Julley, Zanskar!

Ende Juli 2022 kamen wir in der wahrscheinlich abgelegensten Gegend in ganz Indien an: Im Zanskar Tal in der Region Ladakh. Das Tal war bis zuletzt nur über eine schlecht befahrbare Straße von Kargil aus zu erreichen (über diese Straße sind wir auch hingefahren). Das wird sich bald ändern, denn in Zukunft sollen drei Highways nach Zanskar führen und den Tourismus ordentlich ankurbeln. Das könnte Fluch und Segen zugleich sein. Wir waren jedenfalls überglücklich, dass wir die Chance bekamen, das Zanskar Tal noch in seiner sehr ursprünglichen Form erleben zu dürfen. Wir ließen uns zunächst in Padum, dem größten Ort in der Gegend, neben einer eingezäunten Wiese gefüllt mit Gasflaschen nieder. Unser Kochgas musste mal wieder aufgefüllt werden, was am nächsten Morgen ein netter Mönch für uns erledigte. Gegenüber von diesem Platz war eine Kneipe, die Bierdosen verkaufte. In den vergangenen Wochen ein seltenes Gut für uns, daher stießen wir ausnahmsweise bereits am Nachmittag mit Frieda und Sebastian auf die erfolgreiche Fahrt nach Zanskar an. Auf Internet konnten wir uns in der gesamten Bergregion nicht verlassen und so trennten wir uns vom Malteser und erkundeten die Gegend vorerst auf eigene Faust. Das erste Kloster, das wir besichtigten, war die Stongdae Gompa mit einem herrlichen Blick ins Tal. Zum Essen und für kleinere Erledigungen fuhren wir immer wieder nach Padum. Es gab dort etliche Restaurants, die eine fantastische Tibetische Küche anboten. Zu unseren Lieblingsspeisen wurden: Momos, Thukpa, Thenthuk und Yak Käse.

In Padum lernten wir ein deutsches Paar kennen, mit dem wir uns abends zum Essen verabredeten. Die beiden kamen nun schon seit 18 Jahren zum Urlaub nach Indien. In Zanskar waren sie zum zweiten Mal und – wie wir – überaus begeistert. Sie schwärmten von der Karsha Gompa, das wichtigste und größte Kloster der Region, prominent am Hang eines Felsens gelegen. Das sollte unser nächstes Ziel sein. Auf der steilen Fahrt hinauf in die hochgelegene Ortschaft sahen wir einige Frauen mit schwer bepackten Weidekörben auf den Schultern. Am Fluss neben dem Dorfplatz, auf dem wir uns hinstellten, wusch ein Mädchen Geschirr. Die Gebetsmühle gegenüber von unserem Stellplatz wurde von einigen Kindern als Spielplatz genutzt und von vielen Erwachsenen mit Ruhe und Bedachtheit im Vorbeigehen gedreht bis die Glocke mehrmals läutete. Als wir am späten Nachmittag die unzähligen Treppenstufen zum Kloster hochstiegen, trafen wir Inge und Holger (das deutsche Paar) wieder und begegneten einigen Mönchen in ihren roten Roben. Ab und zu schwangen Trommelklänge und Gesänge aus benachbarten Gebäuden zu uns herüber. Eine friedliche Stimmung. Beim Hinabsteigen sprachen uns zwei Kindermönche an und zeigten uns die Gemeinschaftsräume in ihrer Behausung. Im Gegenzug war klar, dass die Kinder auf dem Dorfplatz natürlich ebenfalls gern einen Blick in unseren Bus werfen durften.

Nach einer ruhigen Nacht und einem regnerischen Morgen stiegen wir zum Frauenkloster nebenan hoch. Von hier aus hatte man einen tollen Blick auf die am Hang gebauten Häuser. Etliche Stupas zierten die Felslandschaft. Zurück am Bus kam die Sonne wieder raus und wir fuhren zum Pizzaessen nach Padum (von der „Yak Cheese Pizza“ konnten wir nicht genug bekommen). Es waren so wunderbar entspannte Tage. Wir hatten mit dem gemeinsamen Meditieren begonnen und Marco war fleißig dabei, ein Buch über den Buddhismus zu verschlingen (am Ende ist er dann doch nicht konvertiert, aber zwischendurch stand mal kurzzeitig ernsthaft die Frage im Raum, ob er nicht vielleicht Buddhist werden möchte).

Bei der im Tal gelegenen Sani Gompa beobachteten wir an einem Nachmittag ein besonderes Spektakel. Auf dem Gründstück nebenan fand eine Feierlichkeit statt. Es wurde Essen verteilt und viele Menschen saßen auf Teppichen und Polstern in kleinen Gruppen verteilt im Hof auf dem Boden. Immer wieder liefen Leute – teilweise äußerst festlich gekleidet – im Uhrzeigersinn um die Gompa herum und an unserem daneben parkenden Bus vorbei. Einer der Gäste hatte wohl zu tief ins Glas geguckt und stolperte ins Gebüsch. Wir brachten ihm ein Glas Wasser und halfen ihm auf die Beine zurück. Als wir die Feier am Abend erneut aus der Ferne beobachteten kam ein Mann auf uns zu und ludt uns auf einen Becher Chang (ein selbstgebrautes Bier aus Gerste) ein. Sein Name war Sam und dank seiner guten Englischkenntnisse erfuhren wir, dass es eine Hochzeit war, die an verschiedenen Orten über mehrere Tage hinweg gefeiert wurde. Hier bei der Sani Gompa richtete die Familie der Braut das Fest aus, wobei diese bereits auf der Feier beim Bräutigam anwesend war. Sam stellte uns der Gastgeberfamilie vor und gab uns eine persönliche Hausführung. Wir bekamen eine Flasche Arak (selbstgebrannten Schnaps) in die Hand gedrückt, besichtigten den Brennkeller, das Wohnzimmer, den Gebetsraum sowie ein separates Zimmer, zu dem nur Mönche und exklusive Gäste Zugang erhielten – welch eine Ehre für uns! Wir tanzten mit singenden Frauen zu Trommelklängen im Hof und durften zu späterer Stunde die leckere Thukpa Suppe mitessen, die aus Blecheimern mit riesigen Suppenkellen geschöpft wurde. Wir waren unglaublich dankbar, eine tibetische Hochzeitsfeier so nah miterleben zu dürfen und mit Sam einen so wunderbaren Menschen getroffen zu haben, der uns allen vorstellte und uns überall herumführte. Später fuhren wir zusammen noch ein paar Straßen weiter zur Jugendfeier. Auch hier gab es eine Führung durch das traditionelle Haus, in dem unten die Tierställe und oben der Wohnbereich war. Neben dem Gebetsraum, in dem es so viel zu entdecken gab als wäre man in einem Museum, gab es eine Kammer mit getrockneten Kuhfladen zum Heizen für den langen Winter. Im Wohnzimmer tanzten die jungen Leute im Kreis und wir reihten uns fröhlich ein. Als krönenden Abschluss nahm uns Sam schließlich noch zur Hauptveranstaltung mit, die in einem Nachbardorf auf dem Hof von der Familie des Bräutigams stattfand. Dort erblickten wir zum ersten Mal das Brautpaar in ihrem Festzelt, in dem bei unserer Ankunft gerade ein Geschenkerufer den Gästen laut verkündete, wer dem Brautpaar welches Geschenk mitgebracht hatte (darunter waren auch viele Lebensmittelschenkungen wie zum Beispiel Brot oder kiloweise Butter). Die Braut war verschleiert, weil sie an diesem Tag ihre Familie verlassen musste, um ab sofort bei der Familie des Ehemanns zu leben. So eine große Veränderung in dem jungen Alter ist sicherlich eine emotionale Herausforderung. Ich wurde ermutigt, der Braut meine Glückwünsche auszusprechen und so ging ich zu ihr und wünschte ihr alles Gute. Für einen kurzen Moment lüftete sie ihren Schleier und wir blickten uns an. Ich hoffe, dass ich ihr meine guten Wünsche auf eine mitfühlende Art und Weise auf den Weg geben konnte. Anschließend zeigte uns Sam noch den Küchenbereich, der draußen neben dem Haus eingerichtet war. Riesige dampfende Töpfe auf Gaskochern, die einen herrlichen Anblick boten. Prompt wurden uns Roti und ein Buttertee in die Hand gedrückt. Danach durften wir Sam in den Mönchsraum begleiten und fühlten uns erneut äußerst geehrt in den Privilegiertenkreis eingeladen zu sein und mit den Gastgebern sprechen zu dürfen. Einige Männer in dieser Runde trugen schmuckvolle Amulette und rotgefärbte Wollmäntel. Nach einem letzten Becher Chang und ein paar leckeren Snacks aus Nüssen und getrockneten Früchten verabschiedeten wir uns glücklich in die kalte Nacht. Kaum zu glauben, dass die „große Party“ erst am nächsten Abend stattfinden sollte (da die Hochzeitsfeier wie gesagt mehrere Tage andauert), der wir natürlich auch einen Besuch abstatteten und dabei ganz herzlich auf Teppiche gebettet und von mehreren Damen mit Chang abgefüllt wurden, ein leckeres Essen miterlebten und amüsante Gespräche mit der gutgelaunten Jugend führten.

Zwischen den Feierlichkeiten genossen wir die wohltuende Ruhe im Zanskar Tal, besichtigten die Sani Gompa noch von innen, gingen spazieren und machten eine gemeinsame Wiesenmeditation in der Nähe einer riesigen Buddha Statue. Wir sogen die einzigartige Stimmung von „Klein-Tibet“ im indischen Hochgebirge auf und freuten uns in jeder einzelnen Sekunde einfach nur an diesem wundervollen Ort zu sein. Was für ein Geschenk, den tibetischen Buddhismus in diesem ganz besonderen Tal auf unserer Reise kennengelernt und ein kleines Stück miterlebt haben zu dürfen.

Dann läutete Marcos bevorstehende Arbeitswoche unseren Abschied von Zanskar ein. Bei der kaum vorhandenen Internetverbindung in dieser abgelegenen Region war zuverlässige Online Arbeit unmöglich. Wir drehten eine letzte Runde, fuhren dabei ins südliche Tal, um unsere letzte Gompa anzuschauen und besichtigten eine beeindruckende Klosterruine in Zangla, die in den Höhen einer Bergwüste trohnt. Da alle Tankstellen um Umkreis keinen Sprit mehr hatten, mussten wir nach Padum zurückfahren und einen Tag lang auf Diesel warten. Die Zeit nutzten wir, um noch einmal Thenthuk Suppe und gedämpfte Momos zu essen. Dann traten wir vollgetankt und vollgefuttert unsere Fahrt Richtung Leh mit gemischten Gefühlen an. Wird Waldrian die neu entstandene und erst dürftig ausgebaute Bergstraße von Padum nach Lamayuru über zwei fünftausender Pässe schaffen?

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