtig gerührt und es war genau das, was wir brauchten, schließlich hatten wir noch einen letzten Eskort-Tag vor uns. Ein Glück kamen wir relativ schnell auf der Autobahn Richtung Lahore an. Dort wollte man uns zwar weiter eskortieren, aber wir hatten eine pakistanische Kontaktperson, die uns noch oft eine große Hilfe sein würde und die uns die Eskorte telefonisch vom Hals halten konnte: Unser lieber Hussain! Er ist Anwalt und wohnt auf einem tollen Grundstück in Sheikhupura in der Nähe von Lahore. Dorthin hat er uns eingeladen und wir waren mehr als glücklich über diese kleine Oase voller Gastfreundschaft mit Dusche, klimatisiertem Wohnzimmer, Stellplatz für Waldrian, Garten für Struppi, dreimal am Tag köstliches Essen (wir wurden mit den leckersten typisch-pakistanischen Speisen verwöhnt, um nicht zu sagen gemästet) und – last but not least – mit Hussain, dem besten Gastgeber, den man sich überhaupt vorstellen kann. Am ersten Abend haben wir noch einen gemeinsamen Ausflug in den Hiran Minar Park mit historischer Sehenswürdigkeit gemacht (unser französischer Reisefreund Vincent, den wir damals in Armenien kennengelernt haben, war auch dabei), den nächsten Tag benötigten wir dringend für uns, um nach den anstrengenden Eskort-Tagen vor allem eines zu tun: Ausruhen und Klarkommen! Und auch diese Zeit hat uns der liebe Hussain verständnisvoll gegeben. So ein toller Kerl und unser erstes gefühltes Zuhause in Pakistan. Wir sind sehr dankbar für diesen wertvollen Kontakt!

Dann ging es weiter nach Lahore. Eine Woche lang haben wir versucht bei Gerry’s Visa unser Visum für Indien zu beantragen – leider ohne Erfolg, es wurden uns ziemlich viele Steine in den Weg gelegt. Der Stadtverkehr war schlimm (überall Mopeds, Tuk-Tuk’s, Autos, LKW’s, Eselkarren, Menschen, Kinder, Kühe auf der Straße – und zwar kreuz und quer und jedes Fahrgefährt machte lautstark-hupend auf sich aufmerksam), aber mit der passenden Musik auf unseren Lautsprechern (natürlich ganz laut) wurden einige dieser Stadt-Fahrten zum Spaß unseres Lebens! Hatte ich erwähnt, dass wir seit Einreise in Pakistan mit durchgängig 40 Grad Außentemperatur zu kämpfen hatten?! Noch dazu mussten wir jeweils ab späten Nachmittag alle Fenster und Türen von Waldrian schließen, um den Bus möglichst frei von Mücken zu halten: Malaria lässt grüßen! Zusätzlich hängten wir jeden Abend vor’m Schlafengehen ein imprägniertes Mückennetz über unser Bett, denn trotz aller Bemühungen schafften es immer mal wieder ein paar dieser Viecher ins Businnere. Unsere zwei Wohnmobil-Fenster mit integriertem Mückengitter und ein Ventilator, der nachts durchlief und somit zumindest eine lauwarme Brise in unseren Wohnraum pustete, waren unsere Lebensretter. Auf dem Parkplatz einer Grünanlage trafen wir unsere Reisefreunde Frieda, Sebastian und Vincent wieder. In einer mehrstündigen Aktion hatten Marco und ich aus der versteckten Bar eines 5-Sterne-Hotels eine Runde Dosenbier für alle geholt. Dort eröffnete sich uns folgende Szene: Die Tür von der Bar im 5. Stock sah aus wie eine normale Hotelzimmertür, doch dahinter verbarg sich eine urige Spelunke mit Billardtisch, abgedunkeltem Licht, leichtem Zigarettenrauch in der Luft und – wie im Film – einem Barsmann mit Geschirrtuch in der Hand, der gerade ein Bierglas trockenrieb und einem Chinesen, der allein an der Bar vor einem halbleeren Krug saß. Nach vier Monaten alkoholfreiem Reisen durch Iran und Pakistan war das ein traumhafter Anblick für uns! Wir wären gerne nochmal mit den anderen zum Billardspielen hergekommen, doch das zu unserem Stellplatz gelieferte Takeaway-Essen (ebenfalls von einem 5-Sterne-Hotel) führte bei Marco und mir in der kommenden Nacht leider zu einer ziemlich fiesen Lebensmittelvergiftung (ja, für den armen Marco schon zum zweiten Mal), die uns den Rest der Woche nicht mehr losließ. Es war Mitte April 2022 als wir von Lahore bis nach Islamabad fuhren (1 Tag, 40 Grad, 380km, alles Autobahn), wo wir Marcos Arbeitstage verbrachten und es endlich schafften, die Dokumente zur Beantragung unseres Indien Visums einreichen zu dürfen. Auch in Islamabad scheiterten unsere mehrtägigen Versuche bei Gerry’s Visa, sodass wir die Agentur wechselten und schließlich bei Visatonix innerhalb eines Tages die Einreichung unserer Dokumente erfolgreich eintüteten. Da uns voraussichtlich einige Wochen Wartezeit bevorstanden bis wir von der Indischen Botschaft eine Antwort zu erwarten hatten, konnten wir uns nun endlich in Richtung Norden begeben, wo die Berge und somit ein milderes Klima auf uns warteten. 

Die Fahrt über Abbottabad, an schönen Berglandschaften vorbei, durch Wälder, entlang dem malerischen Karakoram Highway, mal mit und mal ohne Polizei-Eskorte (ein Teil der Strecke führte wieder durch KPK), dauerte mehrere Tage. Ich erinnere mich an eine unangenehme Nacht auf einem Polizeihof, wo nervige Kinder und zähnefletschende Hunde uns umzingelten (irgendwann erklärte uns einer der Polizisten, wir könnten zwar über Nacht bleiben, aber nur „at your own risk“). Ein anderer Übernachtungsplatz in der Nähe von Dassu war dafür umso schöner mit tollem Brückenspaziergang und der abendlichen Einladung zum Fastenbrechen bei der Familie von einem Lehrer (wir sind allerdings nur den männlichen Familienmitgliedern begegnet, die Frauen essen in dieser Region des Landes traditionell separat – erklärte man uns auf Nachfrage). 

Ein weiterer Fahrtag führte uns bis kurz hinter Chilas. Auf der ereignisreichen Strecke beobachteten wir ein Wettrennen zwischen Hühnerwagen und Coaster-Omnibus, die sich immer wieder gegenseitig überholten und die Fahrbahn schnitten. Bei einem Manöver wäre der stark schwankende (weil vermutlich völlig überladene) Coaster fast gegen eine Felswand gekracht, woraufhin wiederum überholt und zum Abbremsen gezwungen wurde, ein Streit ausbrach und der wütende Coaster-Fahrer mit einem Stein vom Wegesrand bewaffnet auf den Hühnerwagenfahrer losging. Ein paar schaulustige Mitfahrer konnten die beiden jedoch mutig voneinander abbringen. Später warteten wir aufgrund einer Sprengung in einer langen Autoschlange und freuten uns über fotoschießende, posierende Soldaten. Noch etwas später standen wir wieder in einer Warteschlange. Diesmal handelte es sich um einen verunfallten LKW, der als Hindernis auf der Straße lag und von den geländegängigen Fahrzeugen aus der Schlange umfahren wurde. Marco erntete anerkennende Blicke als auch wir mit Waldrian das Hindernis gekonnt überwanden. Es war immer noch ziemlich heiß. An einer Wasserstelle duschten sich etliche Männer (teilweise in ihren kompletten Anziehsachen) unter einem Rohr neben der Straße ab. Marco tat dies in seiner Badehose. Wir waren froh zu sehen, dass auch einer der Hühnertransportfahrer den armen Tieren mit einem Eimer schöpfend etwas Abkühlung verschaffte. Der Tag endete an unserem ersten „freien“ Natur-Stellplatz seit Wochen: An einem Fluss mit hölzerner Hängebrücke, wo wir den Tag mit einem Struppi-Spaziergang ausklingen ließen.

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