Nepal in zwei Wochen

Normalerweise berechnen wir unsere Reisedauer pro Land in Monaten. Für Nepal haben wir nur zwei Wochen kalkuliert. Warum? Das fragen wir uns im Nachhinein auch 🙂 Aber natürlich hatten wir unsere Gründe, es war eine Mischung aus Termindruck, Ungeduld und Größenwahn. Nach zwei Jahren Weltreise hatten wir im Norden Indiens beschlossen uns auf den Heimweg zu machen. Einfach nur umdrehen kam für uns jedoch nicht in Frage. Wir wollten auf dem Rückweg noch mehr Länder sehen und verfolgten den Plan, vor Ablauf unseres Indien-Visums von Mumbai nach Südostasien zu verschiffen. Wie es von dort aus weitergehen würde? Kein Plan, viele Wege führen nach Hause. Trotz Zeitdruck wollten wir uns Nepal auf der aktuellen Route nicht entgehen lassen. Und so drehten wir von Mitte bis Ende September 2022 eine „schnelle“ Runde durch das nepalesische Land. 

Wir reisten im Westen des Landes nach Nepal ein. Den Grenzübergang erreicht man über eine ganz schmale Brücke. Für Autos ist das eine Einbahnstraße, d.h. man kann von Indien nach Nepal fahren, aber nicht zurück. Es war mit Abstand die entspannteste Grenze, die wir bis dahin erlebt hatten. Eigentlich war es auf nepalesischer Seite eher ein ganz normales Dorf, wo zufällig auch Zoll- und Grenzgebäude waren. Das Immigrationsbüro sah aus wie ein Wohnhaus mit Vorgarten und auch der Beamte schien bei unserer Ankunft am frühen Nachmittag mit ganz anderen Dingen als seiner Arbeit beschäftigt zu sein. Wir warteten einige Stunden bis wir unser „Visa on arrival“ beantragen konnten, übernachteten in unserem Bus vor dem Büro am Straßenrand und fuhren am nächsten Morgen auf einer Landstraße (und gleichzeitig die Hauptverkehrsstraße des Landes), die das blühende Leben war. Schulkinder, Fahrradfahrer, Fußgänger, Wasserbüffel, Tuktuk’s, Busse, LKW’s – und kaum ein Auto unterwegs. Die Natur erschien uns sehr viel grüner als in Indien und weil wir richtig Lust auf Natur und Tiere bekamen, wollten wir in den Bardia Nationalpark. Witzigerweise lernten wir bei unserem ersten Übernachtungsstop im Restaurant einen Kellner kennen, den wir am nächsten Tag auf halber Strecke mitnahmen. Er zeigte uns, wie wir in den 40km/h Zonen („Wildlife Crossing“) ein Zeit-Ticket bekamen. Man muss auf der Straße dann vorsichtig fahren und mit Rückgabe des Tickets zeigen, dass man das Gebiet wieder verlassen hat (vermutlich um das illegale Jagen von Wildtieren zu unterbinden). Tatsächlich liefen uns auf dieser Straße ein paar Füchse und Echsen über den Weg. Dann erreichten wir Bardia. Wir hatten uns diesen Nationalpark ausgesucht, weil es dort mit etwas größerer Wahrscheinlichkeit Tiger zu sehen geben sollte und unternahmen eine vierstündige Jeep-Tour. Wir sahen Rehe, Hirsche, Wildschweine, Affen, Vögel, Adler und an einem Baum sogar frische Kratzspuren eines Tigers zur Reviermarkierung – doch die Raubkatzen blieben gut versteckt. Am Schluss führte uns der Guide noch durch eine Krokodil-Aufzuchtstation, zeigte uns ein Pflege-Nashorn und wir erblickten ein paar – leider an Ketten gefesselte – Elefanten. Da war uns der freilaufende, gut versteckte Tiger dann doch lieber. 

Das Wetter war zu dieser Jahreszeit ziemlich schwül. Einmal regnete es so stark, dass wir eine Fahrpause einlegten. Zwei Mopedfahrer, die anhielten um sich schützend unter einen Baum zu stellten, luden wir zu uns in den Bus ein. Bei dieser Begegnung lernten wir, dass der typisch nepalesische Hut eine Bedeutung hatte: Die Hutspitze symbolisiert die Spitze des Himalayas. Abends gingen wir oft ins Restaurant (selber kochen im heißen Bus macht einfach keinen Spaß) und suchten unsere Stellplätze bevorzugt nach Essensmöglichkeiten aus. Eines dieser Restaurants war besonders lustig, dort stand auf einmal die ganze Großfamilie lachend um Struppi und mich herum und alle Frauen wollten mit mir ein Foto machen (ich vergaß bei dem Trubel leider selbst zu fotografieren), dann begleiteten mich zwei Jungs auf der Gassirunde durchs Dorf und nach dem anschließenden Abendessen (es gab ein leckeres Thali und im Restaurant waren wir die einzigen – es wurde glaube ich extra für uns geöffnet) kam noch ein junges Mädchen aus der Küche, freute sich über unsere Komplimente und bat mich zum Abschied ganz schüchtern und niedlich zuerst um ein „Hug me!“ und dann um ein „Kiss me!“. Eine Umarmung und ein Küsschen auf die Wange bekam sie natürlich gern von mir. Die weitere Fahrt führte uns über Butwal nach Pokhara durch grüne und hügelige Natur. An einem Wasserfall machten wir eine kurze Duschpause. In Pokhara schlemmten wir echten Käse (immer wieder eine Rarität auf Reisen) und aßen in einem veganen Café gleich zweimal (einmal abends und einmal zum Frühstück). Oh ja, das sind die Vorzüge einer Touristenstadt. Wenngleich solche Städte immer eine Hass-Liebe in uns auslösen, denn als Overlander bevorzugen wir das Reisen durch einsame Naturlandschaften oder das waschechte Leben in Nähe zu Einheimischen – ohne den Touristenstempel auf die Stirn gedrückt zu bekommen. In Pokhara gab es leider einige solcher „Touristenstempel-Situationen“ und noch dazu fühlten wir einen inneren Zeitdruck aufkommen, weshalb wir entschieden direkt Richtung Kathmandu weiterzufahren. Im Nachhinein würde ich Überlandreisenden allerdings empfehlen viel mehr Zeit für Nepal einzuplanen und unbedingt solche Möglichkeiten wie den mehrtägigen Annapurna Trek wahrzunehmen. Wir haben es in den zwei Wochen gerade mal geschafft die Runde (über meist holprige Straßen) durch das Land zu fahren, konnten (und wollten) es uns aber nicht erlauben mehrere Tage an einem Ort zu verbringen, was rückblickend echt schade war. Zwischen Pokhara und Kathmandu übernachteten wir in dem Bergstädtchen Bandipur. Dort gefiel es uns ziemlich gut und von da stammen auch die nachfolgenden Fotos. Wir wanderten morgens im Nebel hinauf zum Thani Mani Viewpoint, schauten uns mittags die Altstadt an und gaben den Kindern vom Gasthaus gegenüber eine kleine Führung durch unseren Bus, bevor es auch schon wieder weiterging. 

Ich hatte vermutet, dass die Straßen besser werden würden, je näher wir Kathmandu kamen. Aber das Gegenteil war der Fall. Die Hauptverkehrsstraße des Landes glich einer schlaglöchrigen Huckelpiste. Die LKW-Dichte nahm stetig zu, genau wie die waghalsigen Überholmanöver. Ganz zu Schweigen von den ständig laut kreischenden Hupen. Es tut mir wirklich leid, aber ich habe Nepal als das Land mit den schlimmsten Verkehrsbedingungen in Erinnerung. Langsam, laut und mit den Nerven am Ende schraubten wir uns den Weg in Richtung Hauptstadt hoch. Und da wir inzwischen wieder auf 1.000 Höhenmetern oben waren, wurde zumindest das Wetter etwas erträglicher. In Kathmandu angekommen erwarteten uns dann Smog und sehr viele Autos. Ich weiß noch wie mir die Augen während der Fahrt von den ganzen Abgasen brannten. Wir holten nur schnell unser neues Carnet (ein internationales Zolldokument, das für das Reisen mit eigenem Fahrzeug in vielen Ländern notwendig ist) von der Post ab und fuhren sofort aus der Innenstadt raus an den Stadtrand. Dort fanden wir einen angenehmen Übernachtungsplatz neben einem kleinen Shiva Schrein, von wo aus wir fußläufig in die Altstadt von Bhaktapur gelangten. Mit ihren Tempelanlagen und mit Holzreliefs verzierten Wohnhäusern gehört Bhaktapurs Architektur zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es gab so viel zu entdecken und in den Gassen zwischen den Steinhäusern herrschte eine magische Atmosphäre. Zur Feier eines 100-Jährigen zog eine Parade mit Pferdekutsche an uns vorbei. Dann erreichten wir ein Tor und stellten fest, dass man in den großen Tempelbereich der Stadt nur mit Eintrittskarte reinkam. Weil wir jedoch bloß ein bisschen Schlendern wollten und den Kopf nicht frei hatten für eine ausgiebige Tempeltour, entschieden wir uns dagegen, denn der Eintritt war ganz schön teuer. Eigentlich schade, aber das zeigt sehr deutlich wie reisemüde wir zu dem Zeitpunkt schon gewesen sind. Einerseits wollten wir Nepal schon immer gern bereisen und deshalb unbedingt die Chance nutzen, dieses Land auf unserer Reise durch Zentralasien im eigenen Fahrzeug zu entdecken. Andererseits kostete ein normaler Fahrtag zu diesem Zeitpunkt so unglaublich viel Kraft, dass wir die Schönheit des Landes gar nicht so richtig wertschätzen konnten. Das sind die Kehrseiten einer Weltreise. Am Ende gibt es beim Langzeitreisen – genau wie in anderen Lebensphasen – Zeiten, in denen alles glatt und leicht verläuft, und ebenso Zeiten, in denen einem der Alltag etwas schwerer vorkommt. Gut zu wissen, dass auch das vorrüber geht.

Bevor es für uns auch schon wieder nach Indien zurück gehen sollte, wartete noch ein selbstgemachtes Problem darauf gelöst zu werden. Selbstgemacht deshalb, weil wir uns rückblickend den Stress komplett hätten sparen können (schon interessant wie oft ich in diesem Beitrag das Wort „rückblickend“ benutze). Aber unser Gehirn ist nunmal eine Problemlösemaschine und wir waren einfach zu verkopft statt auf unser Glück zu vertrauen. Für die Rückkehr nach Indien hatten wir ein Visum mit Double-Entry im Pass. Soweit, so gut. Jedoch standen als Entry-Ports nur die Landgrenze zu Pakistan und der Flughafen Delhi in unseren Pässen. Deshalb fuhren wir zur indischen Botschaft nach Kathmandu und baten darum, die nepalesische Landgrenze in unser Visum hinzuzufügen. Denn sonst würden wir womöglich Probleme bei der Einreise nach Indien bekommen. Leider wurden wir von der indischen Botschadt zum Visa-Service nebenan geschickt und vom Visa-Service nach stundenlanger Warterei in brütender Hitze ebenfalls wieder weggeschickt mit der Aussage, das ginge nicht und wir müssten ein komplett neues Visum beantragen (was mindestens 3 Wochen dauern würde). Diese Info eskalierten wir dann erneut in die Botschaft, gerieten jedoch an einen Diplomaten, der das Gespräch (das übrigens im Eingangsbereich telefonisch stattfand, weil man uns nicht ins Gebäude lassen wollte) mit einem ins Telefon schreienden „You won’t get a visa!“ beendete und einfach auflegte. Okay, das war nicht besonders diplomatisch. Wir beschlossen daraufhin, einfach zur Grenze zu fahren und es zu probieren. Diesmal erwischten wir sogar eine echt schöne und wenig befahrene Bergstraße, machten eine Badepause bei einem Fluss und genossen tibetisches Essen. Kaum verloren wir an Höhe, war das Wetter sofort wieder schwül. Mich machte die Gesamtsituation ganz schön fertig und in der folgenden Nacht brachen enorme Zweifel über mich ein. Hatten wir uns übernommen? War der selbstauferlegte Zeitdruck zu krass? Waren die Pläne unser Fahrzeug zu verschiffen und mit Hund zu fliegen nicht absurd? Marco reagierte lieb und verständnisvoll. Wir einigten uns darauf, die Verschiffungsfrage noch einmal zu überdenken. Da auch die Unsicherheit des bevorstehenden Grenzübergangs an uns nagte, setzten wir die Reise aber zunächst fort wie geplant und fuhren zur Grenzstadt, um unser Glück bei der Einreise nach Indien auf die Probe zu stellen. 

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