Auf den Hund gekommen.

Vom goldenen Oktober war in Armenien nichts zu sehen. Unsere erste Woche im neuen Reiseland war durchgängig grau, düster und regnerisch. Die Gegend im Norden um Alawerdi erinnerte an Ostcharme und Rostcharme. Tatsächlich waren alle Häuser und Gebäude mit roströtlichen Backsteinen gebaut. Die Wiesen waren matschig und es dauerte nicht lange bis wir uns in den ersten Tagen in einem Tal festfuhren. Glücklicherweise schafften wir es kurze Zeit später wieder selbst heraus. Wir fanden ein sympathisches Restaurant, in dem wir uns zwei Abende hintereinander den „Homie-Wein“ schmecken ließen, eine urige Ausstellung im Felsen besichtigten und von einer lustigen Gruppe zum Tanzen aufgefordert wurden. Am zweiten Abend musste etwas an dem Frischkäse, den nur ich gegessen hatte, schlecht gewesen sein. Jedenfalls konnte ich die Fahrt zur Kobayr Klosterruine am nächsten Tag nicht wirklich genießen, sondern hing irgendwann „über der Schüssel“. Mir ging es so übel, dass Marco abends in Wanadsor alleine essen gehen sollte (ich hätte Essensgeruch im Bus nicht ertragen können). Er war so lieb und brachte mir aus der Apotheke eine Pille mit. Ja, tatsächlich eine einzelne Tablette ohne Verpackung und nichts. Hat geholfen, ich fühlte mich zwar weiterhin elend, aber mir war nicht mehr schlecht und so konnten wir nach einem halben Ruhetag weiter nach Dilijan fahren.

Es war nicht nur regnerisch, sondern wurde auch zunehmend kälter. Nord- und Zentralarmenien liegen relativ hoch oben und für die Region um den Sewansee waren bereits eisige Temperaturen angekündigt. Als wir dort waren, schneite es allerdings noch nicht und wir fanden abends kurz vor Dämmerung einen Platz direkt am See. Ein Privatgelände, wie sich im Dunkeln schließlich herausstellte. Doch wir hatten Glück: Die Besitzerin (eine Lehrerin) sprach fließend Deutsch und freute sich über unseren zufälligen Besuch. Wir durften auf dem Grundstück bleiben und sollten uns wie zu Hause fühlen. Ihr armenisch sprechender Mann schwamm am nächsten Morgen sogar eine Runde im See. So mutig sind wir nicht gewesen. Aber ich hatte kurz darauf sowieso nur noch Augen für die niedlichen Hundebabies. Es kam nämlich eine Hundemama mit ihrem fünfköpfigen Wurf vorbei und ich war ganz froh, dass Marco noch einige Stunden Laptoparbeit vor sich hatte. So konnte ich den ganzen Vor- bis Nachmittag Zeit mit der Hundefamilie verbringen. Es wurde gespielt, gesäugt, herumgetapst, sich saubergemacht. Das Hundefutter, das ich der Mutter hingeworfen hatte, überließ sie größtenteils ihren Schützlingen. Die Mama war ganz liebevoll zu den Kleinen und irgendwann folgten alle ihrer Mutter zum Trinken an das Seeufer. Und dann passierte es. Da gab es diesen ganz besonderen Moment zwischen mir, der Hundemama und dem einen kleinen Hundebaby, auf das ich schon die ganze Zeit ein besonderes Auge geworfen hatte. Da gab es diese Abmachung zwischen der Hundemama und mir. Zumindest bilde ich mir ein, dass sie ihr Hundekind sehr wohlwollend präsentiert und geradezu auffordernd zu mir rübergeschoben hat. Bis zu dem Zeitpunkt war ich überzeugt davon, dass Hundewelpen vor allem eines brauchen – ihre Hundemutter. Aber wann ist eigentlich der Zeitpunkt des Loslösens? Wann wäre ein guter bzw. ein angemessener Zeitpunkt Muttertier und Welpe voneinander zu trennen? Wann wäre eine Trennung vielleicht sogar förderlich für die weitere Entwicklung – sofern das Hundekind zukünftig in einer Menschenfamilie großwerden soll? Frage ich mal Marco, dachte ich mir. Und wurde auf einmal ganz schön nervös, weil ich vermutete, dass er generell dagegen sein würde, einen Hund zu adoptieren. War er aber nicht. Im Gegenteil, er nahm die Flausen aus meinem Kopf ziemlich locker auf und wies zwar auf jegliche Gegenargumente hin, jedoch war er gerne bereit dazu, sich in den kommenden Tagen gemeinsam mit mir Gedanken darüber zu machen, was so ein Hundebaby alles braucht, was es für Verantwortung mit sich bringt und was das für uns und unser (Reise-)Leben bedeuten würde.

Wir ließen der Deutschlehrerin einen Brief mit meiner Nummer zurück, fuhren jedoch vorerst ohne Hundebaby nach Jerewan. Ein paar Tage Bedenkzeit mussten bei so einer großen Entscheidung schon sein. In der Hauptstadt wartete dann endlich das goldige Oktoberwetter auf uns, nach dem wir uns sehnten. Noch dazu fanden wir einen idyllischen Platz in einer Schlucht mit Fluss, der mitten durch die Stadt führt. Mit den Rädern waren wir durch einen Tunnel schnell im Zentrum, wo wir unter anderem die Blaue Moschee und das Modern Art Museum besuchten. Dann endlich meldete sich die Deutschlehrerin per Whatsapp bei mir. Gerne dürfen wir ein Hundebaby mitnehmen, schrieb sie. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn meine Gedanken kreisten ständig um den Hund und die Hoffnung auf eine positive Antwort. Plötzlich war sie da und ich war mega aufgeregt. Marco freute sich auch so sehr wie ich und er hatte sogar einen Namensvorschlag, den ich sofort befürwortete: Unser kleines Hündchen soll Struppi heißen.

Wir verabredeten uns mit Julia, der Deutschlehrerin, zur Abholung am nächsten Tag. Die Fahrt von Jerewan nach Sewan verging wie im Flug und wir waren zwei Stunden zu früh da. Egal, so konnten wir noch Zeit mit den Hunden allein verbringen, Vertrauen aufbauen und Struppi im Beisein der Mama ein bisschen an den Bus gewöhnen. Als Julia mit ihrem Mann Chazhak ankam, luden sie uns noch zu Kaffee und Kuchen ins Haus ein. Es war ein richtig schöner Nachmittag und wir haben die Einladung sehr genossen. Beim Abschied draußen nahm ich Struppi wie selbstverständlich auf den Arm und das Hündchen fuhr die ganze Strecke zurück nach Jerewan wie selbstverständlich in der Spülschüssel auf meinem Schoss mit. Beim Tierarzt machten wir noch am gleichen Abend alle notwendigen Sachen: Impfung, Wurmkur, Flohkur, Microchip, Ausweis und Zubehör. Außerdem wurden wir mit der frohen Botschaft überrascht, dass Struppi ein Mädchen ist. Bis dahin hatte ich unwissenderweise auf ein Männlein getippt, aber wir waren uns schnell einig, dass Struppi selber entscheiden soll, was sie sein möchte. Dann fielen wir nach diesem aufregenden Tag völlig müde ins Bett (bzw. ins Spülschüsselkörbchen) und freuten uns beim Einschlafen auf den neuen Lebensabschnitt zu dritt.

Die erste Woche mit Hund verbrachten wir ganz „behütet“ auf einem Campingplatz bei Garni. Es gab so viel Neues zu lernen. Nicht nur für Struppi, sondern auch bzw. gerade für uns. Diverse Webseiten, Ebooks und YouTube Videos sorgten für den theoretischen Input. Daneben war aber auch viel „Learning by doing“ angesagt. Dank Campingplatzhund Mickie und den Gänsen gab es tierische Interaktionspartner für die Sozialisierungsphase und natürlich war Struppi auch bei den menschlichen Gästen sehr beliebt. Der Abschied von Campingplatzbesitzerin Sandra fiel uns nach sechs Tagen beinahe schwer, doch ein Reisehund sollte das Reisen lernen. Daher auf zu neuen Abenteuern mit hündischer Begleitung.

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